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Was hinter dem Skandal steckt, der gerade Facebook erschüttert

Bei der Affäre geht es um die Daten von 50 Millionen Nutzern, einen 28-jährigen Whistleblower und angebliche Manipulationen im Auftrag von Trump.
Bild: imago | TAR-TASS

Facebook steckt knietief im nächsten politischen Datenskandal. Erst im Herbst 2017 musste das soziale Netzwerk eingestehen, dass es von russischen Agenten systematisch zur Wahlbeeinflussung missbraucht worden ist. Nun wurde bekannt, dass die Daten von 50 Millionen Facebook-Nutzern illegal dazu verwendet wurden, um unschlüssige US-Wähler in die Arme Donald Trumps zu treiben.

Im Zentrum des Skandals steht die britische Analysefirma Cambridge Analytica: Für die Trump-Kampagne sammelte sie Millionen von Daten über potenzielle Wähler, mit dem Ziel, sie mit individuell zugeschnittenen Facebook-Anzeigen zur Wahl Donald Trumps zu bewegen. Jetzt wurde bekannt, dass die Firma die Daten auf illegale Weise bekam: über eine Facebook-App eines russisch-amerikanischen Wissenschaftlers, der die Daten offiziell für seine Forschung brauchte, aber heimlich an Cambridge Analytica verkaufte.

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Ein Whistleblower und früherer Cambridge-Analytica-Mitarbeiter hatte dem britischen Observer und der New York Times interne Unterlagen zugespielt, die das Datenleck belegen. Der Fall ist groß: Es geht um die Profildaten von 50 Millionen Nutzern – Likes, Angaben zur sexuellen Orientierung, politische Präferenzen, selbst Informationen über das soziale Umfeld. Denn die Facebook-App, die als Hebel für die Datensammlung funktionierte, sammelte nicht nur Informationen über die Nutzer, die die App verwendeten, sondern auch über ihre Facebook-Freunde. "Pro Person, die die App benutzt, erbeute ich 300 weitere Datensätze", beschreibt der Whistleblower seinen damaligen Job bei Cambridge Analytica. Das Ausspähen des sozialen Umfelds entsprach zum damaligen Zeitpunkt Facebooks Regeln für Apps, 2015 änderte das Netzwerk die Bestimmung.

Facebook bestätigte die Vorwürfe in einem Statement, wehrte sich jedoch wortreich gegen den Begriff des "Datenlecks", da keine Systeme infiltriert oder Passwörter gestohlen worden sein.

Die Dimension des Skandals ist bislang noch nicht abzuschätzen. Bereits im letzten Jahr sorgte Cambridge Analytica mit einer scheinbar mysteriösen Geheimformel zur Wählerbeeinflussung für Furore. Nun ist klar, dass die Firma womöglich illegal an die Daten gekommen ist. Doch welche Rolle spielte Facebook dabei? Machen uns unsere Facebook-Profile zu leichten Manipulationsopfern im Informationskrieg? Werden bei Facebook jetzt die Köpfe rollen? Eine Einordnung.

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Worum geht es?

Der Psychologe Aleksandr Kogan hatte 2014 im Auftrag von Cambridge Analytica eine Facebook-App entwickelt, über die er Zugriff auf Millionen von Facebook-Profilen erhielt. Offiziell diente Kogans App "thisisyourdigitallife" Forschungszwecken: Teilnehmer füllten für den Wissenschaftler eine kleine Umfrage aus, im Gegenzug erhielten sie ein paar Dollar. Tatsächlich erfüllte die App einen anderen Zweck: Sie sollte Cambridge Analytica Daten liefern. Mit diesen Datensätzen trat die Firma später an ihre Kunden heran.

Der Cambridge-Analytica-Mitarbeiter Christopher Wylie hatte Kogan für die Kampagne der Firma rekrutiert. Kogan arbeitete am Psychometrie-Institut der Universität Cambridge an psychologischen Modellen, die die Persönlichkeit eines Menschen anhand von Facebook-Likes bestimmen sollen. Der russisch-amerikanische Wissenschaftler entwickelte die App, mit denen er letztlich an persönliche Informationen wie zum Beispiel Likes von 50 Millionen Nutzern kam. Davon waren nur 270.000 Menschen, die mit der App direkt interagierten. Der überwiegenden Teil der Daten stammte von Facebook-Freunden der App-Nutzer – ohne deren Wissen oder Zustimmung.

Diese Daten stellte er – illegal – Cambridge Analytica zur Verfügung, zur weiteren Verwendung: Mithilfe der umfassenden Daten über 50 Millionen Personen konnte Cambridge Analytica Wahlwerbung auf Facebook maßgeschneidert verbreiten. Für die individuelle Zuschneidung der Werbebotschaften zog die Firma die vom Psychologen Michal Kosinski entwickelte Ocean-Methode zu Rate, die auf Grundlage von Facebook-Likes die Persönlichkeit eines Menschen bestimmen soll – inklusive seiner politischer Präferenzen. Die Trump-Kampagne ließ sich das Unterfangen mehrere Millionen Euro kosten.

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Whistleblower Wylie sagte dem Observer: "Wir missbrauchten Facebook, um die Profile von Millionen von Menschen zu sammeln. Und um Modelle zu bauen, die alles ausnutzen sollten, was wir über sie wissen, und die auf ihre inneren Dämonen abzielen. Das war die Grundlage, auf der die gesamte Firma aufbaute."

Wer ist der Whistleblower Christopher Wylie?

Der Datenanalytiker Christopher Wylie half beim Aufbau von Cambridge Analytica. Über seine früheren Chefs sagt er im Observer: "Regeln interessieren sie nicht. Für sie ist das ein Krieg, und da ist alles erlaubt."

