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Promowahnsinn auf der Gamescom—Ein Tag mit Chvrches

Wir haben Chvrches begleitet, als sie auf der Gamescom mal etwas andere Promo für ihr neues Album ‚Every Open Eye‘ betrieben haben.

„Danke, dass du uns an diesem wirklich seltsamen Tag begleitest!“

Wenn du eine Band bist, deren erste Songs bereits einen lautstarken Hype ausgelöst haben, der vom Debüt auch noch gerechtfertigt und sogar gesteigert wurde, musst du die Bedienungsanleitung der stetig mutierenden Mechanismen der Musikbranche eben beim Sprinten zwischen Musikstudio, Interviewtermin, Fotoshooting und Videodreh auswendig lernen. Und bei ganz speziellen Promotagen kannst du sie dann irre gackernd zerreißen, weil dich auf manche Situationen wirklich nichts vorbereiten kann. Wie beispielsweise auf einen Tag auf der größten Videospielmesse der Welt, der Gamescom. Wo sich in vier Tagen über 340.000 Menschen anrempeln, durch die Gänge drängeln, dank der stickigen Luft und kläglich versagender Klimaanlage schwitzen und vier Stunden warten, um zehn Minuten in einer künstichen Welt zu verbringen.

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„Keiner in der Band sagt sich: ‚Fuck, ich will hundert Radio-Interviews machen! Es gehört zum Job dazu“, so Lauren, Sängerin der Synth-Popper Chvrches kurz nach unserer Ankunft auf der Messe. Ich hatte sie gefragt, ob sie sich auf die Promo-Phase für das neue Album Every Open Eye gefreut hatte. Doch leider kann ich ihre Antwort nur höflich lächelnd und nickend quittieren—ich verstehe kein Wort von dem, was sie sagt. Dafür ist der Lärm der abertausenden Besucher selbst hier, in der abgetrennten Social Media Lounge, einfach zu laut. Hinter uns liegt ein fünfminütiger Gang durch die Hallen. Unsere Trommelfelle wurden dabei von krachender Musik geschlagen und unsere Gehirne gezwungen, die unzähligen Bilder auf flimmernden Monitoren zu verarbeiten, während wir uns durch Menschenmassen schlängeln und vorbeiziehenden Kostümierten einen zweiten oder sogar einen dritten Blick würdigen mussten. Vielleicht wippt Lauren deshalb so unaufhörlich mit dem Fuß und redet wie ihre beiden Kollegen Iain und Martin sehr schnell. Eigentlich fühlen wir uns alle wie ein Rehkitz, das in eine Rummelbums-Disko geworfen wurde—ziemlich gestresst.

Nachdem Chvrches im Mai 2012 durch ihren Song „Lies“ die tippenden Finger von Musikbloggern elektrisierten, dank des nächsten Tracks „The Mother We Share“ den Feuilleton restlos überzeugten und mit dem langersehnten Debüt The Bones of What You Believe recht hoch in den Charts einstiegen, war klar: Jetzt würde es erst richtig losgehen. Da vor allem im englischsprachigen Raum hoch gechartet wurde, konzentrierten sich die drei Glasgower die nächsten Jahre auf den US-Markt und tourten sich den Arsch ab. Zurück in Glasgow schrieben und nahmen sie schließlich Songs für ihr im September erscheinendes Album auf, wofür jetzt weltweit die Werbe-Maschinerie heißläuft. Weil zehnstündige Interview-Sessions in wechselnden Großstädten des abzugrasenden Marktes auf Dauer ziemlich anstrengend sein können, Iain und Martin in den Socials offen mit ihrer Leidenschaft für Videospiele umgehen und Chvrches bereits in drei Videospielen (FIFA 14, Forza Horizon 2, Gran Turismo 6) zu hören sind, war die Gamescom eine willkommene Gelegenheit, ein wenig abseits vom sonstigen Band-Fokus Promo zu machen.

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Das ist für Iain und Martin großartig, können sie doch gleich neue Spiele anzocken und die neuesten Entwicklungen dieser unaufhaltsam wachsenden Unterhaltungsindustrie verfolgen: „Musik und Videospiele ergänzen sich. Je mehr sich die Plattformen entwickeln, umso mehr können wir darüber mit unseren Fans kommunizieren“, sagt Martin, bevor wir auch schon wieder zum ersten Termin weiter müssen. Um uns möglichst schnell durch das Menschenmeer zu schiffen, werden wir von vier Securitys umringt, die links und rechts Passanten wegpaddeln. Sehr absurde Situation. Kaum angekommen, wird die Band auf ein weißes Sofa gesetzt und darf nach einem kurzen Interview mit den Entwicklern schließlich den neuesten Teil von Rock Band 4 spielen. Das Ganze wird live über die Plattform Twitch gestreamt und so sitzen gerade über 10.000 Menschen zu Hause vor ihrem Bildschirm und schauen der Band Chvrches zu, wie sie mit Plastik-Instrumenten eine Version von Paramores „Ignorance“ performen. Das ist einer der Momente, über den Martin am Abend sagen wird: „ Da sind die beiden Welten einfach perfekt miteinander verschmolzen. Leute, die deine Musik mögen, wollen eben auch mehr von dir als Person erfahren.“ Umringt wird das Ganze von den allgegenwärtigen Schlangen, die sich an riesig hohen, bunt bedruckten Stellwänden entlangschlängeln. Viele Besucher haben Campingstühle mitgebracht. Diejenigen, die keinen Bock auf dieses zusätzliche Gepäck hatten, werden am Nachmittag einfach auf dem Boden lümmeln.

