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Diese Künstliche Intelligenz lernt gerade, vermummte Demonstranten zu identifizieren

Adieu, Schwarzer Block: Eine neue KI soll Polizisten helfen, vermummte Demonstranten innerhalb kürzester Zeit zu enttarnen. Doch es gibt einen Haken.
Bild: Paper / arxiv.org

Wie lassen sich vermummte Demonstranten identifizieren? Das Problem, an dem Strafverfolgungsbehörden bis heute scheitern, könnte schon bald von einer Künstlichen Intelligenz (KI) gelöst werden.

Bei militanten Protesten, wie sie auch rund um den G20-Gipfel stattfanden, nutzen Demonstranten die Vermummung nach wie vor als zentralen Schutz vor der Identifizierung durch die Polizei. Eine neue Computerintelligenz könnte den Protestlern jedoch in Zukunft diesen Schutz entreißen und sie trotz Sonnenbrille, Schal oder Sturmmaske eindeutig erkennen.

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Das zumindest hoffen vier Forscher von der Universität Cambridge, dem Indian Institute of Science und dem indischen National Institute of Technology. Sie haben eine KI trainiert, um auch teilvermummte und maskierte Personen zu identifizieren. In einem Ende August veröffentlichten Paper beschreiben sie, wie sie das Problem der "Disguised Facial Recognition" (DFI), also der Erkennung vermummter Gesichter, lösen wollen: mithilfe eines künstlichen neuronalen Netzes (KNN), das anhand weniger Merkmale ein (teil-)verdecktes Gesicht möglichst genau identifizieren kann.

Ergebnis der Studie: Das kluge Computernetz erkannte mit einer 55-prozentigen Genauigkeit die vermummten Personen, wenn diese einen Schal, eine Sonnenbrille und eine Kappe trugen. Wenn sie nur einen Schal trugen, stieg die Genauigkeit sogar auf 77 Prozent. Der Schal war dabei nicht nur lässig über die Schulter oder das Kinn geworfen, sondern verbarg auf den Testfotos die komplette untere Gesichtshälfte der Probanden.

Sieht so die computergestützte Aufstandsbekämpfung von morgen aus?

Ausgewählte Probanden. Bild: Paper / arxiv.org

Um sich an die verwendeten Vermummungsgegenstände visuell zu gewöhnen, wurden der KI zuvor Tausende Bilder von Leuten gezeigt, die ihr Antlitz mit Stofffetzen, Sonnenbrillen, Bärten oder Kappen verborgen hatten. Auf jedem Bild merkte sich die KI 14 zentrale Punkte, um ein Gesicht später wiedererkennen zu können: zehn Stellen um Auge und Augenbrauen, eine an der Nase und drei an den Lippen.

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Diese 14 Punkte verbinden sich laut Forscher zu einer „Sternen-Netzstruktur": ein sternenförmiges Muster von Punkten im Gesicht, das der Maschine hilft, ein Gesicht auch im (teil-)verdeckten Zustand wiederzuerkennen. Indem die KI vor allem die Distanzen und Winkel zwischen den Punkten berechnet und analysiert, kann sie ein Gesicht auch dann wiedererkennen, wenn es von Schattierungen, Sonnenbrillen oder Schals verdeckt ist. Sobald sie die 14 Punkte erkennt, kann sie das Muster mit ihrer eigenen Datenbank abgleichen und die entsprechende Person finden.

Doch die Identifizierung funktioniert sogar ohne eigene Datenbank, wie die Forscher im Paper erklären: Denn anhand der 14 Punkte kann die KI die Struktur eines menschlichen Gesichts gleich selbst virtuell nachbauen. Das bedeutet, dass das künstliche neuronale Netz auch dann einen (teil-)vermummten Demonstranten identifizieren könnte, wenn es dessen unverdecktes Gesicht zuvor nicht kannte.

Der KI reicht also ein einziges Foto eines Protestlers, auf dem die 14 Punkte zu erkennen sind, um in einer externen Foto-Datenbank wie etwa dem Führerschein-Register oder auch der Google-Bildersuche, ein Gesicht mit identischer 14-Punkte-Struktur zu identifizieren – schon ist der vermummte Demonstrant enttarnt.

Forscher: "Wir müssen sicherstellen, dass KI nur für gute Zwecke eingesetzt wird"

Gegenüber der britischen Tech-Webseite The Register erklärte einer der Autoren des Papers, Amarjot Singh, er hoffe, die Technologie helfe der Polizei bei der Verfolgung von Straftätern. Bedenken, dass seine Forschung von autoritären Regimen missbraucht werden könnte, etwa um Dissidenten zu unterdrücken, könne Singh zwar verstehen, betonte jedoch zugleich die Vorzüge seiner KI.

"Um sicherzustellen, dass das nicht in die falschen Hände fällt, müssen wir nur sicherstellen, dass die Technologie nur denjenigen Organisationen zur Verfügung steht, die sie für einen guten Zweck einsetzen wollen", sagte er der Webseite.

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Die Gesichtserkennungs-KI ist nicht der Papst – sie ist nicht unfehlbar

Müssen wir uns also Sorgen machen über eine Künstliche Intelligenz in den Händen von Polizisten, die auch vermummte Demonstranten innerhalb kürzester Rechenzeit enttarnen und identifizieren kann? Obwohl die leicht naive Begründung für die Studie von einem der Autoren durchaus besorgniserregend ist – der Missbrauch einer neuen Technologie durch "falsche Hände" lässt sich per se nun mal nicht verhindern –, gibt es derzeit keinen Anlass zur Panik.

Denn der künstliche Fressfeind aller Schwarzen Blöcke dieser Welt befindet sich noch in der Testphase und braucht vermutlich noch eine ganze Weile, bis er eingesetzt werden kann. Auch was die Präzision bei der Gesichtserkennung betrifft, hat die KI noch Luft nach oben.

Die Genauigkeitsraten der KI. Bild: Paper / arxiv.org

Laut der Studie machen der Maschinenintelligenz vor allem kombinierte Verkleidungsmaterialien zu schaffen: Eine Person mit einer Kappe und Schal um die untere Gesichtshälfte konnte beispielsweise mit einer 69-prozentigen Genauigkeit erkannt werden, eine Person mit Schal, Sonnenbrille und Kappe aber nur mit 55-prozentiger Rate. Wenn sich im Bildhintergrund weitere Objekte, wie zum Beispiel Gebäude und Hauswände befanden, kam die KI sogar nur auf einen Wert von 43 Prozent.

Das heißt, auch für diese KI gilt bislang dasselbe wie für alle menschlichen Beobachter: Je mehr das Gesicht vermummt ist, desto schwieriger ist die Identifizierung. Auch brauche der Algorithmus weitere Daten, etwa eine breitere Palette an möglichen Verkleidungen oder einfach mehr Gesichter von Personen unterschiedlicher Kulturen, um die Trefferquote der KI zu steigern, gibt Forscher Singh zu.

Aber der Aufschlag ist gemacht. Immerhin hat das Paper das Interesse der IT-Branche geweckt: Die vier Forscher präsentieren ihre KI im Oktober auf der Internationalen Conference on Computer Vision (ICCV) in Venedig, einer zentralen Konferenz über digitale Innovationen. Im Vorstand der ICCV sitzen unter anderem Amazons Forschungsdirektor Gerard Medioni sowie der preisgekrönte Google-Wissenschaftler Ramin Zabih.

Ob die KI tatsächlich irgendwann einmal von Strafverfolgungsbehörden eingesetzt wird, bleibt abzuwarten.