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Genre Lifestyle

Was wir über Heimat gelernt haben, als wir drei Wochen lang nur CSU-Accounts gefolgt sind

In dieser Heimat wird viel Bier getrunken, aber nicht jeder darf dabei mitmachen.
Fotomontage: Foto von Markus Söders Facebook Account

Wenn Bergbauern im Mai ihre Pfingstochsen auf die Alm treiben, schnallen sie ihnen ein Blumengesteck auf die massigen Schädel. Die CSU holt aktuell lieber einen verstaubten Filzhut wieder raus, auf dem groß das Wort "Heimat" steht, und buhlt damit um Aufmerksamkeit. Wie andere konservative und rechte Parteien nutzt sie den Begriff als Vehikel, um ihre Ideen zu verbreiten und mitzudebattieren. Teilweise mit Erfolg. Seit der neue Innenminister Horst Seehofer auch das neu geschaffene Ressort Heimat verantwortet, versuchen viele zu begreifen, was der CSU-Politiker damit vorhat. Doch selbst das Innenministerium tut sich bei der Antwort bisweilen schwer.

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Der Punkt "Heimat" ist auf der Seite des Bundesinnenministeriums noch in Arbeit | Screenshot: Website des BMI

Horst Seehofer selbst sagte in einem Gastbeitrag in der FAZ, beim Begriff Heimat gehe es darum, Zusammenhalt zu schaffen, indem man sich an gemeinsamen Werten und Grundrechten orientiere. Heimat sei nicht nur der "Ort, wo wir leben, es ist auch und vor allem die Art, wie wir leben", schrieb Seehofer.

Wie könnte diese Heimat aber konkret aussehen, wenn ein CSU-geführtes Ministerium sie definiert? Auf welche “Art" leben CSU-Menschen? Wird bald ganz Deutschland wie Bayern oder doch alles ganz anders? Um das herauszufinden, sind wir drei Wochen lang 26 Facebook- und Twitter-Accounts von CSU-Politikern und -Politikerinnen auf Landes- und Bundesebene gefolgt sowie den Accounts des Bundesinnenministeriums.

Das haben wir gelernt:

Heimat ist christlich-abendländisch … ach ja, und jüdisch

Screenshot: Facebook | Horst Seehofer

In einem Balanceakt zwischen "Wir sind christlich-abendländisch geprägt" und "Ups, jüdisch ja auch" torkelte die CSU in den vergangenen Wochen zwischen Kreuz und Kippa hin und her. Am fünften Tag in der CSU-Onlinewelt schuf Markus Söder das Kreuzgebot. Demnach solle in jeder bayerischen Behörde ein christliches Kreuz hängen. Jede Kritik daran wies die Partei vehement zurück. Die parallel geführte Debatte um steigenden Antisemitismus in Deutschland nutzte der CSU-Generalsekretär Markus Blume, um von der Kreuz-Diskussion abzulenken und gegen die Grünen auszuteilen, die ihre eigenen Werte verleugnen würden, indem sie sich angeblich lieber über Kruzifixe als Antisemitismus aufregen. Außerdem vergaß Blume, dass sich die CSU mit dem Kreuz auf ein kulturelles und nicht christliches Symbol geeinigt hat:

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Wem jetzt noch nicht klar war, wie dogmatisch die CSU in ihrer Forderung zu Kruzifixen in bayerischen behörden ist, dem half der CSU-Bundestagsabgeordnete Georg Nüßlein. Bei Facebook bezeichnete er Kardinal Marx als unglaubwürdig, weil sich dieser gegen das Kreuzgebot ausgesprochen hatte. Die CSU wirkte hier wie wie ein trotziges Kind, das einfach nicht einsehen mag, dass es einen Fehler gemacht hat. Und obwohl Horst Seehofers Worte, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, wohl mittlerweile auch der letzte Exil-Deutsche auf Malle gehört hatte, hörte die CSU nicht auf, sie immer wieder zu wiederholen. Dabei entstand der Eindruck, die Partei wolle sich eher selbst von ihren Ideen überzeugen als alle anderen. Weil das alles aber noch nicht ausreichte, erklärte Seehofer bei Facebook nochmal: "Die CSU erstrebt eine staatliche Ordnung auf der Grundlage des christlichen Welt- und Menschenbildes."

Heimat ist männlich

Als Dorothee Bär, Staatsministerin im Kanzleramt, bei Twitter die Frauenquote für sich entdeckte und fragte, wann denn die "SpeakerINNEN" für die Medientage Mitteldeutschland angekündigt werden, kommentierte ein Nutzer "Ach ja, Steine und Glashaus". Das könnte daran liegen, dass das CSU-geführte Bundesinnenministerium nur mit Männern besetzt ist.

