Das Gefährlichste am neuen BND-Gesetz ist nicht mal die Massenüberwachung
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Das Gefährlichste am neuen BND-Gesetz ist nicht mal die Massenüberwachung

Bei der Reform der Geheimdienste stand heute viel auf dem Spiel im Bundestag. Warum die Regierung krachend gescheitert ist.

Das neue BND-Gesetz, das heute Morgen mit großer Mehrheit verabschiedet wurde und hoffentlich bald durch das Verfassungsgericht gekippt wird, ist gefährlich.

Die größte Gefahr liegt aber noch nicht mal in der Massenüberwachung, die durch das Abhören des Frankfurter Internetknoten DE-CIX jetzt legalisiert wird. Sie liegt auch nicht in der technischen Unmöglichkeit, die Datenpakete deutscher Bürger von denen zu trennen, die legal abzuhören sind—zumindest nicht, ohne sich die Inhalte näher anzugucken. Und sie liegt vielleicht noch nicht mal in der massenweisen und automatischen Weitergabe von Metadaten an die NSA.

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Das eigentliche Problem ist, dass der BND auch in Zukunft mehr oder weniger machen kann, was er will. Denn heute wurden nicht nur die technischen Befugnisse des Dienstes ausgeweitet, es wurde auch eine murksige Neuregelung der parlamentarischen Kontrolle verabschiedet. Das Gesetz erlaubt es der Bundesregierung, ihre Geheimdienst-Kontrolleure in einem Extra-Gremium selbst auszusuchen, während das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) in geschwächter Form parallel existiert. Für die Demokratie ist das ein Desaster.

Für die Stimmung in der Bevölkerung hatten die Snowden-Enthüllungen vor allem eine Konsequenz: Dass Geheimdienste sowieso alles überwachen, was wir im Netz tun, wird nicht mehr nur von paranoiden Nerds geglaubt, sondern wird von der breiten Masse mehr oder weniger schulterzuckend akzeptiert.

Doch wenn Snowden bewiesen hat, dass wir in einem Zeitalter leben, in dem die NSA und ihre Freunde fast alles abfangen können, dann muss das Parlament transparent darüber informiert werden, was genau diese Geheimdienste überhaupt tun. Und die Gremien, in denen die gewählten Vertreter der Bevölkerung sitzen, müssen die Kontrolle darüber zurückerlangen, verfassungswidrige Aktionen zu stoppen statt im Nachhinein halbherzig und widerwillig darüber unterrichtet zu werden. Bonus-Feature: Wenn die Öffentlichkeit wirklich weiß, was der BND tut, dann kann sie bei der nächsten Wahl auch eine demokratische Entscheidung über seine Arbeit und Ausrichtung fällen. Wenn es denn überhaupt eine große Mehrheit gegen Massenüberwachung gibt, hätte sie eine Chance, ihrer Stimme wirklich Gehör zu verschaffen.

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Es steht viel auf dem Spiel, wenn das nicht gelingt: Die allgemein grassierende Politikverdrossenheit wird fahrlässig weiter befeuert.

Verselbstständigter Verfassungsbruch

Dass schlecht kontrollierte Geheimdienste sich massiv verselbstständigen, dürften wir eigentlich nicht vergessen haben: Letztlich waren es ja erst die Aktionen des BND, die eine grundlegende Gesetzesreform überhaupt nötig machte: Systematisch die eigenen Befugnisse überschreiten, millionenfach Grundrechte brechen, uns illegal abhören und fröhlich Daten an die NSA weitergeben. All das kam erst durch eine extrem zähe parlamentarische Aufarbeitung ans Licht.

Solche Verfassungsbrüche im Nachhinein nicht aufklären zu wollen und illegale Aktivitäten, wenn der Dienst dann doch ertappt wird, in Gesetze zu gießen, um sich selbst zu legalisieren, führt zu einer schrittweisen Legitimation des geheimdienstlichen Machtmissbrauchs und zur Aushöhlung der Demokratie.

Eins ist klar: Mit dem neuen Gesetz wird es wohl so weitergehen. Es ist geradezu eine Einladung zum Wuchern.

Gescheiterte Transparenzoffensive

Einer der größten Kritiker dieses Kontrollverlusts in Form der BND-Reform ist ausgerechnet Ex-BND-Präsident Schindler. „Wenn es ihnen genügt, halbjährlich in abstrakter Form berichtet zu bekommen, was 50 Prozent des Datenaufkommens des BND ausmacht, dann ist das Ihre Sache", sagte er an die Abgeordneten gerichtet in einer Anhörung.

Seit Gerhard Schindler 2012 den Chefposten des BND übernahm, mühte er sich um eine Transparenzoffensive des Geheimdienstes: Ein wichtiger Punkt sollte es dabei sein, den Dienst besser zu kontrollieren; auch, um den Ruf des BNDs zu retten. Sonst hieße es wieder am Ende, der Geheimdienst hätte niemanden informiert.

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Die Abhörstation Bad Aibling. Bild: shutterstock

Die Kritik an der mangelnden Kontrolle kommt nicht von ungefähr und wird längst nicht mehr nur deutschlandintern geäußert. Bei seinem letzten Besuch in Deutschland im Juni kritisierte der Menschenrechtskommissar des Europarats in seinem Bericht die unzureichende Koordinierung und Ausstattung der Geheimdienstaufsicht scharf; es müsse nicht nur mehr Personal und IT-Expertise geben, sondern den Gremien sollte vor allem Zugang zu allen Informationen gewährleistet werden, die die Mitarbeiter benötigen, um ihren Job zu erledigen.

