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Rudis Brille: Von uns wars keiner—Gedanken zum Wahlverhalten im Clubland

Rudi hat sich Gedanken zur bevorstehenden Wahl gemacht.

Foto via Flickr | jvpwien | CC BY 2.0

In den letzten Tagen vor dem Stichwahltag geben alle noch einmal was sie können. Es wird gepostet, postuliert, mit #bussi geküsst, gehatet, es werden Titelbilder ausgetauscht, Wahlkarten (ausgefüllt) abfotografiert, Gedichte geschrieben. Es wird viel nachgedacht, was passieren könnte, wenn das Unmögliche geschieht.

Es formieren sich Allianzen, es werden (endlich) wieder neue Facebookgruppen gegründet und vor allem in der DJ-, Clubbetreiber-, Veranstalter- und Musikerszene dürfte der Kandidat Van der Bellen weit über 90 Prozent—wenn nicht noch mehr—Zustimmung erhalten. Blau—so behaupten zumindest alle auf Facebook—, blau wählt hier niemand. Das war aber 1945 auch schon so, da wars auch niemand. Auch wenn wir natürlich in unserer Blase leben und blabla … das Schlagwort haben nun auch schon viele überstrapaziert.

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Warum ist das so? Nun, DJs—egal welchen Stil sie auflegen (ich spreche hier vom extrem ausgedehnten Feld zwischen HipHop und Techno)—wollen mit ihrer Musik Menschen schöne Stunden bereiten. Techno, Drum'n'Bass—von HipHop ohnehin ganz zu schweigen—sind und waren ja stets auch politische Ausdrucksformen. Es ging um Freiheit, genauso wie um so schwülstige Schlagworte wie Liebe, Gemeinschaft und Frieden (im Techno), aber nie um Nationalismen oder Ausgrenzung.

DJs wollen—im besten Fall—grenzübergreifend in Clubs spielen, egal wo, für alle gleichsam interessant sein, ihre Musik soll keinen Grenzkontrollen unterliegen. Nahezu 100 Prozent aller bekannter DJs aus fast allen Segmenten [auch dem vielgeliebten (!) EDM] machen sich zumeist für völkerverbindene Dinge stark. Für Clubveranstalter gilt zumeist dasselbe. Die Besitzer tun sich manchmal etwas schwerer, sich zu artikulieren, da sie ja noch am meisten mit den Mühlen der Gesetzgeber und der Exekutive zu tun haben, die ja in Wien bei weitem nicht mehr so weltoffen eingestellt sind.

Und Clubbesitzer müssen ja, wollen sie überleben, den schweren Spagat wählen und beim Publikum nicht zu viele Fragen stellen, schon gar nicht, wenn HC oder Ritter Jon dort schon ein- und ausgegangen sind. Beim Publikum ist man sich ja leider nicht mehr so sicher, hier hört man oft dumpfes Gerülpse in letzter Zeit, man habe die Belehrungen satt und es sei mal an der Zeit und so geht es nicht weiter … ja an welcher Zeit ist es dann und wie geht es dann weiter?

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Klar, in unserer Stadt ist zuletzt einiges passiert, es sind Verbrechen geschehen, es gibt kriminelle Hotspots in der Stadt, die zweifelsohne thematisiert gehören, doch hat sich der Gratisboulevard dessen nun auch genüsslichst bedient und die Gesellschaft noch ein wenig mehr aufgeheizt. Doch genau uns allen, die wir ein wenig die "Unterhaltungsbranche" auf gehobenem Niveau in der Stadt Wien repräsentieren, kommt hier eine gewichtige Bedeutung zu.

Selten zuvor gab es solche Einigkeit was die Frage aller Fragen am Sonntag angeht. Selten zuvor wurden—ansonsten auch apolitische—Protagonisten aus dem Nacht- und Clubleben so deutlich wie dieses Mal. Klar, auch jetzt darf man sich nicht im Ton vergreifen, man darf nicht Wähler der Gegenseite pauschal ausschließen aber man darf sagen, welche Gesinnung, welche Haltung man nicht wünscht. Man kann es sich ohnehin nich wirklich aussuchen, wer deklariert sich denn schon als Blauwähler an der Türe, aber die Intensität, mit welcher der anonyme Mob stets über einen herfällt, wenn man sich denn politisch klar festlegt, ist schon erstaunlich. Man wird von einer Armee der Finsternis beschimpft, beleidigt, und bedroht , als ob sich im Internet via gewisser Codes Schleusen öffneten und der ganze geistige Müll der letzten 70 Jahre sich nun ungebremst verbreiten kann.

