Die Akte Oxywhite
Screenshot eines Werbe-Postings des Online-Händlers Oxywhite. Ob tatsächlich ein Zusammenhang zwischen dem festgenommenen 29-Jährigen und dem Betreiber der „Lifestyle-Apotheke" besteht, ist noch nicht abschließend belegt. Screenshot: Motherboard.

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Die Akte Oxywhite

Einem 29-jährigen Pflegehelfer wird vorgeworfen, Medikamente aus der Uniklinik geklaut und illegal im Darknet verkauft zu haben. Inzwischen ist der Rheinländer jedoch vorläufig wieder auf freiem Fuß.

Am Freitagabend wird es plötzlich ungemütlich in Sankt Augustin. Gegen 21:30 rücken SEK, GSG 9 und Ermittler in die rheinländischen Kleinstadt aus, um zwei Wohnungen zu durchsuchen und einen 29-Jährigen festzunehmen. In seinen Arbeitsräumen in der Universitätsklinik Bonn auf der anderen Rheinseite kommt es zeitgleich zu einer Razzia. Die Ermittler werfen dem 29-Jährigen vor unter dem Pseudonym OxyWhite online im großen Stil mit Arzneimitteln und Drogen gehandelt zu haben. Bei der stundenlangen Razzia in den Wohnräumen werden Unterlagen, ein Computer, Verpackungsmaterialien und 2,65 Kilogram einer Substanz sichergestellt, die Ermittler zunächst für Amphetamine halten.

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Am nächsten Tag, am Samstag den 5.12., gelingt schließlich auch die Festnahme des Verdächtigen. Der Haftbefehl ergeht gleich am Sonntag, der 29-Jährige muss ins Untersuchungsgefängnis. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft Verden, die das Darknet-Profil Oxywhite schon seit Monaten mit ihren Sonderermittlern für Internetkriminalität im Auge hatte, lautet auf illegalen „Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringen Mengen"—eine mehrjährige Freiheitsstrafe würde dem Klinikmitarbeiter demnach drohen. Zahlreiche Medien berichten zum zweiten Advent über den mutmaßlichen Ermittlungserfolg gegen den Darknet-Drogenhandel.

„Aus organisatorischen Gründen wird der Verkauf zunächst pausiert. Bestellungen über 150 Euro werden aber noch angenommen."

Inzwischen ist der 29-Jährige allerdings wieder auf freiem Fuß, wie der Verdener Staatsanwalt Lutz Gaebel gegenüber MOTHERBOARD erklärte: „Der Verdacht der Verdunklungsgefahr besteht jetzt nicht mehr." Die Ermittlungen gegen den Sankt Augustiner dauerten dennoch an.

Unter dem Pseodonym Oxywhite verkauft ein Händler im Internet bereits seit dem vergangenen Jahr verschreibungspflichtige Medikamente und Substanzen, die auch als Drogen konsumiert werden können. Bezahlt wird in der selbsternannten „Lifestyle-Apotheke" ausschließlich mit Bitcoin. Das Angebot reicht von Schmerztabletten über Potenzmittel bis hin zu Ketamin und Stoffen aus der Kategorie „Hirndoping". Lange schienen die Geschäfte des Online-Händlers, der sowohl über das Clearnet als auch über das Darknet verkaufte, bestens zu laufen—das Angebot wird ständig aktualisiert und es findet sich kaum ein deutscher Darknet-Händler, der positivere Kundenbewertungen erhält.

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Noch im April dieses Jahres erklärte Oxywhite gegenüber Motherboard, dass sein Geschäftsmodell tatsächlich auf geklauten Medikamenten basiere: „Meine Produkte werden deutschlandweit aus diversen Krankenhäusern, Arztpraxen und Apotheken entwendet", behauptet der anonyme Betreiber der Seite per E-Mail.

Das Interview mit dem Deepweb-Händler Oxywhite: Medikamentenhandel in der grauesten Zone des Darknets

Ende November wird auf dem Händlerprofil von Oxywhite dann ein Verkaufsstopp verkündet: „Möchten euch mitteilen, dass der Verkauf aus organisatorischen Gründen ab Montag pausiert wird", heisst es am 30.11. auf einem einschlägigen deutschen Händler-Forum. Ab Mitte Januar solle es regulär weitergehen. „Bestellungen über 150 Euro werden auch weiterhin angenommen", schiebt Oxywhite noch nach.

