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So testet Boyan Slat die vollkommene Plastikbefreiung der Weltmeere

Wir haben den Gründer von The Ocean Cleanup zum Interview getroffen.

Boyan Slat war erst 17, als er seine Idee zur Rettung der Weltmeere zum ersten Mal einer breiten Öffentlichkeit vorstellte. Mit seinem Plan für schwimmende Filteranlagen, die den Kunststoff aus den Meeren sammeln und diese somit von einem der drängendsten unserer Umweltprobleme befreien sollen, beeindruckte der Teenager nicht nur das anwesende Publikum bei der TEDx Delft 2012.

Das Video von der Veranstaltung ging viral, Boyan bekam Unterstützung von hunderten Freiwilligen und initiierte eine erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne. Ein paar Jahre später konnte ich nun mit eigenen Augen sehen, wie Boyans Erfindung im MARIN, einem Forschungsinstitut für Meerestechnik, getestet wurde.

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The Ocean Clean Up ist die von Boyan ins Leben gerufene Organisation, welche in den letzten Jahren die Machbarkeit des Projekts in ständigen Studien auf die Probe stellte. Dieses Jahr erst führten sie eine groß angelegte Expedition zwischen Hawaii und Kalifornien durch, deren Ergebnisse im Laufe des kommenden Jahres veröffentlicht werden sollen.

Die vorläufigen Ergebnisse zeigen, dass im Pazifik zehn mal mehr Kunststoff treibt als bisher angenommen wurde. Laut Boyan ist das eine schlechte Nachricht für die Umwelt, jedoch eine gute für sein Projekt. The Ocean Clean Up finanziert sich selbst durch das Geld aus dem Verkauf von recycletem Ozean-Kunststoff. Mehr Kunststoff bedeutet auch, dass die Entfernung des Mülles aus den installierten Auffanggeräten billiger wird.

Mit MARIN arbeitet die Organisation derzeit an einer der Schwachstellen des Projekts: einem 100 Kilometer langen schwimmenden Schlauch. Solch eine lange Schwimmstruktur wurde bisher noch nie gebaut und Skeptiker zweifeln, dass eine derartige Konstruktion so solide sein kann, dass sie Jahrzehnte im Meer überlebt. Boyan, seine Mitarbeiter und ein Team von Ingenieuren wollen nun das Gegenteil beweisen.

„Jeder sagt: eine 100 Kilometer lange flexible Leitung? Mark, das kann nicht funktionieren! Vier Kilometer tief? Das geht nicht!", erzählt Mark Paalvast, ein Ingenieur des Projekts. „Jeder ist skeptisch, und ich denke, diese Tests sind aus diesem Grund auch wichtig. Jedes Mal wenn wir wieder bewiesen haben, dass etwas möglich ist, können wir sie darauf hinweisen."

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In einem der Tanks von MARIN, der einem überdimensionierten Wellenbad gleicht, testet The Ocean Clean Up ein Modell der 360 Meter langen Auffangschlange, die im Ozean ausgesetzt installiert soll. Das Modell beträgt eine Länge von 20 Metern, was einem Verhältnis von 1 zu 18 entspricht. Ein Test des finalen 100 Kilometer langen Schlauches ist leider nicht möglich, wie Paalvast erläutert. Auf einer Skala von 1 zu 20 wäre das Modell immer noch fünf Kilometer lang. „Das ist riesig, das geht einfach nicht", so Paalvast.

Paalvast erklärt weiter, das Forschungsteam nutze die Messungen für eine bessere Simulation mit der Konstruktionssoftware. „Wie bewegt es sich? Was sind die Kräfte, die wirken? Das ist nicht so aufregend wie die Welle, aber wir bekommen einen Einblick in Strukturen, die zehn oder hundert Mal so lang sind." Da das finale Design aus Modulen besteht, lassen sich auch Untersuchungen im Wasser mit Einzelteilen der Konstruktion vornehmen. Paalvast muss sich somit auch eingestehen, dass sie nicht wirklich wissen, ob die Konstruktion später im Wasser auch tatsächlich funktioniert.

Zusätzlich zu den Experimenten im MARIN will das Team von Ocean Cleanup bis Ende 2016 genug Erkenntnisse gesammelt haben, um einen Prototypen von zwei Kilometern vor der Küste Japans auszulegen. Mindestens ein Jahr Tests und Experimente sind dafür aber noch nötig. Genug Zeit für Boyan, um sich zwischen den Experimenten mit mir unterhalten zu können

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Motherboard: Hi Boyan! Bereust du schon, dass du vor zwei Jahren versprochen hast, die Weltmeere aufzuräumen?

Boyan: Nein. Absolut nicht. Ich kann mir nichts Besseres vorstellen als das, was ich gerade mache. Niemand anderes macht das, deswegen muss es ja jemand machen. Wenn man sich das Ausmaß des Problems anschaut, ist es wichtig, dass wir es zumindest versuchen.

Warst du selbst mal in dieser Plastiksuppe? Wie sieht es dort wirklich aus?

Ich selbst war bei der jüngsten Megaexpedition nicht dabei. Die hat einen Monat lang gedauert, und dafür hab ich keine Zeit. Außerdem muss man für einen Monat auf's Internet verzichten. Wir haben Leute dahin geschickt, die mit sowas klarkommen. Aber ich war zweimal im nordatlantischen Strudel. Der Müllteppich dort ist über zehnmal dünner als der im Pazifik. Ich war da vier Tage von der nächsten Landmasse entfernt. Die nächsten Menschen sind die Astronauten auf der ISS. Es gibt im Nordatlantik natürlich auch eine Menge Plastik, aber verteilt über ein großes Gebiet. Es ist keine Insel, auf der man stehen kann. Deswegen haben wir diese langen Arme benutzt, die wir entworfen haben. Genauer gesagt simulieren wir damit eine künstliche Küstenlinie. Wenn sich das Zeug einmal in der Mitte sammelt, ist die Plastiksuppe 100.000-fach konzentrierter. Dann kann man darauf auch stehen.

