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Die Tricks, mit denen Amazon Steuern in Milliardenhöhe am Staat vorbei schmuggelt

Gnadenloses Ausnutzen von Steuerschlupflöchern liegt in Amazons DNA. Die Erfolgsgeschichte eines der größten Unternehmen der Welt zeigt, dass sich der Riese in der freien Wirtschaft unsauber an die Spitze gespielt hat.
Jeff Bezos bei einer Präsentation am 16.06.2017 | Bild: imago | ZUMA Press 

Kaum ein Unternehmen ist momentan so erfolgreich wie Amazon. Längst hat sich der Konzern von einem Online-Bücherversand zu einer Wirtschaftsmacht gemausert. Heute gilt Amazon als eines der fünf wertvollsten Unternehmen der Welt und sein Gründer und Geschäftsführer Jeff Bezos wird als zweitreichster Mensch der Welt geführt.

Wer glaubt, dass Amazon diesen Spitzenplatz erreicht hat, indem das Unternehmen einfach erfolgreicher als seine Konkurrenz war, kennt nur einen Teil der Geschichte. Denn zu Amazons Erfolgsstory gehört noch ein anderer wichtiger Aspekt: Von Anfang an war es ein wichtiger Teil von Amazons Strategie, Steuertricks zu nutzen, die seiner Konkurrenz nicht zur Verfügung stehen.

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Aus dieser Abneigung für Steuern macht Amazon noch nicht mal ein Geheimnis. Das zeigt sich deutlich bei Amazons aktueller Suche nach einem zweiten Geschäftssitz in Nordamerika: Um Amazon für einen Standort zu begeistern, so schreibt die Firma ziemlich nonchalant in ihre Ausschreibung, seien in jedem Fall "spezielle staatliche Vergünstigungen" nötig. An willigen Bewerbern mangelt es trotzdem nicht. Insgesamt 238 Städte und Gemeinden aus den USA und Kanada haben sich um den Standort beworben. Experten schätzen, dass Amazon am Ende mit einem fetten Steuergeschenk von mehreren Millionen US-Dollar aus dem Hype hervorgehen könnte.

Trick Nr. 1: Nutze das Internet aus, um Läden abzuhängen und drucke ein paar Fake-Visitenkarten

Amazons erster Streich begann mit der Firmengründung 1995, als Bezos beschloss, das Unternehmen in Seattle und nicht in der kalifornischen Bay Area anzusiedeln. Warum, erklärte er ein Jahr später dem Magazin Fast Company: Da die Firmenniederlassung in Seattle, im US-Bundesstaat Washington, lag, musste Amazon seinen kauffreudigen Kunden aus Kalifornien keine Steuern berechnen – und schaffte sich somit einen großen Wettbewerbsvorteil in dem einwohnerstarken und kaufkräftigen Bundesstaat. Denn in den USA gibt es, anders als in Deutschland, keine einheitliche Mehrwertsteuer. Jeder Bundesstaat entscheidet hier selbst, wie viel Prozent Mehrwertsteuer er erhebt. Durch diese Regelung ergibt sich ein riesiger Steuervorteil für Online-Händler – denn ein US-Gericht hatte 1992 entschieden, dass Internethändler nur in den Staaten die Mehrwertsteuer von ihren Kunden erheben müssen, in denen sie auch einen Sitz haben.

Dieses Steuerschlupfloch bildete viele Jahre lang einen zentralen Teil von Amazons Strategie – und machte das Unternehmen für seine US-amerikanischen Kunden enorm attraktiv. Als das Unternehmen immer weiter wuchs, wurden auch seine Steuertricks immer gewiefter: So stattete Amazon seine Mitarbeiter beispielsweise mit gefakten Visitenkarten aus, wenn sie in bestimmte Bundesstaaten reisten – auf diesen Karten war dann nicht amazon.com zu lesen, sondern der Name einer Tochtergesellschaft. Dadurch konnten sie besondere Deals herausschlagen, die Amazon weiterhin von der Mehrwertsteuererhebung befreite. In Texas versuchte Amazon ein Lagerhaus als separate Gesellschaft auszugeben, um auch hier keine Steuern zahlen zu müssen – der Schwindel flog jedoch auf und der US-Bundesstaat forderte Amazon zu Steuernachzahlungen in Höhe von umgerechnet 229 Millionen Euro auf.

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All diese Tricks brachten Amazon einen geschätzten Vorteil von sechs bis zehn Prozent Gewinn gegenüber seinen Konkurrenten in den traditionellen Ladengeschäften ein – mit dem es Amazon gelang, die Produktpreise zu drücken. Denn die Läden konnten ihre Kunden natürlich nicht mit umsatzsteuerfreien Einkäufen locken. Selbst 2011, als Amazon bereits etabliert war, ergab eine Umfrage von 275.000 US-Haushalten, dass dieser kleine Preisunterschied zentral für die Attraktivität des Unternehmens war. Erst seit April diesen Jahres erhebt Amazon in allen US-Bundesstaaten die Umsatzsteuer.

