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Interviews

Sierra Kidd gibt keinen Fick auf Promophasen

Keine Ankündigung, keine Pre-Order-Links, keine Interviews—Sierra Kidd hat heute mal eben sein neues Album ‚FSOD‘ rausgehauen. Wir haben ihn gefragt, was das soll.

Sierra Kidds Werdegang begann, als er 2012 den XX-Hit „Angels“ samplete, mit minimalistischen Drums unterlegte und melancholisch über seine „Kopfvilla“ darauf rappte. Kurz darauf war der damals 16-Jährige ein Internet-Hype. Es folgten Kollaborationen mit Vega, Chakuza, Tua oder Prinz Pi, ein Signing bei RAF Camorras Label Indipendenza und der Top10-Charteinstieg mit seinem Debütalbum Nirgendwer. Am 25. September veröffentlicht Manuel Jungclaussen—so Sierra Kidds bürgerlicher Name—plötzlich sein neues Album FSOD. Einfach so, ohne Ankündigung, Pre-Order-Links, Audios, Musikvideos oder Interviews, eben komplett ohne Promo. Einzig „Glo Gang Team Fuck Sleep“, das Feature mit Money Boy, war ein Hinweis auf die neue Richtung, die Sierra Kidd nun geht. Es fällt auf: Er hat hörbar an seinem Sound geschraubt. „Rosalilapink“ weicht „All black everything“, catchige Pop-Hooks werden zu cloudy New Gen-Rap mit Trap-Anleihen. Wir haben mit ihm über Marketingstrategien, seinen Hass auf Facebook und Money Boy als Wegbereiter geredet.

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Noisey: Wie kamt ihr auf die Idee, das Album über Nacht ohne jegliche Promotion zu releasen?
Sierra Kidd: Wir waren immer eine Gang, die auf Regeln geschissen hat. Beim Mixtape Kopfvilla damals habe ich auch ein Surprise-Release gedroppt. Wir wollten uns da nie beschränken. Wir arbeiten nicht nach den typischen Schemata der Musikszene. War das vielleicht auch von Drakes letzten Moves beeinflusst? Der hat schließlich sein letztes Album If You're Reading This, It's Too Late auch über Nacht veröffentlicht, das Tape mit Future kam ebenfalls ohne große Vorankündigungen oder Video raus.
Ja, klar schauen wir auch in die USA. Aber eigentlich haben wir das schon lange im Kopf gehabt. Schon nach meinem Debütalbum meinte Hadi [Anm. d. Red.: Hadi El-Dor, Sierra Kidds Manager]: „Schau mal, keine Promo ist die neue Promo“. Es gibt einfach so viele Blogs und der Markt wird jeden Tag mit Musikvideos, Interviews und Liedern geflutet, so dass manchmal ein Ausrufezeichen aus dem Nichts die meiste Aufmerksamkeit verschafft. Es hat jetzt einfach gepasst, weil das noch keiner in Deutschland gemacht hat und wir somit die Pioniere sind. War das für dich jetzt im Vorfeld des Albums entspannter, weil du keine Termine wahrnehmen musstest?
Naja, teilweise schon, weil man gemerkt hat, dass man jetzt keine Dinge machen muss, die sonst an der Tagesordnung stehen. Aber keine Promo ist auch falsch: Heute um 20:00 Uhr spielen die ganzen Radiostationen das Album rauf und runter, mit vielen von ihnen werde ich mich unterhalten. Die Promo kommt jetzt einfach zeitversetzt. Und durch die Größe, die wir mittlerweile erreicht haben, können wir uns aussuchen, mit wem wir zusammenarbeiten. Das ist auch ein Teil, dieser „neuen“, anderen Promo.

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Glaubst du, dass solche Vermarktungsstrategien die Wertschätzung für Musik erhöhen?
Total. Kunst wird mittlerweile so arg entwertet. Wenn ich die ganzen Künstler sehe, die jedes Jahr ein oder zwei Alben droppen, und das dann auch noch mit ewig langen Promophasen ankündigen, in denen sie ihre Premiumboxen bewerben, könnt ich kotzen. Lieber warte ich zwei oder drei Jahre auf ein Album, dass dann „fire“ wird. Scheiß mal auf Promo. Die Deutschen müssen wieder den künstlerischen Prozess in den Vordergrund stellen, anstatt Alben mit behinderten Premiumboxen, Street-Singles und hingeklatschten Videos abzuliefern. Warum wurden alle deine Social Media-Accounts stillgelegt? Ist das ein gezielter Move, um einen möglichst hohen Überraschungseffekt zu erzielen, wenn das Album dann kommt?
Mit der Löschung von Facebook ist es tatsächlich ein unabhängiger Prozess gewesen, weil ich Facebook einfach hasse. Das hab ich einfach gemacht—und dann meinte Hadi: „Deaktivier’ die anderen doch auch.“ Das fand ich dann cool. Und natürlich auch, damit die Leute merken, da passiert etwas im Hintergrund, aber unvoreingenommen ans Album gehen. Sie sollen nicht das Album hören und dann denken: „Oh, dazu hatte er dieses Video, diesen Post, diesen Tweet.“ Sie sollen sich ein Urteil auf Basis der Musik bilden.

