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Legendäre Clubs

Legendäre Clubs: Ohne das Molotow wäre der Rock in Hamburg längst verloren

"Ich weigere mich, den ganzen anderen Partyfritzen das Feld zu überlassen" – Zu Besuch beim Betreiber des Molotows, der in 27 Jahren Reeperbahn schon alles gesehen hat.
Madsen im Molotow (2013) Foto: imago | Future Image

Schweiß tropft von oben auf die wild tanzende Meute. Die Bühne ist zu hoch und der Schlagzeuger muss aufpassen, dass er seine Sticks nicht an der Decke kaputtschlägt. Ich stehe in dem komplett gefülltem Raum und denke: "Das ist also dieses Molotow, von dem ich schon so viel gehört habe." Es ist Dezember 2009 und ich bin extra aus einem Dorf in der Nähe von Oldenburg nach Hamburg gefahren. Einerseits, weil Captain Planet heute das Release von Inselwissen feiern, andererseits, weil ich endlich mal diesen Club sehen wollte.

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Das Hamburger Molotow, die Frankfurter Batschkapp, das Berliner SO36 – Club-Namen, von denen jeder, der sich mit alternativer Rock-Musik beschäftigt, schon einmal gehört haben könnte. Schließlich waren genau das die Orte, in denen seit Jahrzehnten die ganzen guten Bands immerzu spielen. Doch warum eigentlich? Ich habe mich hinter die Kulissen begeben und mit den Betreibern getroffen, um herauszufinden, warum Bands und Publikum ausgerechnet diese Läden lieben. Mein erster Stopp führte mich dabei nach Hamburg.

"Die Bands wissen: Das Essen wird OK sein und man wird mit uns nicht um jedes Bier feilschen müssen." Direkt über dem Konzertsaal vom Molotow sitze ich mit Andi Schmidt zusammen, der den Club auf der Reeperbahn seit 1994 führt. Wenn man sich mal einen Reeperbahn-Clubbetreiber vorstellen müsste, käme man Andi auf jeden Fall schon sehr nahe: Koteletten, fester Handschlag und deutliche Sätze. Aber gleichzeitig stellt sich da die Frage: Was kam zuerst – Klischee oder Andi? Schließlich war er schon dabei, als das Molotow 1990 eröffnete. Erst als DJ und vier Jahre später war der Laden dann seiner. Damit prägt er die Reeperbahn und damit auch das Rock-Image Hamburgs, seitdem ich auf der Welt bin.


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"Damals ist man hier nicht ausgegangen. Hier war eigentlich alles ausschließlich Nepp [Anm.: Bauernfängerei]. Sexbars mit Koberern davor [Anm.: eine Mischung aus Türsteher und Marktschreier, der ziemlich explizit beschreibt, was in den Läden passiert, um Kunden anzuziehen], davon gibt es jetzt vielleicht noch so zwei oder drei. Spielhallen, Stripshows – so sah die Reeperbahn aus. Ausgegangen ist man auf jeden Fall woanders", so Andi über die Anfänge des Molotows. Eigentlich schwer vorstellbar. Wer heute über den Hamburger Kiez wandert, erlebt eine Partymeile, die sich nicht mehr so sehr von anderen Städten unterscheidet. Aber 1990, das war die Zeit nach den Bandenkriegen, bei denen sich rivalisierende Zuhältergangs bis aufs Messer bekämpften. Die Reeperbahn war immer noch verschrien, aber die Zeiten der Zuhälter waren vorbei und dementsprechend gab es mehr und mehr Leerstand. Aber Leerstand bietet auch immer Möglichkeiten und ein Jahr bevor aus einer Underground-Strömung plötzlich Grunge wurde, machte das Molotow seine Türen auf. Das Team setzte von Anfang an auf Konzerte, denn es gab kaum Bühnen, auf denen Punk, Grunge und andere Rock-Ableger einen Platz fanden.

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Dementsprechend schnell machte das Molotow sich einen Namen, bei Konzerten war der Club meist rappelvoll. Doch nach zwei Jahren war bereits wieder Schluss – Lärmbeschwerden führten dazu, dass der Konzertbetrieb vorläufig eingestellt werden musste. Lärm war allgemein der rote Faden, der mich durch die Interviews mit den Clubbetreibern begleitet hat. "Ich habe schon diverse Läden über den Jordan gehen sehen wegen Lärmbeschwerden. Und das Argument 'Ich bin doch schon so lange da!' interessiert niemanden", so Andi. Lärmbeschwerden durch Anwohner hängen wie ein Damoklesschwert über deutschen Clubs und können ihnen schnell ein Ende bereiten. Eine Feststellung, die er nur mit "Ja." kommentiert. Was will man auch groß dazu sagen? Es ist halt wie es ist.

Andi Schmidt (Foto: Molotow)

Zwei Jahre nachdem der Konzertbetrieb eingestellt wurde, übernahm Andi das Molotow, weil die alten Betreiber keine Lust mehr hatten. Für ihn war sofort klar, dass wieder Konzerte gespielt werden sollen. Alleine schon deshalb, um einem typischen Clubschicksal zu entgehen: Das Stammpublikum ist Mitte/Ende 20 und hat plötzlich anderes im Sinn, als das Wochenende auf dem Kiez zu verbringen. Ein Problem, das Konzerte nicht haben – zumindest wenn die richtigen Bands gebucht werden. Darum ist es laut Andi wichtig, dass auch immer junge Leute im Team sind, um den Anschluss nicht zu verlieren.

