Warum auch ihr wahrscheinlich schon mal Memes von Nazis geteilt habt

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Warum auch ihr wahrscheinlich schon mal Memes von Nazis geteilt habt

Sollte man sich Gedanken darum machen, wo die Memes herkommen, die man teilt, oder geht es nur darum, dass sie lustig sind?

Ein Meme sagt mehr als tausend Worte. Das gilt umso mehr für dieses Meme, das eine der wichtigsten Kontroversen der Meme-Wissenschaft aus den letzten Monaten präzise auf den Punkt bringt:

Die Idee hinter diesem kleinen Bildchen ist einfach: Viele der lustigsten und beliebtesten Memes stammen ursprünglich aus den geschmackloseren Ecken des Internets – das hält den durchschnittlichen Internet-User allerdings nicht davon ab, sie mit offenen Armen zu empfangen. Doch ist es moralisch vertretbar, ein Meme, auch wenn es noch so genial und lustig ist, zu verbreiten, wenn es von Leuten erstellt wurde, mit deren Werten und Meinungen man absolut nicht übereinstimmt? Heiligt die 'Dankness' alle Mittel?

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Da ich für Motherboard schon seit Jahren über die unterschiedlichsten Aspekte der 4chan-Kultur berichte, kenne ich auch die Licht- und Schattenseiten von 4chans /b/-Board nur zu gut. Die Ambivalenz dieser Internet-Ecke ist offensichtlich: Auf der einen Seiten verdankt die Welt den Menschen, die in dem obenstehenden Bild als schlammige Rambos dargestellt sind, die LOLcats, Rickrolling und Anonymous, auf der anderen Seite ist das Board aber auch eine Brutstätte für Beleidigungen und Trolle. Trotzdem verhalte ich mich den Großteil meines digitalen Lebens genau wie die im obigen Meme abgebildete Frau: Ich erfreue mich an den Bildchen, ohne mir jemals selbst die Hände schmutzig zu machen oder mir zu viele Gedanken über ihre Herkunft zu machen.

Die moralische Zwickmühle

Das alles änderte sich, als ich mich im letzten Monat auf der Suche nach neuen Memes ausführlicher mit Discord auseinandersetzte. Die Chat-App ist vor allem bei Gamern, Meme-Entwicklern und bei den besonders aktiven Online-Anhängern der Alt-Right beliebt, jene neurechte Online-Bewegung, die Anhänger von Nazi-Ideologien, Verschwörungstheoretiker, Trolle und junge Trump-Fans verbindet. Schnell drang ich in die Untiefen von Discord vor und gelangte durch Portale und Channels in immer speziellere und eigenartigere Ecken der großen Netzkultur-Mine. Und tatsächlich wimmelte es hier nur so von coolen Memes, die eigentlich nur darauf warteten, mit der Welt geteilt zu werden.

Allerdings wurde mir auch etwas klar, das ich schon lange vermutet hatte: Viele der besten Memes werden in den Gruppen der neuen Rechten erstellt und geteilt, lange bevor sie den Sprung ins Mainstream-Internet schaffen. Dabei rede ich nicht von Memes, die besonders „edgy", provokant oder politisch sind. Auch wenn Anhänger der Alt-Right durchaus anstößige und widerliche Memes erstellen, die man sofort als solche erkennt, scheinen sie eben auch Memes zu basteln, die man bedenkenlos mit der eigenen Mutter oder dem Chef teilen würde. Und mit großer Wahrscheinlichkeit habt ihr einige dieser Memes auch bereits selbst auf Facebook geteilt oder auf Twitter oder Reddit gesehen. Das stellte mich nun vor einen Gewissenskonflikt: Ist es moralisch vertretbar, Memes aus neurechten Quellen zu benutzen, solange die Memes selbst harmlos sind?

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Das sagen Meme-Forscher dazu

Diese Frage habe ich sowohl in meinem Freundeskreis als auch mit Wissenschaftlern diskutiert, die sich mit Memes auskennen. Anfangs dachte ich noch, dass die Antwort auf meine Frage ein klares „nein" sein würde. Doch ich musste schnell feststellen, dass die Sache nicht so einfach ist. Vielmehr reiht sie sich in eine Debatte ein, die seit langer Zeit in philosophischen, künstlerischen und akademischen Kreisen geführt wird: Kann man Inhalte überhaupt losgelöst von ihrem Kontext und ihrer Herkunft verwenden? Mehrere Male fiel der Vergleich, Memes von Nazis zu benutzen, sei so, wie Martin Heidegger zu zitieren: Heidegger war einer der einflussreichsten Philosophen des 20. Jahrhunderts und seine scharfen Analysen drangen in die grundlegenden Strukturen des Menschseins vor… aber er war eben auch ein Nazi.

Die MIT-Doktorandin Amy Johnson brachte mir folgende Faustregel bei: Wenn man entscheiden will, ob ein Produkt moralisch vertretbar ist oder nicht, ist es grundsätzlich sinnvoll, sich genau anzuschauen, unter welchen Bedingungen es produziert wurde und welche Konsequenzen der Konsum dieses Produkts auf die Umwelt hat. Memes bilden da keine Ausnahme. Johnson untersucht in ihrer wissenschaftlichen Arbeit, welche Folgen es hat, wenn Online-Parodien zu ernst genommen werden und ist somit bestens qualifiziert, um meine ungewöhnlichen Fragen zu beantworten.

„Welche Auswirkungen hat es denn auf deine Umgebung, wenn du ein Meme von einer extremistischen Seite teilst?", fragt sie. „Um das zu beantworten, müssen wir erst einmal wissen, ob das Meme irgendwie gebranded ist oder sonst irgendetwas auf seinen Ursprung verweist. Wenn das der Fall ist, dient das Teilen des Memes als Werbung für die Seite. Das wäre schlecht."