Trick Nr. 2: Lass dir deine Expansion vom Staat finanzieren

Ungefähr 2005 ließ Amazon noch eine neue Strategie anlaufen, um seine Kosten zu drücken. Während das Liefernetzwerk in den USA durch immer neue Lagerhäuser anwuchs, versuchte Amazon gleichzeitig, saftige Fördergelder für die Gebäude einzustreichen. Diese Taktik hat sich für Amazon gelohnt: Das Unternehmen konnte sich in den USA für seine Expansionspläne mindestens 940 Millionen Euro in Form von öffentlichen Subventionen sichern, das ergaben Erhebungen des Institute for Local Self-Reliance und Good Jobs First. Demnach erhielt Amazon zwischen 2005 und 2014 für mindestens die Hälfte seiner neuen Einrichtungen eine öffentliche Finanzspritze.

Heute ist diese Taktik so ausgereift, dass Amazon Spezialisten für Fördergelder beschäftigt, die durch das Land reisen und mit politischen Entscheidungsträgern finanzielle Vergünstigungen aushandeln. Außerdem beschäftigt der Konzern regionale Policy-Teams, die sich um die Lobbyarbeit kümmern.

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Wie erfolgreich diese Taktik ist, wird durch einen Deal deutlich, den Amazon im US-Bundesstaat Illinois gewann: Obwohl der Staatshaushalt sich zu dem Zeitpunkt in einer schweren Krise befand, gelang es dem Konzern 2015, einen Steuererlass von umgerechnet 8,5 Millionen Euro für den Bau eines neuen Logistikzentrums herauszuschlagen. Ein Jahr später erhielt Amazon weitere 17 Millionen Euro für eine weitere Einrichtung am gleichen Standort. Auf unsere Anfrage zu dem Thema hat Amazon nicht reagiert.

Auch in der EU will Amazon keine Steuern zahlen – und bekommt dafür eins auf den Deckel

Auch die globale Strategie von Amazon stützt sich massiv auf Steuerschlupflöcher. So suchte Amazon nicht ohne Grund die Steueroase Luxemburg als Standort für sein europäisches Hauptquartier aus: Denn so konnte der Konzern seine Profite in das kleine Land transferieren und so die Einkommensteuer sowohl in den USA als auch in anderen europäischen Ländern umgehen. Anfang Oktober verdonnerte die EU-Kommission den Online-Händler jedoch zu Steuernachzahlungen in Höhe von rund 250 Millionen Euro. Die Begründung: Ein fairer Wettbewerb sei so unmöglich , da Amazon durch die gesparten Steuern wesentlich weniger zahlen muss als andere Unternehmen, so Margrethe Vestager, die EU-Kommissarin für Wettbewerb, gegenüber der Associated Press.

Auch wenn Amazon immer wieder behauptet, einen fairen Wettbewerb zu betreiben, unterstreicht die Entscheidung der EU-Kommission, dass viele Vorteile unlauter sind. Auch andere große Unternehmen wie Apple, Google und Facebook fahren vergleichbare Strategien, vor allem, wenn es um ihre Rechenzentren geht. Das Muster bleibt dasselbe: Die Tech-Firmen nutzen Vorteile aus, die kleineren Unternehmen verwehrt bleiben. Und auch wenn staatliche Subventionen in der Theorie sowohl kleinen als auch großen Unternehmen zur Verfügung stehen, so fand Good Jobs First heraus, dass große Unternehmen etwa 90 Prozent aller Gelder abgriffen und so die verfügbaren Summen de facto abgrasen.

Vor allem auf lokaler Ebene spürt man die Auswirkungen von Amazons Steuervermeidungsstrategie: Denn die Steuervorteile nutzen nicht nur dem Konzern, sie schaden gleichzeitig auch den kleineren Konkurrenten im Einzelhandel. Die Folge sind leerstehende Geschäfte, die die Einnahmequellen der betroffenen Städte gefährden. In den USA leidet nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit von kleineren Konkurrenten, es werden neuerdings auch viel weniger neue Unternehmen gegründet.

Amazon wird immer geschickter darin, die Politik für seine eigenen Vorteile zu nutzen. Daher ist es an der Zeit, dass politische Entscheidungsträger in eine vielfältigere wirtschaftliche Entwicklung investieren, von der viele verschiedene Arbeitgeber profitieren können. Ansonsten wird es nicht mehr lange dauern, bis die Öffentlichkeit ganz nach Amazons Spielregeln spielt.

Olivia LaVecchia ist Forscherin am Institute for Local Self-Reliance, einer Non-Profit-Organisation, die sich für gerechte Entwicklung und faire Gesetzgebung in US-amerikanischen Kommunen einsetzt. Sie ist Mitverfasserin des 79-seitigen Berichts "Amazon’s Stranglehold", der beschreibt, wie der Online-Konzern eine parallele Infrastruktur geschaffen hat, die dem Wettbewerb und Arbeitsmarkt auf der Lokalebene schadet.