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Nach dem eingeschobenen Mittagessen geht es weiter, diesmal sollen sie ihre Skills im neuen Street Fighter V beweisen. Dafür wird die Band auf eine der zahlreichen Bühnen gebeten und befragt, wie sie denn zu Games stehen. „Die beiden Jungs sind die Gamer, ich bin nur als Unterstützung hier und um zu lernen“, so Lauren. Die Frage, ob sie denn auch spiele, wird sie heute noch oft zu hören bekommen. Iain beweist, dass er sich nicht aus Promo-Zwecken als „Gamer“ bezeichnet: Obwohl er diesen bisher unveröffentlichten Teil der Beat ‘em up- aka Prügelspiel-Reihe logischerweise noch nie gespielt hat, schlägt er die anwesenden YouTuber trotzdem vernichtend. Erst ein Mitarbeiter, der das Spiel mitentwickelt hat, kann ihn besiegen. Dafür gibt es anerkennenden Applaus vom Publikum, das ansonsten eher den YouTubern lärmende Liebe entgegenbringt. Und selbstverständlich dem Moderator, schmeißt er doch in unregelmäßigen Abständen Sachen auf sie.

Vom verdienten Siegergefühl beseelt, geht es weiter, vorbei an den gerade performenden Genetikk in eine andere Halle. Bevor Chvrches die nächste Bühne betreten, flimmert ihr Video zu „The Mother We Share“ über drei riesige Bildschirme und tönt laut durch die Halle. Ein ungewohnter Anblick, haben sich die Augen doch schon längst an die künstlich kreierten Bilder der ewig abspielenden Videospiel-Sequenzen gewöhnt. Wieder werden die Drei interviewt, bevor sie sich im neuen Just Dance messen müssen. Was bei Rock Band hervorragend funktioniert hat, wirkt jetzt befremdlich. Eben weil eine Band, die einen Band-Simulator spielt, eben eine interessantere Konstellation ist als Musiker, die plötzlich cool tanzen sollen. Hilflos quälen sie sich durch den Song, versuchen die irritierenden Tanz-Grafiken richtig zu interpretieren und wollen eigentlich nur noch so schnell wie möglich runter von der Bühne. „Auch wenn du denkst ‚Was zur Hölle geht hier ab?’, musst du respektvoll sein. Die Leute laden dich in ihre Welt ein, die ihnen so viel bedeutet“, so Lauren später. Denn als die Moderatorin fragt, welchen Song sie als nächsten tanzen wollen, spiegelt sich ihr freundliches Lächeln in Laurens vor Schreck geweiteten Augen. Dankend lehnen sie ab und widmen sich einigen Fans, schenken ihnen signierte Alben und machen Fotos. Jetzt scheinen sie sich wieder deutlich wohler und vertrauter zu fühlen.

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Nun geht es auf eine neue Bühne, oben beim Food Court. Hier werden Chvrches von zwei überambitionierten YouTubern empfangen, die mit ihnen auf verhaspelten Englisch („Das ist heute mein erstes Interview auf Englisch!“) sprechen und mit der ganzen Situation restlos überfordert sind, sodass Lauren eine eigentlich viel zu aktive Rolle einnimmt. Als ich sie später auf dieses Interview anspreche, werde ich von der Band nur ein lautes Stöhnen zu hören bekommen. „Nach dieser Erfahrung weiß ich, dass ich alles moderieren könnte, Hochzeiten, Bar Mitzwas, was auch immer“, so die improvisierende Lauren, die irgendwann zum schwitzenden Host sagt: „Du bist doch der Moderator, dann moderiere doch endlich“. Es folgen die altbekannten Fragen, die von der Band trotz der absurden Umstände freundlich lächelnd beantwortet werden. Das gehöre eben zum Job dazu. Ganz egal, wie oft sie manche Fragen schon gehört haben, der Interviewer stelle sie ja zum ersten Mal, so wie jedes Konzert für das Publikum auch eine neue Erfahrung sei. Iain wirft lachend ein: „Aber wenn noch irgendjemand fragt, woher das „v“ in „Chvrches“ kommt, wird er sterben.“ Jetzt auf VICE: Ein Versuch, das Games-Business auf der Gamescom zu verstehen Wieder schießen sie nach dem kurzen Auftritt Fotos mit Fans und signieren CDs und Vinyls. Dann ist es vorbei—wir werden in den Business-Bereich der Spieleschmiede EA geleitet. Hier gibt es neben jede Menge geschäftlich aussehender Herren auch eine große Bar und Freibier. Schnell gesellen sich zwei EA-Leute zu der Band. Es wird darüber geredet, ob nicht Chvrches einen Song zu einem neuen Spiel beisteuern wollen. Wieder einer dieser Momente, bei dem die Verschmelzung der beiden Welten komplett Sinn macht.

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Nach dem Abendessen müssen Chvrches noch im Van über Handy-Internet ihr neues Musikvideo abnehmen. Morgen werden sie wieder früh aufstehen. Ein langer Promo-Tag in London wartet. Ich frage sie, ob das nicht eigentlich merkwürdig sei, neben dem eigentlichen Musiker-Dasein noch so viel Arbeit in die Promotion zu stecken. Martin antwortet entschieden: „Wenn mir jemand sagt, dass ich entweder weiterhin nervige Fragen beantworten oder wieder bei McDonalds arbeiten muss, würde ich ihm sagen: ‚Komm schon, frage mich, was das „v“ in Chvrches bedeutet!’“

Every Open Eye erscheint am 25. September. Du kannst es bei Amazon und iTunes vorbestellen. Mehr Informationen zu Chvrches findest du auf Facebook und Twitter.

Julius ist auch bei Twitter: @Bedtime_Paradox

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