Fiel dir das schwer? Es ist ja heute ein großes Ding, sich von allen Social Media-Kanälen zu verabschieden.
Mir macht es nichts aus, mir ist Social Media nicht viel wert. Ich glaube, dass Privatsphäre ganz arg zurückkommt. Dadurch, dass Menschen sich so preisgeben im Internet, wird dieses Mysteriöse wieder viel spannender. Weil man plötzlich nicht sofort weiß, wer hinter einem Account steckt. In Amerika gibt’s ja auch BONES oder die ganzen Cloudrapper, die Social Media gar nicht richtig benutzen. Deshalb find ich auch diese ganzen YouTuber so schlimm, die überall ihre Fresse reinhalten.

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Wie ist das Album entstanden?
Das hat sich lange hingezogen, weil ich lange alleine daran arbeiten wollte. Dann merkte ich aber, dass Musikmachen für mich kein „Job“ werden soll, bei dem ich mich zu etwas zwinge. Young Kira hat das komplette Album produziert, mit Young Mokuba war ich bei ihm in Lörrach und wir haben gemerkt, dass wir richtig gut harmonieren und langfristig was Großes aufbauen wollen. Was uns wichtig war: Wir wollten ein Konzeptalbum mit eigenem Sound—und nicht die ewig gleichen Anhäufungen von Thementracks.

Deine Musik ist auf jeden Fall reifer geworden. Du gehst jetzt auch soundtechnisch einen anderen Weg: In der Anfangszeit deiner Karriere war deine Musik sehr poppig, heute klingt das eher nach düsterem Cloud Rap.
Das Ding ist: Eigentlich war ich schon immer so. Meine alte Musik war eigentlich gar nicht mein wirkliches Ich, aber das hatte sich so ergeben, weil ich catchy sein wollte. Jetzt ist meine Musik auch viel mehr davon geprägt, was ich privat höre und mit was für Leuten ich abhänge. Ansonsten habe ich natürlich viele Erfahrungen gesammelt, die mich reifer haben werden lassen, allein die Zeit in Berlin und das Signing bei RAF.

Du sprichst auf dem Album viel von dieser Zeit in der Hauptstadt und wie schlecht es dir dort ging. Was war damals los?
Das war ein Doppelleben, das ich mit 16 führte. Ich war bei RAF gesignt, mit ihm unterwegs, bei Rock am Ring und Rock im Park, hatte Charteinstiege, war bei Studiosessions. Irgendwann wurde mir das einfach zu viel. Denn zeitgleich hatte ich kein Geld und kam nicht darauf klar, alleine zu wohnen. Mit 16 hast du keine Ahnung, wie man einen Haushalt führt. Irgendwann hatte ich kein Besteck, keine Möbel in der eigenen Wohnung und merkte, dass das so nicht klargeht. Ich kam auch zum ersten Mal in Kontakt mit illegalen Substanzen. Das war eine schwierige Zeit, die Großstadt hat mich überfordert. Jetzt wohne ich wieder bei meiner Familie, bin viel in Deutschland unterwegs—das tut mir gut. Im deutschsprachigen Raum gibt’s gerade einige Künstler und Movements, die in eine soundtechnisch ähnliche Richtung gehen. Findest du Sachen wie LGoony, Crack Ignaz und Yung Hurn auch cool?
Ich weiß, dass LGoony mich nicht mag, aber an dieser Stelle ein Shoutout: Ich respektiere den, feiere die Musik. Gleiches gilt auch für Crack Ignaz und Yung Hurn. Yung Hurn ist für mich so der deutsche BONES. Man muss aber auch sagen: Die würde es alle so nicht geben, wenn Money Boy nicht den Weg für sie bereitet hätte. Dass wir heute alle am Start sein können, haben wir schon ihm zu verdanken. Was feierst du ansonsten noch so in Deutschland?
Dass MoTrip sich so viel Zeit gelassen hat für sein Album, fand ich richtig gut. Man hört, dass es stimmig ist. Nasty Mena wird noch richtig groß. Dat Adam machen sehr eigene Sachen, das Yung Kira-Album wird überfett werden, das geht richtig Ham, wenn das kommt. Natürlich hoffe ich wie jeder immer noch auf das Casper-Raptape, das könnte richtig groß werden.

FSOD gibt es bei iTunes, Amazon und Google Play.

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