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So macht die Identitäre Bewegung mit Falschmeldungen Propaganda auf Twitter

Neurechte klettern per Gartenleiter auf ein leeres Schulgebäude und prahlen anschließend in den sozialen Medien, angeblich ein ganzes „Asylbewerberdorf“ zu verhindern—dabei hatten sie gar keine Flüchtlingsunterkunft besetzt.

Eines muss man den Neurechten der Identitären Bewegung lassen: Wie man in sozialen Netzwerken Eindruck schindet, haben sie verstanden. Aktuellstes Beispiel: Folgender Tweet, der am Sonntag über den Account der Identitären Bewegung Deutschland verbreitet wurde

Gestern besetzten Aktivisten in Schlotheim kurzzeitig ein "geplantes Asylbewerberdorf" #identitär #deraustausch pic.twitter.com/0uKpRuyd3n
— Identitäre Bewegung (@IBDeutschland) 11. Oktober 2015

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Stolz verkündet man die Besetzung eines ganzen „Asylbewerberdorfs". Tatsächlich stehen die sechs selbst ernannten Aktivisten aber bloß auf dem Dach einer alten Schule, die mal gründlich durchsaniert werden müsste. Sie gehört der Firma Rotorvox und befindet sich in einer alten Plattenbausiedlung des 837-Seelen-Dörfchens Obermehler, Gemeinde Schlotheim. Um das marode Gebäude zu „besetzen", brauchten sie nichts als eine Gartenleiter.

Update, 30. Oktober: Wie uns die Firma Rotorvox per Email mitgeteilt hat, erfuhr sie erst durch den Motherboard-Artikel von der Aktion der Identitären Bewegung und distanziert sich aufs Schärfste von dieser. Die Firma führt aktuell Gespräche mit dem zuständigen Landratsamt, um das alte Schulgebäude für die Unterbringung von Mehrzweckräumen für Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen.

Wie das Blog "thueringen rechtsaussen" berichtet, habe man beim thüringischen Ableger der Identitären Bewegung sogar ein anderes Gebäude im Auge gehabt, für deren Eroberung die Leiter aber schlicht zu kurz gewesen sei.

Für ein ansehnliches Fotoshooting mit Rauchbomben, Pyrofackeln und Bannern der IB reichte das eroberte Schuldach aber allemal, und da die Zahl der Zuschauer vor Ort wohl eher gegen Null tendiert haben dürfte, verbreitete man die Bilder anschließend umso effekthascherischer über Twitter und Facebook.

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Dass genau die Kreise, aus denen die Wortschöpfung „Lügenpresse" hervorgegangen ist, es mit der Wahrheit selber nicht so genau meinen, zeigt dabei auch ein Blick auf die Social-Media-Kanäle des rechtsesoterischen Anonymous.Kollektivs. Mit ihren bildgewaltigen Verschwörungsmeldungen hat die Seite bereits knapp eine Million Facebook-Fans in ihren Bann gezogen. Die Betreiber schämten sich nicht, die rassistische Randale vor der Flüchtlingsunterkunft in Heidenau als linksextreme Inszenierung zu verkaufen.

Die Identitäre Bewegung, deren Ursprünge in Frankreich zu finden sind, nutzen die Bilder aus Obermehler nun, um unter dem Hashtag #deraustausch ihre krude ethnopluralistische Theorie zu verbreiten, die „eigene Identität" würde langsam durch fremdländische Kulturen ausgetauscht. Warum es gerade die Hüter einheimischer Kultur mit der deutschen Sprache selten ernst nehmen, bleibt uns ein Rätsel. Zumindest den Social-Media-Führerschein für die eigene unangenehme Propaganda scheint man aber gemacht zu haben.

Ihre Position zu der Flüchtlingsunterkunft in Obermehler, wo aktuell ca. 250 Flüchtlinge leben, stellte die Identitäre Bewegung Thüringen jedenfalls mit folgenden Worten klar: „Schlot- oder Asylheim? Das ist die provokante Frage, welche wir mit einem deutlichen NEIN beantworten."