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Das passiert, wenn 400 Menschen einen Monat lang LSD für die Wissenschaft nehmen

Microdosing gilt im Silicon Valley schon länger als Geheimrezept zur Kreativitäts- und Leistungssteigerung. Nun gibt es erste wissenschaftliche Ergebnisse, ob die minimalistische Selbstmedikation wirklich hilft.
Ivan Vranić hvranic | flickr | Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0

Titelbild: Ivan Vranić hvranic | flickr | Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0

Ende 2015 erschien im Rolling Stone ein Artikel über den neuesten Trend im Silicon Valley: LSD-Microdosing. Dieser Artikel zog Tausende Blogeinträge nach sich und es gibt kaum ein Medienunternehmen, das in den letzten eineinhalb Jahren nicht mindestens einmal über dieses Thema berichtet hat. Nun wurde das Microdosing erstmals in einer großen wissenschaftlichen Studie untersucht.

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Wie der Name schon vermuten lässt, geht es beim Microdosing darum, in regelmäßigen Abständen winzige Dosen LSD (zwischen einem und zehn Mikrogramm bzw. unter einem Zehntel einer normalen Dosis) zu konsumieren. Somit bleibt der berauschende Effekt der Droge aus. Dennoch schwört die Microdosing-Community auf die Methode und schwärmt von mehr Kreativität, Energie und Wohlbefinden. Ein weiterer interessanter Effekt: Microdosing soll gegen Depressionen helfen. Doch trotz des großen öffentlichen Interesses am Microdosing gibt es bis jetzt nur wenig wissenschaftliche Beweise, die die Behauptungen der Nutzer untermauern. Handelt es sich womöglich nur um einen Placebo-Effekt und die Silicon Valley-Technohipster werfen sich ihre kleinen Papierfetzen völlig umsonst ein?

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Genau hier kommt Jim Fadiman ins Spiel, ein Pionier der psychedelischen Forschung. Fadiman beschäftigte sich öffentlich mit der Wirkung von LSD, bis die Droge im Jahr 1966 in den USA verboten wurde – seine inoffiziellen Forschungen scheint er jedoch nie ad acta gelegt zu haben. In den vergangenen fünf Jahren hat der Wissenschaftler das Fundament für eine unabhängige Microdosing-Studie gelegt. Letztes Wochenende verkündete er während der Psychedelika-Konferenz der Multidisciplinary Association for Psychedelic Studies (MAPS) die ersten überraschenden Ergebnisse seiner Studie.

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"Wer von euch hat Microdosing schon mal ausprobiert?", fragte Fadiman die MAPS-Mitglieder vor seiner Präsentation.

Alle Anwesenden hoben die Hand.

Jim Fadiman während der diesjährigen MAPS-Konferenz | Foto: Daniel Oberhaus | Motherboard

Die Microdosing-Studie läuft nun schon seit fünf Jahren, aber erst im Februar wurde sie durch einen von Fadiman ausgearbeiteten Fragebogen wirklich formalisiert. Um an der Studie teilzunehmen, mussten die freiwilligen Probanden Zugang zu eigenem LSD haben und einen Monat lang alle vier Tage eine Mikrodosis der Droge konsumieren. Laut Fadiman begründete sich der Vier-Tages-Abstand auf der Beobachtung, dass die Wirkung einer Mikrodosis oftmals zwei Tage lang anhält. Am dritten Tag pendelt sich die Stimmung und Aktivität der Probanden dann wieder auf dem Normallevel ein. Neben dem regelmäßigen Acid-Konsum sah die Studie lediglich noch vor, dass die Teilnehmer ihre täglichen Erfahrungen und Empfindungen dokumentierten.

Die Daten, die Fadiman bei der MAPS-Konferenz präsentierte, basieren auf den Berichten von 418 Freiwilligen – 284 Männer, 126 Frauen und 5 Menschen, die sich als Transgender, nicht-binär oder genderqueer identifizieren. Die Probanden waren zwischen 18 und 78 Jahren alt, das Durchschnittsalter lag bei 34 Jahren. 75 Prozent der Probanden gaben an, vor allem wegen Depressionen mit Microdosing angefangen zu haben.

Die Studie scheint den positiven Ruf vom Microdosing zu bestätigen: Die LSD-Probanden dokumentierten einen bemerkenswerten Schub in ihrer Zielstrebigkeit, Aufmerksamkeit und Motivation. Gleichzeitig nahmen depressive Gefühle stark ab. Interessanterweise merkte Fadiman aber auch an, dass Microdosing bei den Probanden, die nur aufgrund ihrer Angststörung an der Studie teilnahmen, weniger effektiv war. Die LSD-Mikrodosen schienen ihre Angst sogar noch zu intensivieren. Die Teilnehmer, die sowohl Depressionen als auch eine Angststörung angaben, berichteten jedoch von einer allgemeinen Verbesserung ihres mentalen Zustands.

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Obwohl die Selbsteinschätzungen der Probanden wichtig sind, haben die interessantesten Resultate der Studie nichts mit mentaler Gesundheit zu tun, sondern eher mit den unerwarteten körperlichen Reaktionen auf die Mikrodosen. Ein Beispiel: Fünf farbenblinde Probanden berichteten davon, trotz der minimalen Dosis bei sich bewegenden Objekten Leuchtspuren zu sehen. Dieses Phänomen erfahren sonst nur Leute auf einem richtigen Acid-Trip. "Wer wissenschaftlich interessiert ist, den sollte dieses Ergebnis begeistern", erklärte Fadiman gegenüber Motherboard.

Des Weiteren gab eine Probandin, die schon ihr ganzes Leben lang an schlimmen Regelschmerzen leidet, zu Protokoll, dass diese Schmerzen während des Microdosing komplett abgeklungen seien.

Auch wenn Fadimans Ergebnisse sehr faszinierend sind, müssen sie trotzdem mit Vorsicht genossen werden. Zwar sind auf Selbsteinschätzungen basierte Studien ein etabliertes Mittel in der Psychologie und in der Medizin, doch oftmals hapert es ihnen an Validität. Gründe dafür können das unzuverlässige Erinnerungsvermögen der Teilnehmer oder die absichtliche Verzerrung der subjektiven Erfahrungen sein. In einem Bereich, der seit mehr als 50 Jahren fast gar nicht erforscht wurde, sind Studien wie die von Fadiman jedoch ein wichtiger Schritt in Richtung genauerer klinischer Ergebnisse.

Aus diesem Grund bezeichnet Fadiman seine Arbeit auch lieber als "Suche" und nicht als "Forschung" – er bereitet den Weg für zukünftige klinische Studien. Wirkt sich LSD-Microdosing auf die Menstruation aus? Wie steht es dabei um das Sehvermögen von Farbenblinden? Vor Fadimans Studie wären solche Fragen Klinikärzten wohl nicht einmal in den Sinn gekommen. Inzwischen finden auch andere Psychedelika wie MDMA oder Psilocybin ihren Weg in die Medizin. Da ist es auch nicht mehr undenkbar, dass LSD-Microdosing in naher Zukunft das Thema einer Doktorarbeit sein wird. Bis es soweit ist, können motivierte Versuchskaninchen weiterhin ihre ausgefüllten Fragebögen auf Fadimans Website einreichen.