Screenshot via YouTube.

Diese Erfahrungen haben in den letzten Jahren und auch nach dem letzten Wahlgang einige machen dürfen, nun ist man klüger geworden. Man bekämpft Feuer nicht mehr zwingend mit Feuer sondern durch positive Aktionen. Im Jahr 2000—damals gab es gottlob noch kein Facebook—hatten wir in diesem Land schon einmal die Erfahrung gemacht. Damals hieß es am Profil Titelcover "Die Schande Europas" und in schaurigem Schwarz sah man Jörg Haider und Wolfgang Schüssel den Regierungspakt unterschreiben, es folgten Proteste, wie sie das Land noch nie gesehen hatte mit Schlagstöcken und Wasserwerfern, Jahre andauernde Donnerstagsdemonstrationen und schließlich auch "Sanktionen" aus dem EU-Ausland—eine Tatsache, die wohl diesmal nicht passieren wird, zumal rechte und rechtskonservative Tabubrüche seither in Europa auf der Tagesordnung waren (siehe Ungarn, Polen, Italien). Das Land war schon einmal zutiefst gespalten und ausländische Politiker mieden damals Österreich, genauso wie es damals beschämend war, dass viele Kulturveranstaltungen deswegen in ein schiefes blaubraunes Licht gerückt wurden. DJs, Bands und Künstler weigerten sich nach Österreich zu kommen, weil sie sich in einer autoritären Halbdikatutur wähnten.

Ich war damals Veranstalter des con:verse in der Meierei und der legendäre Detroiter DJ und Produzent Claude Young weigerte sich, wegen der (sehr seltsamen) Berichterstattung in den amerikanischen Medien, nach Österreich zu kommen. Man hatte Angst, ein rassisitsiches Regime wäre an der Macht, man sah im TV tatsächlich Hitler über den Heldenplatz fahren, während man über Jörg Haider berichtete, es war schlicht und ergreifend furchtbar, was die Text-Bildschere im Fernsehen an Plattheit zustande brachte.

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Ich schrieb damals einen Brief an die Agentur von Young. Ich sagte, dass wir—die DJs, die Leute die diese Art von Clubs machen—ja wohl die Falschen seien, die man mit einem Boykott bestrafe. Dass wir ja ohnehin diejenigen seien, aus denen sich der Kern des Protestes gegen eine rechte Regierung, bestehend aus zum Teil deutschnationalen Burschenschaftern, rekrutiert. Dass man uns eigentlich unterstützen nicht strafen müsse. Dann kam er am Ende doch, ganz im Gegensatz zu einigen anderen bekannten Acts jener Zeit (Ashley Beedle etwa).

Die Sanktionen und Proteste damals waren überzogen. Das wissen wir heute, es war viel Polemik und Blödsinn dabei. Das wissen wir auch. Das "neue" Programm für Österreich entpuppte sich als Umfärbungsprogramm vom Feinsten, als Wiege für neue Finanz und Politskandale. Doch viele haben das Theater damals nicht vergessen.

Nun haben wir 2016, haben Youtube, Twitter und Facebook, haben zig Medien und Sprachrohre mehr, doch die Frage bliebt: Wird man 2016 auch wieder Briefe schrieben müssen, um Künstler dazu zu bewegen, bei uns aufzutreten. Wird dann ein simples Bussi noch reichen? Oder werden wir dann wieder die sein, die eine Protestbewegung formieren müssen, weil diejenigen, die wir erfreuen wollen nun so unerfreut sind und wieder einmal einen "Denkzettel" schreiben müssen?

Ich würde lieber Briefe (heute sind es wohl Mails) schreiben, dass es noch einmal gut gegangen ist. Ich hoffe, die Leser dieser Zeilen auch. Darum: Geht wählen, auch wenn die Afterhour noch so lustig, die Sonne noch so warm oder die Alternativen noch so verlockend sein mögen! Die "Anderen", die "Unzufriedenen" werden dies mit der ihnen anheimen Verbissenheit tun. Und wir wollen keine Briefe mehr schreiben … auch nicht aus unserer geschützten Blase.

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