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Doch auch Memes, bei denen die Quelle nicht für Dritte ersichtlich ist, bringen ihre eigenen Probleme mit sich: „Das ist in etwa so, als ob du einem befreundeten Vegetarier absichtlich nicht erzählst, dass da Hähnchen in dem superleckeren Gericht ist, das du ihm gerade aufgetischt hast und ihm dann beim Essen zuschaust. Du hast in dem Fall entschieden, dass es wichtiger ist, die Köstlichkeit des Essens zu teilen, als die Prinzipien deines Freundes zu respektieren."

Wie gut kennst du dich aus?

Die Forscherin Molly Sauter sieht da noch einen weiteren Haken. Die Autorin von The Coming Swarm, einem Buch über Hacker-Kultur und Hacktivismus, sagt, dass man erst einmal verschiedene Ebenen von Ironie und Insider-Witzen durchschauen muss, um ein Meme wirklich zu verstehen. Somit können auch Memes, die auf den ersten Blick völlig harmlos aussehen, problematisch sein.

Meme from Discord

„Die Gefahr besteht, dass du unbeabsichtigt ein Bild mit subkultureller Bedeutung billigst, dass du niemals verbreiten würdest, wenn du kapieren würdest, wofür es steht", erklärt Sauter. „Also lautet die eigentliche Frage: Kennst du dich gut genug in den Subkulturen aus, aus denen du dein Material ziehst, um dich nicht hinters Licht führen zu lassen? Das hängt ganz von dir ab."

Ryan Milner erzählt mir, dass es eine lange Tradition hat, Memes aus Online-Ecken wie 4chan, rechten Subbreddits oder seltsamen Discord-Channels auf weniger widerliche Seiten wie Twitter, Facebook oder Tumblr zu übertragen. Milner, der tatsächlich eine Doktorarbeit über Memes geschrieben hat, hält das moralisch für vertretbar – solange man dabei vorsichtig und sorgfältig vorgeht.

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„Solange du nicht explizit problematische Inhalte verwendest und du nicht explizit die problematischen Seiten bewirbst, betreibst du einfach die ganz normale Dekontextualisierung, die bei Memes immer stattfindet. Du desinfiziert sie quasi dadurch, dass du sie aus der Scheiße birgst", erklärt mir Milner in einer E-Mail.

„Du kannst die Bilder also desinfizieren und populär machen, indem du sie mit den 'Normies' teilst. Dann heulen die rechten User, dass der Mainstream ihre Meme-Magie zerstört hat", sagt Milner. „Du kannst so sein wie die Tumblr-Kids, die Pepe 'ruiniert' haben und so für große Entrüstung auf 4chan gesorgt haben (das war vor der ganzen Nazi-Geschichte). Und das, mein Freund, ist dann deine gute Tat."

Meme from Discord

Eine Sorge teilten Milner, Sauter und Johnson jedoch: Die rechten Botschaften könnten ungewollt abfärben. Durch das ständige Besuchen der Nazi-Seiten könnte man sich selbst radikalisieren oder durch das Verbreiten und ständige Verstärken der Memes andere mit den rechten Ansichten in Kontakt bringen.

Außerdem gibt es da noch ein paar andere Fragen, die man beim Teilen der Memes bedenken sollte. Ist es generell ethisch vertretbar, Inhalte von jemand anderem zu benutzen, ohne die Quelle anzugeben? Ist es in Ordnung, problematische Themen in Parodien aufzugreifen? Kann man überhaupt Witze über sensible Themen losgelöst von ihren möglichen politischen Folgen betrachten?

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Das sagt Reddit dazu

Nachdem ich von Milner, Sauter und Johnson eine wissenschaftliche Einschätzung der Lage erhalten hatte, wollte ich auch die Leute um ihre Hilfe bitten, die sich täglich mit den Memes beschäftigen. Daher fragte ich in der Redaktion von Meme Insider nach, ob sie sich ebenfalls mit den moralischen Implikationen des Meme-Geschäfts auseinandergesetzt hatten. Wie sich herausstellt, vertritt das redaktionell geführte Reddit-Board, das sich mit den Hintergründen einzelner Memes und Internet-Trends auseinandersetzt, eine ähnliche Meinung wie die Forscher.

„Wenn ein Meme von extremen Gruppen stammt, muss man sehr genau abwägen, wo, wann und mit wem man das Meme teilt", erklärte mir das Magazin. „Könnte es eine Doppeldeutigkeit geben, die man nicht verstanden hat? Wenn das der Fall ist, sollte man das Meme links liegen lassen und sich lieber nach unverfänglicheren Bildern umsehen."

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„Wir bei Meme Insider sind der Ansicht, dass Leser wissen sollten, woher ihre Memes stammen", meinte das Board weiterhin. „Wenn man allerdings einen guten Joke von vorneherein ausschließt, der vielleicht etwas Leichtigkeit in den Alltag bringen oder jemanden zum Lachen bringen könnte, nur weil er aus einer unerwünschten Quelle stammt, dann schränkt man auch unnötig den positiven Effekt ein, der Memes so 'dank' macht."

Nach reiflicher Überlegung habe ich beschlossen, dass ich auch weiterhin die Nazi-Discord-Channels besuchen werde, weil das zu meiner Arbeit dazu gehört. Und wenn ich dort auf lustige Memes stoße, die meiner Einschätzung nach keine rechte Konnotation haben, werde ich sie vermutlich auch teilen. Während meiner Recherche ist mir klar geworden, dass es nur eine Garantie dafür gibt, dass ein Meme 100% moralisch unbedenklich ist: Man muss es selbst erstellen.