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Warum haben so viele Menschen Angst vor Glyphosat?

Selbst wenn an der Gefahr durch Glyphosat nichts dran ist, hat das Düngemittel schon jetzt seinen perfekten Dual Use gefunden: Als Treibstoff für Panik.
Eine Protestaktion gegen Monsanto. Bild: imago

Eigentlich sollten gestern EU-Experten aus den 28 Mitgliedsstaaten darüber entscheiden, ob das Unkrautvernichtungsmittel für weitere 15 Jahre eingesetzt werden darf. Im Vorfeld zeichnete sich ab, dass die Delegierten dem zustimmen würden. Doch in letzter Sekunde plädierten auf Initiative der Niederlande mehrere Staaten für einen Aufschub, den sie durch ihr Nein erzwingen wollten. Das hatte Erfolg: Die Sitzung wurde vertagt, weil sich keine Mehrheit innerhalb des Expertenkomitees gefunden hatte.

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Wie sich Deutschland in der Debatte positioniert, weiß übrigens niemand. Mehr noch: Ob der zur Diskussion stehende Stoff krebserregend ist oder nicht, ist ebenfalls völlig unklar. Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC), die zur WHO gehört, sagt „wahrscheinlich schon", die europäische Lebensmittelaufsicht EFSA sagt, „wahrscheinlich nicht".

Nichtsdestotrotz ist Glyphosat scheinbar überall. Nicht nur scheint das Thema omnipräsent in unseren Medien, in schönster Regelmäßigkeit werden auch Pestizidrückstände in Bier, Urin oder Wattestäbchen nachgewiesen. Zur Meinungsbildung tragen Dutzende Online-Petitionen und skandalträchtige Studien bei. Es ist also nur natürlich, dass so viele Menschen Angst vor dem Breitbandherbizid haben. In einer repräsentativen TNS Emnid-Umfrage (von der Bürgerbewegung Campact initiiert) fordern fast drei Viertel (73%) aller Deutschen ein Verbot des umstrittenen Unkrautvernichtungsmittels.

Ein glyphpsathaltiger Roundup-Mix, mit dem Sojabohnenfelder besprüht werden | Bild: imago

Mehr noch als eine tatsächlich faktenbasierte Bedrohung ist Glyphosat allerdings ein Symbol für unsere globalisierte Lebensmittelproduktion und die Intransparenz, die dadurch entsteht.

Eine deutsche Umweltstiftung hatte Glyphosat-Rückstände in fast allen deutschen Bieren nachgewiesen—und das trotz des guten deutschen Reinheitsgebots!!!11!! Auch hier lohnt es sich, die Ergebnisse in Relation zu betrachten: Die Glyphosat-Rückstande im Bier wären erst ab einer täglichen Verzehrmenge von über 1000 Liter Bier gefährlich. Das ist anders als durch intravenöse Dauerzufuhr natürlich kaum zu bewerkstelligen—und selbst wenn, würde der Alkohol den geneigten Probanden lange vor einer Düngervergiftung dahinraffen. Und der vermeintliche Muttermilich-Skandal? Als das Bundesinstitut für Risikobewertung in Folge einer aufsehenerregenden Untersuchung selbst nachgemessen hat, fanden sich in Milchproben überhaupt keine Rückstände mehr.

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Viele Menschen sehnen sich trotzdem nach „Essen wie zu Omas Zeiten", wo man angeblich exakt wusste, woher die Nahrungsmittel kommen (im Idealfall aus dem eigenen Beet, vom Nachbarn unter Vorbehalt). Ob das allerdings so erstrebenswert ist? Besser als heute haben wir uns „damals" eindeutig nicht ernährt; allein schon, weil die Nahrungsmittelvielfalt nicht annähernd so groß war wie heute.

Die Forderung, das elende Zeug aus unserem Essen endlich zu verbannen, ist einfach dahergesagt. Umsetzbar ist diese vermeintliche Lösung allerdings nicht oder nur sehr schwierig. Kein Wunder, ist Glyphosat doch das meistverkaufte Pflanzenschutzmittel weltweit, das auf rund 40 Prozent der deutschen Ackerflächen versprüht wird. Fest steht, dass die Idealwelt eines am besten vollständig pestizidfreien Anbaus am Ende auch viel teurer für den Verbraucher wird—und ob die Empörung über gestiegene Preise auf Grundnahrungsmittel nicht doch bei vielen größer wäre als die Wut über ein Pflanzengift, ist keineswegs ausgemacht.

Bei einer Demo am Potsdamer Platz in Berlin | Bild: imago

Natürlich klingt Glyphosat oder Unkrautvernichtungsmittel erstmal sehr gefährlich und nach nichts, dem man gern auf seinem Teller begegnen möchte. Und das noch von Monsanto, sind das nicht sowieso Gangster (Antwort: Ja, im Großen und Ganzen schon)? Gespickt mit dem Wort „Gift" in der Überschrift und bebildert mit einem unkenntlichen Menschen im Ganzkörper-Plastikschutzanzug, der ein unschuldiges Feld grüner Pflanzentriebe mit einer grauen Brühe abduscht, wird das düngemittelinduzierte Unheil heraufbeschworen, obwohl noch nicht klar ist, ob es tatsächlich heranzieht—und was die Alternative wäre.