Der BND im Untersuchungsausschuss: Unkooperativ bis zur Sabotage

Dass das nicht der Fall ist, davon kann der Vorsitzende des Geheimdienst-Untersuchungsausschusses, Patrick Sensburg von der CDU, ein trauriges Lied singen. Akten kommen erst nach mehrfachen Aufforderungen und viel zu spät, und wenn sie dann doch endlich vorliegen, darf der Ausschuss häufig seitenweise geschwärzte Zeilen bewundern.

Dazu kommt, dass sich der BND auch in der persönlichen Befragung extrem unkooperativ bis hin zur Sabotage verhält. Im Untersuchungsausschuss zeigte sich zum Beispiel BND-Mitarbeiter Alois Nöbauer von der mysteriösen Außenstelle „Gablungen" so dermaßen unwillig, dass es zu tumultartigen Szenen im Saal kam. „Ein kafkaeskes Schauspiel", „noch nie sowas erlebt", waren nur zwei der Reaktionen Anwesender des Nicht-Austauschs, den hartgesottene Gemüter hier in einem Protokoll nachlesen können.

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Wie unangenehm dem BND jegliche Kontrolle ist und wie unkooperativ er sich verhält, davon durfte sich zuletzt die Datenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff ein Bild machen. Beauftragt von der Bundesregierung, war es Voßhoffs Job, zu verstehen, wie die Behörde in der Abhörstation Bad Aibling arbeitet. Ihre Erkenntnisse, die in Form ihres Abschlussgutachtens an Netzpolitik geleakt wurden, zeichnen ein desaströses Fazit; und das nicht nur wegen der „systematischen Rechtsbrüche", die sie feststellen musste: Die eigentlich als regierungsfreundlich geltende oberste Datenschützerin Deutschlands sah sich in ihrer Arbeit massiv blockiert, insbesondere bei der Prüfung der umstrittenen Selektorenlisten. Die nämlich übernimmt der BND wohl ohne Prüfung direkt von der NSA.

Das sind nur zwei der Beispiele, die eine Neuregelung der Kontrolle des Nachrichtendienstes überfällig machen. Doch irgendwie schaffte es die Große Koalition trotzdem, die von ihr selbst eingeladenen Sachverständigen und ihre Kritik am neuen Gesetz in den vergangenen Monaten gewissenhaft zu ignorieren.

Das „Unabhängige Gremium" ist gar nicht unabhängig

Die Kontrolle der sogenannten Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung soll in Zukunft von einem „Unabhängigen Gremium" übernommen werden. Das besteht aus Richtern und Bundesanwälten—und die beruft die Bundesregierung praktischerweise selbst ein.

„Netter Versuch", beschreibt der Staatsrechtler Heinrich Amadeus Wolff in einer Anhörung des Innenausschusses diesen Vorstoß sarkastisch, aber so könne die Regelung auf keinen Fall bleiben—es müsse parlamentarische Beteiligung geben.

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Und wie effektiv kann ein Gremium schließlich auch die Legalität der Dienste kontrollieren, wenn der BND ihm die Tür vor der Nase zuknallt? Sowohl die Selektorenliste ist nur stichprobenhaft einsehbar—wieso eigentlich?—auch der Zutritt zu Diensträumen und der Zugriff auf Arbeitsunterlagen ist ihm untersagt. Zu vertuschen gibt es dagegen wohl einiges: Als das Parlamentarische Kontrollgremium das letzte Mal nach viel Druck endlich Einsicht in die Selektorenliste bekam, prangerten die Berichterstatter klare Rechtsverstöße in Sachen Selektoren an.

Whistleblower werden nicht gestärkt

Ein weiteres Beispiel: Geplant war, den Schutz von Tippgebern aus den Diensten zu stärken. Doch nun darf das Unabhängige Gremium die Namen von Whistleblowern aus den Geheimdiensten wieder an die Dienste zurückleiten—das ist kein Whistleblower-Schutz, sondern eine Farce.

Letztlich schwächt die Reform also das zuvor zuständige Parlamentarische Kontrollgremium, das mit der Kontrolle aller Geheimdienste (dazu zählen neben dem BND auch Verfassungsschutz und Militärischer Abschirmdienst) beauftragt ist.

„Es besteht die Gefahr, dass der BND weiter ein Eigenleben führt", hieß es auch von Seiten des Thinktanks Neue Verantwortung, der die Bundesregierung beriet. Der allgegenwärtigen Kritik schließen sich neben NGOs und Journalistenverbänden, der OEZE, Wirtschaftsvertretern, drei Sonderberichterstattern der UN und der Opposition auch viele Juristen an.

Der richtige Weg wäre ein gestärktes, besser ausgestattetes Parlamentarisches Kontrollgremium statt zerfaserter und verzettelter Zuständigkeiten. Doch diese Chance wurde jetzt verspielt. Und so wird die Kontrolle der Geheimdienste wohl nur ein Papiertiger bleiben—bis zum nächsten Skandal.

Fazit

Wenn Bürger zu Recht das Gefühl bekommen, die Dienste könnten sich ja alles erlauben, wird aus dem Unmut schnell Hilflosigkeit. Da muss sich eigentlich niemand mehr wundern, wenn die Wähler „denen da oben" einen wütenden Denkzettel verpassen wollen und sich populistischen Parteien zuwenden—Vertrauensaufbau in Institutionen fängt eben auch in der Legalität von tiefgreifenden politischen Handlungen wie Abhörmaßnahmen an.

Einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt es: Spätestens, seitdem Gabriele Leutheusser-Schnarrenberger (die bereits in den 90ern aus Protest gegen den „Großen Lauschangriff" als Justizministerin zurücktrat) angekündigt hat, gegen die Reform zu klagen, dürften wir das Gesetz bald wiedersehen—in Karlsruhe vor dem Verfassungsgericht, wo es wohl für nichtig erklärt werden dürfte.