„Ich würde beim besten Willen nicht behaupten, dass das auf den Großteil der Spieler zutrifft", sagt Katherine Cross, eine feministische Schriftstellerin und WoW-Spielerin, in einem Telefoninterview. „Aber wenn man lange genug World of Warcraft spielt, passiert es schon mal, dass man über zwei Charaktere stolpert, die sich irgendwo in einer versteckten Ecke nackt gegenüberstehen."Wenn du auf zwei mysteriöserweise unbekleidete Charaktere triffst, die in eine ungewöhnlich lange private Konversation verstrickt zu sein scheinen, wirst du wahrscheinlich gerade Zeuge eines erotischen Rollenspiels, auch ERP (Erotic Roleplay) genannt. ERPs sind—wie der Name schon sagt—eine Form von Rollenspiel, bei der es um den sexuellen Kontakt geht. ERPs gibt es nicht nur in WoW, sondern auch bei MMORPGs wie Guild Wars 2, Starwars: The Old Republic und Wildstar. Es gehört aber auch nicht wirklich offiziell zum Spiel: Laut den Nutzungsbedingungen von World of Warcraft ist „vulgärer, obszöner" oder „sexuell expliziter" Sprachgebrauch strikt verboten. Aber solche Formalität halten natürlich niemanden davon ab.Mehr lesen: Charaktermerkmal Doppel-F—Anime hat ein echtes Frauenproblem
Tatsächlich haben die ERP-Gamer sogar eine eigene Sexstadt erschaffen—trotz der offiziellen Missbilligung: Auf dem Moon-Guard-Rollenspielserver gibt es eine Gegend namens Goldshire, wo man überall auf Charaktere trifft, die vollkommen unverfroren auf der Suche nach erotischen Begegnungen sind. Viele WoW-Spieler nennen die Gegend auch abschätzig—jedoch nicht besonders kreativ—„Pornshire". Wer sich nach „Pornshire" wagt, muss sich darauf gefasst machen, in eine Welt voller rollenspielbasierter Sexgelage einzutauchen, bei denen selbst Georges Bataille vor Scham erröten oder sich zumindest nachdenklich das Kinn kratzen würde. „Goldshire ist zu einem free-to-play Sexchat für Erwachsene und einer Art Kuppelbörse geworden", sagt Nico, eine ehemalige WoW-Spielerin und Bloggerin und fügt lachend hinzu, dass einige Spieler gelegentlich vorbeischauen, um zu „gaffen".Wer sich nach „Pornshire" wagt, muss sich darauf gefasst machen, in eine Welt voller rollenspielbasierter Sexgelage einzutauchen.
Lion's Pride Inn
Im Lion's Pride Inn in Goldshire wimmelt es nur so von verruchten Rollenspielern, von denen der Großteil ohne Hosen seine Runden dreht.
DEFINITION DER FETISCHBEGRIFFE
VORE: kurz für „Voraephilie"; der sexuelle Wunsch, von einer anderen Kreatur verschlungen zu werden (oder auch sich selbst verschlingen zu lassen)—meist an einem Stück. Anale Voraephilie ist der Wunsch, in das Rektum oder den Darm einer anderen Person gesteckt zu werden.
FUTANARI: Ein japanischer Begriff, der Individuen beschreibt, die die primären Geschlechtsmerkmale beider Geschlechter haben. Meistens haben Futanari-Charaktere eine insgesamt weibliche Erscheinung.
HENTAI: Bezieht sich auf pornografische Anime oder Mangas.
LAKTATION: Ein Fetisch, der den sexuellen Wunsch beschreibt, gestillt zu werden.
GAPING: Ein pornografisches Subgenre, bei dem der Anus nach dem Analverkehr auseinander klafft.
SCAT: Ein Fetisch, bei dem die sexuelle Erregung mit Fäkalien verbunden ist.
WATERSPORTS: Erotische Spielchen mit Urin.
AGEPLAY: Ein erotisches Rollenspiel, bei dem die Teilnehmer so tun, als wären sie unterschiedlich alt. Meistens gibt einer der Teilnehmer vor, jünger zu sein, als er eigentlich ist.
BREEDING: Ein Fetisch, bei dem es darum geht, schwanger zu werden oder jemand anderen zu schwängern.
HOT DOGGING: Wenn jemand seinen Penis zwischen die Pobacken des anderen reibt, bevor er dessen Anus penetriert.