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Doch die Verunsicherung der Verbraucher ist auch in der Politik angekommen: „Wir werden mit Glyphosat kein Risiko eingehen und glauben nicht, dass die Analyse bislang gut genug ist. Wir werden vorschlagen, dass keine Entscheidung getroffen wird, bis weitere Analysen durchgeführt wurden und die EFSA-Wissenschaftler etwas transparenter mit ihren Überlegungen umgehen", sagte der schwedische Umweltminister der AFP gestern in Strasbourg.

Diese Transparenz sollen eigentlich Studien schaffen: Sie sollen Komplexität reduzieren und unabhängige, messbare, verlässliche Ergebnisse in eine wichtige Debatte bringen, die auch von Abwehrreflexen geprägt ist.

Was stimmt, ist im Papierkrieg der Pro- und Contra-Glyphosat-Veröffentlichungen immer schwieriger zu erkennen.

Leider legen die Untersuchungen aber allzu häufig auch einen Spin an den Tag: Das zum Beispiel, was die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung als die „weltweit umfassendste Datenerhebung zur Belastung von Kinder und Erwachsenen mit Glyphosatrückständen" bezeichnet, ist nicht repräsentativ und trägt deshalb außer latenter Panikmache („drei Viertel aller Deutschen mit Glyphosat belastet", „Grenzwerte x-fach überschritten") nicht viel zur Diskussion bei. Aus einem winzigen Sample von gerade mal 51 Kindern und Jugendlichen zu schließen, diese Gruppe sei besonders gefährdet, ist jedenfalls höchst unwissenschaftlich. Und auch, den Glyphosat-Grenzwert im Trinkwasser als Vergleichsgröße heranzuziehen, ist nicht fair: Der liegt nämlich direkt über der Nachweisgrenze, denn Trinkwasser ist, wie wir alle wissen, strengstens kontrolliert. Über eine Gesundheitsgefahr sagt auch ein um das zehnfache überschrittener Grenzwert überhaupt nichts aus.

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Dafür war das Timing der Veröffentlichung eine Punktlandung: Die Studie wurde genau zur anstehenden Entscheidung der EU-Delegierten herausgebracht, um die Abgeordneten unter Druck zu setzen. Campact hat über 1,5 Millionen Unterschriften gegen Glyphosat gesammelt.

Im Umkehrschluss steht die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA in der Kritik, von der Industrie und Lobbyverbänden beeinflusst zu sein und gerne mal Entscheidungen zu deren Gunsten zu treffen. Was stimmt, wird im Papierkrieg der Pro- und Contra-Glyphosat-Veröffentlichungen immer schwieriger zu erkennen.

Nun haben nach einem Vorstoß der Niederlande auch andere Staaten angekündigt, bei einer Entscheidung heute gegen die Verlängerung des Glyphosat-Einsatzes stimmen zu wollen. Der Grund ist vernünftig: Man wolle weitere Studien und Bewertungen abwarten, um sich der Schädlichkeit oder Unschädlichkeit des Mittels ganz sicher zu sein.

Setzt man Roundup übermäßig ein, kann das Mittel die Vegetation zerstören | Bild: imago

Auch der agrarpolitische Sprecher der Grünen im Europaparlament, Martin Häuser, schließt sich an: „Ich fordere daher eine Vertagung der Abstimmung, bis alle relevanten Bewertungen auf dem Tisch liegen." Welche Bewertungen bis zum 30. Juni (dann soll die Abstimmung spätestens stattfinden) noch vorgelegt werden können, die die Debatte beeinflussen könnten, ist noch unklar.

Kontroversen um Samplegrößen und um Grenzwerte beim Trinkwasser sind leider mühsam, komplex, trocken und langweilig. Die Antwort auf die Frage, ob und wenn ja, wie gefährlich Glyphosat nun tatsächlich ist, ist deshalb auch heute noch sehr unbefriedigend: Wir wissen es noch nicht genau.

Genauso falsch wäre es deshalb, vorschnell zu behaupten, das Pestizid sei völlig harmlos. Selbstverständlich ist es gut, dass wir eine öffentliche Debatte zu Glyphosat haben. Noch viel besser wäre aber eine Diskussion mit Argumenten. Klagen und Berichte von hohen Krebsraten durch Glyphosat-Dämpfe gibt es bereits aus Argentinien, doch bislang konnten die Schädigungen rund um die mit Glyphosat behandelten Ackerflächen noch nicht zweifelsfrei in Korrelation gesetzt werden.

Bis wir eine Ahnung haben, ob die Schädlichkeit tatsächlich gegeben ist, müssen wir weiter diskutieren, sammeln und vergleichen—und versuchen, uns bis zu einer definitiven Antwort nicht zu sehr durch interessenspolitisch gefärbte Meldungen ablenken zu lassen. Der Aufschub der Debatte ist deshalb genau die richtige Entscheidung. Selbst wenn an der Gefahr für Leib und Leben durch Glyphosat nichts dran ist, hat das Düngemittel schon jetzt seinen perfekten Dual Use gefunden: Als Treibstoff für Panik.