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Statt Migranten: Thailand will Gefangene auf Fischerbooten schuften lassen

Synergieeffekte in Südostasien: Um Zwangsarbeit zu „bekämpfen“, möchte das thailändische Arbeitsministerium Häftlinge statt versklavter Migranten auf den berüchtigten Fischkuttern vor seinen Küsten einsetzen.
Burmesische Migranten bei der Arbeit auf einem thailändischen Fischerboot. Bild:​ ILO Asia-P​acific | CC BY-SA 2.0

In einer immer unübersichtlicher werdenden Welt muss man kreative Lösungen finden, um sozioökonomischen Problemen geschickt beizukommen. Wie löse ich zum Beispiel die Missstände moderner Sklavenarbeit in der Fischereindustrie Thailands und die bürokratische Misere der heillos überfüllten nationalen Gefängnisse?

Für das thailändische Arbeitsministerium ist die Lösung dieses spätkapitalistischen Verwaltungsdilemmas nur einen Erlass entfernt: An Stelle versklavter Migranten aus den armen Nachbarländern arbeitet das Ministerium daran, Strafgefangene aus den thailändischen Gefängnissen auf den Fischkuttern des Landes einzusetzen.

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Kleine Nachteile für die Betroffenen bleiben dabei nicht aus: Statt in den Zellen zu fristen, dürfen sie in einem völlig rechtsfreien Raum auf rauer See schuften, der von 20 Stunden-Schichten, Zwangsarbeit, Folter und Hinrichtungen geprägt ist.

Die See ist ein rechtsfreier Raum, die Arbeiter sehen oft jahrelang kein Land.

Die See ist ein rechtsfreier Raum, die Arbeiter sehen oft jahrelang kein Land. Bild: ILO Asia-Pacific, Flickr | CC BY-SA 2.0

Menschenrechtsorganisationen verurteilen den haarsträubenden Vorstoß zur Erzielung von Synergieeffekten dann auch aufs Schärfste. Denn anstatt die miesen Arbeitsbedingungen in der Fischereiindustrie so zu verbessern, dass Arbeiter zu einem normalen Lohn und unter menschenwürdigen Konditionen beschäftigt werden können, sollen nun diejenigen die Plätze füllen, die sowieso schon eine Strafe absitzen. Das spricht Bände über den Wert, der dieser Arbeit beigemessen wird— die nicht zuletzt Thailand zum drittgrößten Fischexporteur der Welt gemacht hat.

Brad Ad​ams, Asiendirektor von Human Rights Watch, verglich die Arbeit auf den Schiffen unter den momentanen Bedingungen mit einem Todesurteil. Für ihn ist klar, dass das Ministerium überhaupt nicht weiß, woran es hier arbeitet:

Es ist gefährlich und unverantwortlich, die Gefangenen zur Arbeit in diesen, für ihre Ausbeutung berüchtigten, Fischereiflotten zu drängen. Das Arbeitsministerium hat immer noch keine Ahnung, wie diese Schiffe effektiv inspiziert, geschweige denn, wie Hunderte von Gefangenen vor dem Missbrauch durch die Schiffsbesatzungen bewahrt werden könnten.

Tatsächlich sind Thailands Gefängnisse hoffnungslos überfüllt: Aktuell sitzen landesweit rund 320.000 Menschen zumeist in Sammelzellen eingepfercht hinter Gittern. Der eigentlich gesetzlich garantierte private Zellenraum von 2,25 Quadratmeter wird nicht mal ansatzweise eingehalten. Die häufigste Ursache für eine Haftstrafe sind Drogendelikte.

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„Seit ich auf See bin, habe ich ungefähr 18 oder 20 Menschen vor meinen Augen sterben sehen."

Am 4. Dezember des vergangenen Jahres kündigte der thailändische Arbeitsminister General Surasat Kanchanrat daher an, 176 Gefangene zur Strafarbeit auf Fischerboote in der Proviz Samut Sakhon zu schicken. Das Ministerium rechnete gleich im Anschluss vor, dass weitere 2.830 männliche Strafgefangene für diese Art der Haftumwandlung in Frage kämen.

Auf rein freiwilliger Basis, versteht sich. Die Voraussetzungen für dieses ​attraktive Meeresabenteuer seien körperliche Fitness, eine restliche Haftstrafe von nicht länger als einem Jahr und der Willen zu harter Arbeit, so das Arbeitsministerium. Wie hart die geforderte Arbeit wirklich ist, davon erzählen die Berichte derer, die sie überhaupt überleben: Weit über 100 Stunden Arbeit pro Woche, kein oder kaum Lohn, jahrelang kein Land in Sicht, Weiterverkauf durch den Kapitän, Essensentzug und Schläge bei Ungehorsam.

Thailand ist global der drittgrößte Fischexporteur nach China und Norwegen und liefert jährlich allein 500.000 Tonnen Shrimps in die Welt. Die Häfen Thailands sind nicht nur geschäftige Umschlagplätze für Meeresprodukte, sondern auch für Menschenhandel und moderne Sklaverei.