Und tatsächlich ist der Plan auch aufgegangen. Statt auf Laufpublikum kann das Molotow heute auf Gäste setzen, die wirklich für den Laden und seine Konzerte kommen. Aber ein großes Problem bleibt: "Man kann als Veranstalter mit Livemusik nicht viel Geld verdienen. Speziell mit einem kleinen Club nicht. Die Produktionskosten sind konstant, egal ob 1.000 oder 300 Leute kommen. Bis es sich rechnet, müssen auf jeden Fall 150 Leute kommen."

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Wie knapp das Ganze werden kann, hat das Molotow 2008 erlebt. Damals musste der Club fast schließen, weil die Umsätze trotz gleichbleibender Besucherzahlen sanken, während die Kosten stiegen. Um den Laden, der mittlerweile schon Kultstatus hatte, zu retten, wurde eine Sammelaktion gestartet. Außerdem veranstalteten Muff Potter, die den Club mit "Wir sitzen so vorm Molotow" sogar in einem Song verewigten, ein Benefizkonzert, um das Molotow zu retten. Von der Stadt hingegen kam keine Unterstützung. Eine Situation, die bis heute anhält.Wenn man ihn auf die Kulturförderung in Hamburg anspricht, wird Andi sehr direkt: "Hamburg schmückt sich immer noch mit dem Etikett der Musikstadt, der Szenestadt. Aber dann muss man das halt auch ein bisschen Pflegen. Irgendwann ist sie das nämlich sonst nicht mehr." Während Oper und Elbphilharmonie mit unglaublichen Beträgen gefördert werden, bleibt demnach bei den kleinen Läden nichts hängen. "Ich finde es gut, wenn Kultur gefördert wird, aber sie wird hier sehr einseitig gefördert. Es gibt eigentlich nur den städtischen Live Concert Account, der uns hilft, Gema-Gelder zurückzubekommen." In genau der Stadt, in der die Beatles schon spielten, bevor sie die motherfucking Beatles waren, müssen eben jene Clubs, in denen die Bands vor ihrem großen Durchbruch auftreten, täglich ums Überleben kämpfen. Manchmal sogar auf unglaublich spektakuläre Art und Weise, wie Madsen-Fans im Dezember 2013 erleben mussten.

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Foto: Stefan Malzkorn

Das wohl dramatischste Kapitel vom Molotow begann mit einem Anruf bei Andi: "'Die Feuerwehr ist da, wir werden evakuiert.' Da bin ich halt rüber und dachte, dass man dann noch weitermachen kann." Doch das Molotow durfte nicht mehr weitermachen, denn es wurden Risse im Gebäude gefunden. Das Ende des Original-Molotows nach 23 Jahren war sehr unrühmlich: "Die Band durfte nicht mal mehr einladen. Erst am nächsten Tag mit einem Bauinspektor."

Dabei war ein Umzug ohnehin schon längst geplant. Denn dass die Häuser, in denen sich das alte Molotow befand, abgerissen werden mussten, war schon vorher klar. "Es war ja nur ein halbes Jahr früher als angesagt. Aber das hat alles sehr erschwert. Wir mussten Konzerte umplanen oder sogar absagen."

Mit der neuen Location wurde dann einiges anders. Die Sicht auf die Bands und die Belüftung ist jetzt zwar besser, aber auf der anderen Seite vermisst man die einzigartigen Momente, wenn Drummer ihre Sticks an der viel zu niedrigen Decke des alten Clubs zerdepperten. Ein bisschen Charme ist also schon verloren gegangen. Das Molotow liegt jetzt am anderen Ende der Reeperbahn, was für Andi ein paar gute Seiten hat: "Hier ist es noch so ein bisschen so, wie die Reeperbahn früher war. Mit normalen Läden, Sexläden und Kneipen. Drüben sind eigentlich nur noch Franchise-Unternehmen und Littmann mit seinen Musicals."

The Bravery im alten Molotow (Foto: Flickt, Emma Line, CC BY-ND 2.0)

Während unserer Unterhaltung kann ich aus dem Fenster die Reeperbahn sehen. Und selbst als jemand, der nicht in Hamburg wohnt, ist die Veränderung deutlich zu spüren. Es ist klar, dass auch an diesem Ende der Reeperbahn der Fortschritt langsam ankommt, ob er gewollt ist oder nicht. Es ist auch klar, dass Läden wie das Molotow nur dank der schieren Willensstärke (oder ist es Sturheit?) von Menschen wie Andi existieren. Warum tut man sich das überhaupt an? Man steht die ganze Zeit unter Stress, wird nicht reich und wenn das Bier beim nächsten Besuch 50 Cent mehr kostet, sind alle sauer.

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Eine Frage, auf die Andi eine klare Antwort findet. Wie immer. "Aus Idealismus. Die, die das nicht aus Idealismus machen, machen halt so Partyläden, wo Mallorca-Mucke läuft und die Leute viel saufen. Ich weigere mich, den ganzen anderen Partyfritzen das Feld zu überlassen. Und genau wie der Hafen und Sex gehört auch Livemusik zu St. Pauli und diese Tradition sollte man auch erhalten. Es ist mir wichtig, dass das hier nicht ein normales Amüsierviertel wird. Es ist wichtig, dass es Läden abseits des Touristen-Abfüllens gibt."

In von Businessplänen geleiteten Läden wird vielleicht mehr Geld verdient, aber dafür werden dort keine Geschichten entstehen. Wie beispielsweise die vom The Living End-Konzert, als es einen Rohrbuch gab und sich plötzlich ein Wasserfall aus der Wand ergoss. Der Grund, weshalb das Molotow zu den wichtigsten und legendärsten Clubs in Deutschland gehört, lässt sich vielleicht am besten mit Andis Antwort auf meine letzte Frage beantworten. Ich wollte von ihm wissen, worauf er nach all den Jahren besonders stolz ist:

"Dass es diesen Laden noch gibt."

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Nächstes Mal geht's nach Frankfurt am Main in die Batschkapp.

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