Der Wellenpool wird für einen neuen Test in Betrieb gesetzt. Boyan wird von den Wellen abgelenkt.

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Findest du es aufregend, wenn hier ein neuer Test durchgeführt wird?

Du wirst wirklich zum Supernerd, wenn du hier ein paar Tage bleibst. Bei jeder kleinen Welle denkst du dir: „Whoa, eine Welle!" Und die Gäste sind sogar noch schlimmer als wir.

Kannst du deinen Freunden erklären, was du hier machst?

Diesen Teil vielleicht nicht. Aber alles in allem verstehen sie, was ich hier tue.

Inwieweit ist so ein Test wie dieser hier zuverlässig?

Zum Beispiel würde Shell so einen Test auch durchführen, bevor sie entscheiden, ob sie für eine Milliarde Euro eine Bohrinsel ins Meer bauen. Was ich hier mache, hier ist noch etwas ungewöhnlicher als eine Bohrinsel. Wir müssen also noch mehr Tests machen. Aber das zeigt auch, wie genau und zuverlässig der Test ist.

Wie hoch schätzt du die Kosten ein?

Wir schätzen die Kosten auf 30 Millionen Euro ab Sommer des vergangenen Jahres bis zum Jahr 2020. Begonnen haben wir ja mit 2,2 Millionen Dollar im Crowdfunding. Für den Rest müssen wir uns auf andere Menschen und Philanthropen verlassen. Unternehmen können natürlich auch mitmachen, aber gerade sind es vor allem Einzelpersonen, die unsere Ansicht teilen, dass das Projekt umgesetzt werden soll.

Wann könnt ihr mit Sicherheit sagen, dass das System funktioniert?

Dann, wenn wir es sagen. Andere Neuigkeiten hab ich leider nicht. Es ist unser Job, sicherzustellen—und zwar bevor wir hunderte Millionen Euro in das System pumpen—dass die Chance eines Versagens nur noch ungefähr so hoch wie der eines Blitzeinschlags ist. Wenn das Ding in Japan läuft, ist die größte Hürde schon genommen. Dann müssen wir es nur noch beobachten. Und dann wird es auch einfacher sein, Menschen zu finden, die bereit sind, darin zu investieren.

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Das Ausmaß dieses Projekts ist also abhängig vom Erfolg der PR?

Es macht alles viel einfacher. Als ich gerade mit dem Studium fertig war, hatte ich 300 Euro in der Tasche und hab 300 Unternehmen per E-mail für eine mögliche Förderung angeschrieben…

Boyan wird von den Wellen abgelenkt.

Echt große Wellen! Sorry, manchmal kann ich meinen inneren Nerd nicht zurückhalten. Ich frage mich, ob ich darauf surfen kann.

Dafür schreiben deine Leute bestimmt gerade schon ein kleines Programm.

Ach, das machen die hier nachts und am Wochenende…

Gut, aber wir haben gerade über etwas anderes geredet.

Ja. Also, ich habe damals 300 Unternehmen angeschrieben und eine einzige Antwort bekommen. Nichts ist dabei rumgekommen, und dabei brauchten wir dringend Geld. Aber mittlerweile sind alle, mit denen wir arbeiten, auf uns zugekommen. Dadurch geht alles zehnmal schneller.

Wieviel Zeit investierst du eigentlich in das Projekt? Hast du zum Beispiel Zeit, dir mal einen Film anzugucken?

Kaum. Ich hänge hier im Durchschnitt hundert Stunden pro Woche rum. Manchmal mehr. Ich habe wirklich keine freie Zeit. Das fing ja als Hobby an, also kann man ruhig sagen, dass das mal ein hübsches kleines Projekt war, das komplett außer Kontrolle geraten ist. Aber ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, deshalb will ich mich nicht beschweren. Und es kann nicht schnell genug gehen, daher will ich so viel Zeit wie möglich reinstecken. Aber ja, manchmal gucke ich mir auch einen Film an.

Stell dir vor, es ist 2020 und der Ocean Cleanup läuft, aber trotzdem haben wir es nicht geschafft, den stetigen Fluss an Plastikmüll in unsere Meere zu unterbinden. Ergibt das alles dann noch Sinn?

Am Ende holen wir ja trotzdem Plastik aus dem Meer. Das geht ja nicht von alleine weg. Selbst wenn wir alles rausholen, müssen wir das Ganze nochmal in ein paar Jahrzehnten wiederholen. Wir überlegen gerade, ob wir eine Art SPin-Off-Technik entwickeln könnten, die den Müll schon in den Flüssen abhält, bevor er ins Meer weiterfließt. Als ich angefangen habe, dachte ich, dass wir nur das fehlende Bindeglied wären. Es gab so viele Organisationen, die schon Präventionsarbeit machten. Ich dachte, das würde ausreichen. Aber es fließt immer mehr Plastikmüll ins Meer, deswegen glaube ich, es ist Zeit, endlich was dagegen zu tun. Ob das Sinn ergibt? Klar, aber es wäre besser wenn das „große Plastikventil" in dieser fernen Zukunft endlich komplett geschlossen bleibt.