CORRUPTION: Ähnlich wie bei der Gehirnwäsche oder Gedankenkontrolle geht es darum, dass ein Charakter böse wird (in sexueller Hinsicht)
Belästigung und Schikane sind ein anderes Thema, bei dem die Grenzen zwischen der realen und der virtuellen Welt ziemlich leicht und auch ziemlich oft verschwimmen. Auch unabhängig von ERPs kommt es oft zu Störaktionen und Einschüchterungsversuchen. In der Studie, die 2013 in Frontiers in Psycholgy erschienen ist, haben zahlreiche Frauen gesagt, dass sie das Gefühl haben, sie müssten ihr Geschlecht verheimlichen, um sich vor Belästigung zu schützen. Viele von ihnen sagten auch, dass sie sich aus diesem Grund auch weigerten, an Voice-Chats teilzunehmen. Eine der befragten Frauen sagte, dass sie sich einmal bereit erklärt hatte, ihre Gruppe bei einem Raid zu leiten. Jeder in der Gruppe war, wie sie sagt, „überrascht von meiner Stimme." Im Verlauf des Raids fingen die Leute dann an, immer mehr sexistische Kommentare zu machen. Irgendwann „dachte irgendein so ein Idiot, es wäre witzig, jedes Mal pervers rum zu stöhnen, wenn ich etwas sagen wollte. Dann haben es irgendwann alle gemacht. Mir hat es danach gereicht und ich habe einfach den Computer ausgemacht. Seitdem spreche ich nicht mehr im Voice-Chat."Eine andere Frau, die für die Studie interviewt wurde, sagte, dass sie und eine Freundin aggressiv ausgepfiffen wurden, nachdem sie sich entschieden hatten, mit weiblichen Charakteren zu spielen:Obwohl die Anonymität eine ausgezeichnete Brutstätte für diverse Internetsoziopathen ist, hat sie auch ihre Vorteile.
Die Vorstellung, dass alltäglicher Sexismus seine hässliche Fratze auch in einem Medium zeigt, dessen Existenzberechtigung darin begründet liegt, die Grenzen der Realität hinter sich zu lassen, wirkt auf gewisse Weise ironisch. In WoW fliegen die Spieler auf den Rücken von Drachen, erwecken sich gegenseitig von den Toten wieder und der Anblick eines humanoiden Pandakriegers ist so normal, dass er kein Aufsehen erregt. Trotzdem haben viele von ihnen noch immer große, große Schwierigkeiten damit zu akzeptieren, dass menschliche Frauen gleichberechtigte Mitstreiterinnen sind.Natürlich kommt die Beschissenheit der Dinge im Spiel nicht annähernd an die der realen Welt heran. Für einige, die ziemlich viel Zeit damit verbringen, World of Warcraft zu spielen, ist es dennoch schwierig, zwischen Belästigung im Spiel und dem wahren Leben zu trennen. In einigen extremen Fällen kann sich ersteres auch auf letzteres übertragen. Nico musste das am eigenen Leib erfahren: Sie wurde ganze vier Jahre lang von irgendeinem Typ aus WoW gestalkt und belästigt. „Wir haben kein RP gemacht oder so, aber er war ein Freund von mir", sagt sie. „Er war ziemlich enttäuscht, weil ich nicht in ihn verliebt war. Und als ich mit meinem Freund zusammenkam (mit dem ich noch immer zusammen bin), wurde er wirklich sauer deswegen und beschloss, dass ich eine Lügnerin sei und eine Schlampe und begab sich quasi auf einen vierjährigen Kreuzzug, um mir mein Leben zur Hölle zu machen."Eine meiner Freundinnen war neu im Spiel und wollte mit mir zusammen spielen. Wir haben uns weibliche Blutelfen erstellt und haben etwa eine halbe Stunde ohne Probleme gespielt. Irgendwann sind wir zurück in die Stadt gegangen und wurden von da an von einer Gruppe von vier Jungs verfolgt, die uns ständig gestört haben, während wir unsere Quests erledigen wollten. Nachdem sie uns eine ganze Weile lang bei unseren Quest-Mobs dazwischen gefunkt hatten, versuchten sie [meine Freundin] dazu zu überreden, mit ihnen zurück in die Stadt zu kommen und boten ihr 100 G dafür, dass sich ihr Charakter auszieht und in einem der Inns tanzt. Ich schlug daraufhin vor, männliche Charaktere zu erstellen und sie stimmte mir zu. Mit den männlichen Charakteren hatten wir dann auch keine Probleme mehr.