Profilfotos von Frauen
Foto: Cornelius Noll

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Das desaströse Ergebnis einer halben Stunde Tindern in Belgien

In 30 Minuten tinderte sich das Männermagazin FHM durch eine Stadt und veröffentlichte anschließend die 20 "besten" Profile – ungefragt. Die Frauen sind über diese Vorgehensweise geschockt und empört.
Cornelius Noll
Antwerp, BE
SS
Übersetzt von Sandra Sauerteig

Die Männerseite FHM hat offenbar ein neues Erfolgsrezept für sich entdeckt, um möglichst viele Klicks mit möglichst wenig Aufwand zu generieren. Das Prinzip ist denkbar einfach: Ein Journalist des Magazins fährt in eine Stadt und tindert sich eine halbe Stunde lang fröhlich durch die Gegend. Das Ergebnis wird anschließend auf der Online-Seite des Männermagazins veröffentlicht, das bis 2012 auch als deutschsprachige Ausgabe im Print erschien. Zum ersten Mal wurde dieses Konzept 2015 in Stockholm getestet und war so erfolgreich, dass es zum meistgelesenen Artikel des Jahres wurde. Kein Wunder also, dass FHM das Format fortführte. 2017 war nun auch Flandern an der Reihe.

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Das Ziel war auch hier ganz klar formuliert: "Wir wollten innerhalb einer halben Stunde die 20 besten Frauen finden." Schaut man sich den Artikel an, drängt sich jedoch eine Frage geradezu auf: Hatte FHM die Frauen, die hier unverpixelt mit Vornamen, Alter und Arbeitsplatz erscheinen, vorher um ihre Erlaubnis gefragt? Wissen die Frauen überhaupt von der zweifelhaften Ehre, die Seiten des Männermagazins schmücken zu dürfen?

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Wie ist diese Tinder-Suche wohl abgelaufen? Jeder, der Tinder schon mal benutzt hat, weiß, dass man nur eine begrenzte Anzahl an Personen angezeigt bekommt, die einen interessieren könnten. Eine britische Studie hat 2016 ergeben, dass Männer eine Matching-Rate von gerade mal 0,6 Prozent haben, während die Quote bei Frauen immerhin bei rund 10 Prozent liegt. Daher scheint es fast unmöglich, innerhalb von 30 Minuten viele Matches zu erhalten, dann jede dieser Frauen um ihre Erlaubnis zu fragen und ganz nebenbei auch noch die "besten" Frauen auszuwählen. Doch irgendwie war FHM dieses Kunststück gelungen.

Daher beschloss ich, mit den Frauen auf den Fotos Kontakt aufzunehmen und einmal nachzufragen, wie FHM vorgegangen war.

Ungefragt zum FHM-Modell

"Nein, ich wusste nichts davon", antwortet mir eine der Frauen. "Ja, das bin ich. Und nein, niemand hat mich um meine Erlaubnis gefragt", meint eine andere. Mein ursprünglicher Verdacht bestätigte sich schnell: Keine der Frauen, mit der ich sprach, war von FHM um Erlaubnis gefragt worden, bevor ihre Tinder-Bilder auf der Seite veröffentlicht wurden.

"Oh mein Gott, ich kann's gar nicht fassen!", lautet die Reaktion einer Frau, die bis eben nicht wusste, dass ihr Bild auf FHM zu finden ist. "Das macht mich echt wütend. Es ist sehr respektlos, ein persönliches Foto ohne Erlaubnis zu veröffentlichen und Leute danach zu kategorisieren, wie sie auf ihrem Social-Media-Profil aussehen."

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"Eine Freundin hatte mir den Artikel schon gezeigt", erzählt eine der Frauen. "Zu meinem Ärger wurde ich nie um Erlaubnis gefragt und ich schäme mich, in diesem Artikel erwähnt zu werden."

"Ich bin Lehrerin und dieser Artikel kam heraus, kurz bevor ich mein Referendariat begann. Das hat mich sehr gestresst", erzählt eine andere Frau. "Ich hatte Angst, dass Lehrer oder Eltern den Artikel entdecken könnten. Das Bild war aufgrund meiner Kleidung und meines Gesichtsausdrucks völlig unangemessen – und auch, weil es auf einer solchen Seite erschienen ist."

"Ich habe das nur durch Zufall erfahren, weil mich jemand erkannt hat. Sonst hätte ich das wahrscheinlich nie gemerkt", erklärt mir die nächste Frau. "Es wäre mir lieber gewesen, wenn sie mich gefragt hätten, bevor sie mein Foto benutzen. Wahrscheinlich hätte ich nicht zugestimmt, weil es sich um ein Männer-Magazin mit leicht bekleideten Frauen handelt. Es ist eine furchtbare Vorstellung, dass sich vielleicht irgendwelche Männer an deinen Fotos aufgeilen."