Auch die Junge Union München-Land präsentierte sich auf einem Foto von der bayerischen Sozialministerin, Kerstin Schreyer, fast als reine Männergang. Dass da Heimat ist, wo die Männer bestimmen, zeigte auch Joachim Herrmanns Bericht von der Konferenz der Unions-Landesinnenminister: Auch diese sind alle männlich. (Die einzige Frau auf dem Foto ist Ilka Lochner von der Landesvertretung Mecklenburg-Vorpommern in Berlin.) Daran änderte auch das gut gemeinte Posting der CSU-Bundestagsabgeordneten Daniela Ludwig zum Girl's Day wenig, besonders wenn die Parteifreunde nicht mitziehen. Ihre Bundestagskollegin Silke Launert postete Fotos von einem Besuch an einem Stammtisch – um den aber auch wieder nur Männer saßen.

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Heimat ist, wo der Alkohol fließt

Wäre Deutschland so, wie viele CSU-Mitglieder es in sozialen Netzwerken darstellen, hätten die Ärzte und Krankenkassen noch ein bisschen mehr zu tun: In einigen Posts prosteten sich Politiker mit vollen Bierkrügen zu, in anderen standen sie zumindest dekorativ im Hintergrund. Dem Bundestagsabgeordneten Hans Michelbach gefiel auf Twitter ein Repost eines Welt-Artikels, in dem Oberfranken die weltweit größte Brauereidichte zugestanden wird. Auch Bilder wie diese begegneten uns immer wieder:

Markus Söder will die "Heimatwirtschaften" in Bayern mit 20 Millionen aus dieser Tourismusoffensive fördern, um die dörfliche Wirtshauskultur zu erhalten. "20 Mio fürs Saufen? Wissen Sie, was die ganzen Leber- und Herzkranken die Allgemeinheit kosten??", schrieb eine Twitter-Userin unter der Ankündigung.

Heimat ist viel Vergangenheit und ein bisschen Zukunft

Auf gefühlt jedem zweiten Foto auf CSU-Accounts sahen wir Menschen in Tracht. Verziert wird das meist mit dem Hashtag #brauchtumbrauchts. Markus Söder trieb den Brauchtumswahn auf die Spitze, als er offenbar der Meinung war, er müsse auch in der Bayerischen Vertretung in Brüssel die germanischen Waldgeister gütig stimmen und dort einen Maibaum aufstellen:

Doch Söder kann auch Zukunft und verkündete zwei Tage darauf, in Bayern eine Raumfahrtoffensive namens "Bavaria One" zu starten. Ob in bayerischen Raketen auch Kreuze hängen müssen, ließ er dabei offen.

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Heimat ist nicht für alle da

"Sicherheit" wird bei der CSU groß, mit dreifachen Ausrufezeichen und in extrafetter Frakturschrift geschrieben. Zumindest wenn man nach der Social-Media-Aktivität geht, ist der Begriff gleichbedeutend mit weniger Einwanderung. Über dem Link zur Zusammenfassung seines neuesten Spiegel-Interviews schrieb Horst Seehofer, seine "Anker-Zentren" werden dazu beitragen, "dass es deutlich weniger Zuwanderung nach Deutschland gibt". Anker steht hier für Ankunft, Entscheidung, Rückführung, was im Grunde den Ausgang jedes Asylbescheids vorwegnimmt. Die Ereignisse um die gescheiterte Abschiebung in Ellwangen nannte Seehofer in einer Pressekonferenz, die das BMI auf Twitter teilte, einen "Schlag ins Gesicht der rechtstreuen Bevölkerung", als hätte nie zuvor jemand versucht, einer Verhaftung zu entgehen. Aber alle Rechtsmittel auszuschöpfen, um eine Abschiebung zu verhindern, fand der Vorsitzende der CSU im Bundestag, Alexander Dobrindt, auch nicht toll, und sprach in diesem Zusammenhang von einer "Anti-Abschiebe-Industrie".

Fazit

Nach drei Wochen in den Social-Media-Accounts der CSU stützt sich Heimat auf die Säulen Christentum, Patriarchat, Alkohol, Tradition und Abschottung – eine heile Welt für weiße Männer im 19. Jahrhundert. Auf schwierige Fragen gab es einfache Antworten und im Vergleich zu rechten Filterblasen, in denen man meist denkt, die Welt steht kurz vor der Apokalypse, ist es hier beinahe gemütlich – solange man in diese heile Welt passt. Denn obwohl die CSU auch im Internet immer wieder christliche Werte betont, folgt sie ihnen nicht überall, zum Beispiel in ihrer Flüchtlingspolitik. Denn Geflüchtete bedeuten Veränderung und vor Veränderungen versuchen die CSU-Mitglieder, sich offenbar so gut wie möglich zu schützen. Bleibt zu hoffen, dass sich Horst Seehofer als neuer Innenminister im Ressort Heimat daran erinnern wird, dass er jetzt für ganz Deutschland zuständig ist und nicht nur für das Bayern der CSU.

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