"Sie wollen einen Kulturkrieg in Amerika", so Wylie weiter. "Cambridge Analytica sollte das Waffenarsenal sein, um diesen Kulturkrieg zu führen."

Wylie nannte sich einen "neugierigen und naiven 23-Jährigen", als er bei Cambridge Analytica zu arbeiten begann. Nun bereue er "täglich", was er damals getan hat, so Wylie. "Ich muss das wieder in Ordnung bringen, und deswegen spreche ich öffentlich darüber."

Warum Wylie erst jetzt an die Öffentlichkeit geht, ist nicht bekannt. Wylie hatte dem Netzwerk zuvor angeboten, die verschwundenen Daten wiederzubeschaffen, doch sich wenig später geweigert, als Facebook seinen Account sperrte. Facebook begründet den Schritt in seinem Statement mit Wylies missbräuchlichem Verhalten.

Wie wurden die Facebook-Profile für die Trump-Kampagne verwendet?

Cambridge Analyticas vermeintliche Wundermethode der Wählerbeeinflussung basiert auf dem Ocean-Modell der modernen Psychologie, auch bekannt als Fünf-Faktoren-Persönlichkeitsmodell. Es besagt, dass die "Big Five" menschlicher Charakterzüge – Offenheit, Verträglichkeit, Neurotizismus, Extraversion und Gewissenhaftigkeit – die Persönlichkeit eines Menschen recht gut beschreiben können. Die "fünf großen" Charakterzüge eines Menschen werden in der Forschung meist mithilfe von Fragenkatalogen bestimmt. Der Psychologe Michal Kosinski entwickelte 2012 jedoch eine Methode, bei der er nur Facebook-Likes benötigte, um eine Persönlichkeit zu messen – durchschnittlich 68.

Die Methode verschaffte Kosinski die Aufmerksamkeit von Cambridge Analytica – die Kosinskis "revolutionären Methode" fortan verwendete, um mit psychologisch feinjustierten Werbekampagnen amerikanische Wähler der Trump-Kampagne zuzuführen. So erhielten etwa potentielle Trump-Fans am Tag der dritten Präsidentschaftsdebatte 2016 rund 175.000 verschiedene Variationen von Trump-Argumenten, die auch ihre errechneten Präferenzen zugeschnitten waren – Botschaften, die sich meist nur in mikroskopischen Details voneinander unterschieden. Aus Sicht der Firma stellte und stellt die Kombination aus dem psychologischen Ocean-Modell und ihren riesigen Datenschätzen eine hochwirksame Waffe in den Social-Media-Wahlkämpfen der Gegenwart dar.

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Doch bislang ist nicht bewiesen, ob diese Methoden des Facebook-Mikrotargeting auch tatsächlich das Abstimmungsverhalten der Wähler beeinflusst hat. Auch ist bekannt, dass der Republikaner Ted Cruz die Firma zunächst engagierte und wenig später fallen ließ – die Erwartungen seien nicht erfüllt worden, hieß es.

Ist Facebook (mit)schuldig am Datenleck?

Nicht direkt. In den Augen von Facebook war die "thisisyourdigitallife"-App, die die Nutzerdaten gesammelt und dann an Cambridge Analytica durchgereicht hat, harmlos: Weil sie laut Eigenbeschreibung die Daten nur zu wissenschaftlichen Zwecken verwendet, sah Facebook keinen Grund, das zu überprüfen. Auch dass die Daten von Freunden der App-Nutzer verwendet wurden, brach nicht mit den Regeln des Netzwerkes. Facebook beruft sich auf eine bis 2015 geltende Bestimmung, wonach Informationen über die Freunde der App-Nutzer gesammelt werden dürfen, solange sie die App verbessern. Weitergabe oder Verkauf der Daten an Dritte waren jedoch ausdrücklich verboten.

Andererseits wusste Facebook schon mindestens seit Ende 2015 von dem riesigen Datenleck. Das bestätigten Unterlagen, die der Whistleblower Wylie dem Oberserver zugespielt hatte. Doch das Netzwerk informierte betroffene Nutzer nicht darüber, dass ihre Daten illegal weitergegeben wurde, noch dazu an eine britische Firma, die sie für politische Kampagnen missbraucht.

Der Mann, der bei Facebook für Transparenz kämpfte, muss wohl gehen

Während immer weitere Details bekannt werden, steigt der politische Druck auf Facebook. Politiker in Großbritannien und den USA fordern eine Untersuchung, inwieweit das Netzwerk in die illegale Datenweitergabe verwickelt ist. US-Senatoren wollen etwa den Facebook-Chef Mark Zuckerberg vor einen parlamentarischen Ausschuss bringen, "um zu erklären, was das Netzwerk über den Missbrauch der Daten zur Wählermanipulation wusste."

Gestern wurde bekannt, dass Facebooks Sicherheitschef Alex Stamos das Unternehmen wegen "Meinungsverschiedenheiten" im Sommer verlassen wird. Das berichtete die New York Times unter Berufung auf aktuelle und ehemalige Mitarbeiter. Auch von massiven Spannungen in der Führungsebene von Facebook, bei der es um den richtigen Umgang mit Desinformation geht, ist die Rede. Den Quellen zufolge kämpfte das Sicherheitsteam um Stamos seit Längerem für mehr Transparenz etwa im Falle russischer Manipulationskampagnen auf der Plattform.

Die Geschäftssparte von Facebook und Unternehmenschef Mark Zuckerberg befürchteten jedoch einen Imageschaden. Stamos’ Suspendierung könnte signalisieren, dass vorerst keine Änderung in Facebooks Außenkommunikation zu erwarten ist. Die Aktie von Facebook ist angesichts der Hiobsbotschaften am Montag um zeitweise 7 Prozent eingebrochen – das entspricht über 30 Milliarden Dollar.