Im Sommer 2013 enthüllte ein Team des Guardian nach einer sechsmonatigen Recherche zwischen Myanmar und Thailand das Ausmaß der Missstände.

Die Migranten werden oft direkt im Grenzgebiet von Myanmar oder Kambodscha angesprochen. Dort werden sie mit falschen Versprechen, zum Beispiel über Arbeit in einer Konservenfabrik, auf die Boote gelockt und immer weiter verkauft. Auf den sogenannten „Geisterschiffen" herrschen unmenschlichste Arbeitsbedingungen, wie ein geretteter Seefahrer berichtet: „Wir sind wertlos. Sie schlagen uns. Ein Fisch ist mehr wert als wir; wir sind Untermenschen."

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Geisterschiffe sind entweder nicht registriert oder operieren mit gefälschten Lizenzen, und die Besatzung ist ebenfalls nicht registriert. Um Kontrollen zu umgehen, sind die Schiffe oft mehrere Jahre auf See. Versorgt werden sie mit kleinen Booten, die auch im Falle eines „Ausfalls" neues Personal nachliefern.

Für 575 Euro kann eine lokale NGO einen Arbeiter im Hafen freikaufen.

Folter und Exekutionen sind eher die Regel als die Ausnahme. „Seit ich auf See bin, habe ich ungefähr 18 oder 20 Menschen vor meinen Augen sterben sehen", berichtet ein geretteter Fischer gegenüber dem Filmteam des Guardian. Wenn die Schiffe anlegen, haben viele der Arbeiter auf dem Schiff seit mehreren Jahren kein Land mehr gesehen. Für 575 Euro kann eine lokale NGO einen Arbeiter dann an Land freikaufen.

Moderne Formen der Sklaverei gibt es längst nicht nur in Verhältnissen der Sexarbeit. Sie umfasst in unserer globalisierten Welt auch jede Form der Zwangs- und Kinderarbeit. Und Sklaverei ist ein Phänomen, das sich in jedem Land der Welt beobachten lässt: Schätzungen der ILO zufolge sind im thailändischen Fischereibetrieb ungefähr 300 000 Menschen beschäftigt; die wenigsten von ihnen erhalten jedoch überhaupt einen Lohn, weil die Arbeiterschaft hauptsächlich aus Migranten aus Myanmar, Kambodscha und Laos besteht, die aufgrund ihres unklaren Status in sklavenähnlichen Zuständen arbeiten.

Viele Flüchtlinge werden mit falschen Versprechungen auf See gelockt und bleiben dort für Jahre zur Zwangsarbeit gefangen. Bild: ILO Asia-Pacific | CC BY-SA 2.0

Die USA stuften Thailand im diesjährigen Trafficking Persons-Bericht auf die niedrigste Stufe in Bezug auf den Umgang mit Menschenhandel herunter. So befindet sich das Land nun in illustrer Gesellschaft mit Nordkorea und Pakistan. Denn Thailand hat auch in anderen Wirtschaftssektoren ernsthafte Probleme mit der Zwangsarbeit—nicht nur in der Sexindustrie, sondern auch in der Bekleidungsproduktion und Zuckerrohrernte.

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Mittlerweile hat die thailändische Militärregierung aber reagiert: Zunächst sollen alle Schiffe einem streng kontrollierten Registrierungsprozess unterzogen werden, um das Problem der Geisterschiffe anzugehen.

Als der Guardian der thailändischen Navy jedoch die Koordinaten für die Schiffe weiterleitete, von denen Sklaven gerettet wurde, passierte: nichts. Sowohl die thailändische Regierung als auch die Supermarkt-Lieferanten könnten aktiv dagegen arbeiten, um den Menschenhandel zu bekämpfen. Doch ihr Nichtstun unterstützt die Sklavenarbeit aktiv.

Sklaven sind fester Bestandteil der Lieferkette westlicher Supermärkte.

Charoen Pokphand Foods, das größte fischverarbeitende Unternehmen Thailands, steht seit der Guardian-Recherche besonders in der Kritik für seine Beschäftigung von Sklaven. Diese sind fester Bestandteil der Lieferkette, wie die Aufnahmen beweisen. CP beliefert „so gut wie jeden Händler in Großbritannien", erklärt der Verwaltungsdirektor von CP Foods, Rob Miller. Zu seinen Kunden zählen sind Tesco, Aldi UK, Carrefour, Coop und Walmart.

Auch Aldi Nord unterhielt indirekte Geschäftsbeziehungen zu CP Foods, beendete nach dem Vorwurf, der Zulieferer hätte Sklaven beschäftigt, allerdings die Geschäftsbeziehung und nahm ein betreffendes Fertiggericht im vergangenen Sommer aus dem Regal.

Der Guardian sprach mit Dutzenden Fischern in der Lieferkette von CP; alle hatten in ihrer Zeit auf dem Boot neben unermesslich viel Gewalt und mindestens einen Selbstmord beobachtet. Nicht umsonst steht der Wikipedia-Artikel von CP Foods auf der schwarzen Liste zur Überprüfung der Qualitätsstandards: „Dieser Artikel scheint wie eine Werbeanzeige geschrieben zu sein."