Von allen Frauen, mit denen ich gesprochen habe, fand es nur eine nicht so schlimm, dass ihr Tinder-Bild auf FHM.nl zu sehen ist. Mit dieser Meinung steht sie jedoch alleine da: "Wenn ein Foto dieser Art ohne deine Erlaubnis gepostet wird und dann auch noch auf einer solchen Seite… das zieht einen schon ganz schön runter", meint eine von ihnen.

Welche Rechte haben die Frauen?

Zwei der Frauen ziehen es sogar in Erwägung, FHM.nl zu verklagen. "Zuerst würde ich gerne wissen, wie die rechtliche Lage aussieht, aber wenn wir gute Chancen haben, dann gerne", erklärt mir eine von ihnen. "Wie kann ich dieses Foto entfernen lassen? Wie kann ich gegen FHM vorgehen?", fragt eine andere Frau, die auf Grund der Geschichte ihr Tinder-Profil löschen wird. Eine Dritte ist zögerlich: "Hm, ich habe keine Lust auf einen Rechtsstreit, aber wenn ich eine Entschädigung bekommen könnte, wär' ich dabei."

Um mehr über die rechtliche Situation herauszufinden, wandte ich mich an die Anwältin Charlotte Meindersma. "Schadensersatz gibt es nur wenig in Belgien und den Niederlanden", erklärt sie mir. "Bei einer solchen Klage geht es vor allem darum, dass die Fotos entfernt werden."

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Aber ist eine Klage wirklich nötig? Ich frage Meindersma, ob die Frauen nicht einfach von FHM fordern können, ihre Fotos von der öffentlichen Seite herunterzunehmen. Die Anwältin verneint: "Nein, absolut nicht. Als Foto-Objekt hast du kein Mitspracherecht." Diese Antwort überrascht mich. Gehören die Tinder-Fotos nicht den Frauen selbst? "Vor Gericht wird zwischen dem Recht auf freie Meinungsäußerung und dem Recht auf Privatsphäre der fotografierten Person abgewogen."

Es gibt jedoch noch eine andere Möglichkeit: Der Fotograf eines Fotos hat nämlich mehr Kontrolle darüber, was mit seinen Bildern geschieht und könnte von dem Medium fordern, das Foto zu entfernen. Allerdings könnte der Fotograf FHM auch erlauben, das Foto gegen eine Schadensersatzzahlung weiter zu nutzen. Da es sich bei Bildern auf Social-Media oft um Selfies oder Aufnahmen von Freunden oder Verwandten handelt, ist dieses Szenario aber nicht sehr wahrscheinlich.

"Das Problem ist, dass dieser Artikel Frauen als Lustobjekte darstellt", erklärt mir eine der Interviewten. "Außerdem finde ich, dass sie dich jedes Mal um Erlaubnis fragen müssten, bevor sie dein Foto verwenden." Die Frauen, die ich interviewte, sind der Meinung, dass es strengere Vorschriften geben sollte, was mit den eigenen Fotos passiert. "Meiner Meinung nach dürfen auch diese 'harmlosen' Fotos hier nicht verwendet werden, da sie durch den FHM-Artikel in einem unangebrachten sexistischen Kontext stehen." Auch nach deutschem Recht ist diese Vorgehensweise, ungefragt persönliche Bilder von Menschen zu zeigen, nicht legal – zusätzlich kommt hinzu, dass der Kontext in dem die Bilder hier gezeigt werden, besonders sensibel ist.

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Der Chefredakteur von FHM, Chris Riemens, erklärte uns, dass sie gezielt Fotos aus dem Artikel entfernen würden, wenn die betroffenen Frauen sich mit ihnen in Kontakt setzten. Sie planen jedoch nicht, den gesamten Artikel offline zu nehmen.

Das Verhalten von FHM erinnert an das Statement des belgischen Online-Künstlers Dries Depoorter. Für eines seiner Projekte über Privatsphäre im Internet hatte er Profilfotos von LinkedIn und Tinder gegenübergestellt – ohne vorher die betroffenen Personen um Erlaubnis zu fragen. Er sagte später dazu: "Im Internet verwenden viele Leute fremde Fotos, ohne um Erlaubnis zu fragen. Ich schätze, ich mache hier dasselbe."

Allerdings gab es einen großen Unterschied: Als einer der Porträtierten Depoorter bat, seine Fotos zu entfernen, tat der Künstler das sofort. Außerdem beschloss er, auch alle anderen Bilder in seinem Projekt fortan zu verpixeln. Von diesem Vorgehen könnte sich FHM eine Scheibe abschneiden.

*Die Namen der Frauen sind der Redaktion bekannt, wurden aber zum Schutz ihrer Privatsphäre nicht veröffentlicht.

*Auf dem Titelbild ist keine der Frauen aus dem FHM-Artikel zu sehen. Die Bilder stammen zwar von FHM, es handelt sich dabei jedoch um Fake-Tinder-Profile.