Seit Anfang Dezember finden sich keine öffentlichen Posts mehr von Oxywhite. Eine E-Mailanfrage von Motherboard, ob es einen Zusammenhang zu den Festnahmen gebe, blieb ebenfalls unbeantwortet. Auch die Betreiber des Forums scheinen momentan nicht zu wissen, wie es um die Zukunft der Lifestyle-Apotheke steht. Wenige Stunden nach der Festnahme in Sankt Augustin heißt es in einem Moderatoren-Post, dass der User Oxywhite „bis zur Klärung vorläufig gebanned" sei.

„Ich glaube, viele auf unserer Station vermissen ihn gerade."

Ob es sich bei dem festgenommenen St. Augustiner jedoch tatsächlich um den Betreiber von Oxywhite handelt, können die Ermittler bisher nicht abschließend bestätigen. Mit Verweis auf laufende Ermittlungen wollte man auch nicht sagen, wie es gelungen sein könnte, die Identität des Darknet-Händlers Oxywhite in Erfahrung zu bringen. Man könne keine Details zu ermittlungstechnischen Taktiken preisgeben. Man habe zunächst lange Zeit keinen Hinweis auf den Wohnsitz des Verdächtigen gehabt—bis zum Freitag der Razzia als man „das eben ermitteln und sofort zuschlagen konnte", wie Staatsanwalt Gaebel gegenüber dem Bonner Generalanzeiger ausführte.

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Ein Mitarbeiter der Klinik will den Pflegehelfer gekannt haben, der am 5.12. festgenommen wurde. Er will jedoch nicht glauben, dass sein 29-jähriger Kollege wirklich ein Doppelleben als illegaler Drogenhändler geführt haben könnte: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass er so etwas gemacht haben soll", erklärte der Mann, der namentlich nicht erwähnt werden möchte.

Der Mitarbeiter erklärt, er habe mit ihm gemeinsam auf der Krebsstation gearbeitet. Eine Abteilung, auf der auch hoch wirksame Schmerzmedikamente eingesetzt werden. Er beschreibt den Pflegehelfer als sehr freundlich gegenüber seiner Umgebung: „Er war lustig, ein lieber Mensch, anders kannte ich ihn nicht. Ich glaube, viele auf der Station vermissen ihn gerade."

Die Einfahrt zum Gelände der Bonner Uniklinik. Bild: Anna Neifer

Eine spezielle LKA-Einheit gegen Internetkriminalität hatte Oxywhite und das mutmaßlich illegale Geschäft schon länger im Blick. Nach der Bonner Razzia ging man zunächst fest davon aus, dass es sich bei den beschlagnahmten 2,65 Kilogramm um Amphetamine handelte: „Die Substanz war so verpackt, wie Betäubungsmittel üblicherweise verpackt werden. Nach einem ersten Test hat sich diese Annahme allerdings nicht bestätigt. Es müssen jedoch noch weitere Tests abgewartet werden, bevor eine endgültige Aussage getroffen werden kann", sagte Gaebel gegenüber MOTHERBOARD.

Laut der Staatsanwaltschaft Verden besteht weiterhin der Verdacht, dass der zunächst verhaftete Mitarbeiter Medikamente der Klinik in Bonn entwendet habe. Dabei soll es sich jedoch nicht um Mittel gehandelt haben, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, wie die Universitätsklinik ausführte.

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Eine interne Überprüfung der Bonner Uniklinik ist noch nicht abgeschlossen. Auf unsere Anfrage, ob weitere Diebstähle festgestellt wurden, haben wir keine Antwort erhalten und auch, ob der Mitarbeiter tatsächlich mit Krebspatienten gearbeitet hat, wollte man nicht beantworten. Unmittelbar nach den Durchsuchungen auf dem weitläufigen Gelände des Universitätsklinikums in Bonn soll die Klinik aber ein Kündigungsverfahren gegen den Mann eingeleitet haben.

Deutschlandweit stellen Kliniken immer wieder Schwund fest. Die polizeiliche Kriminalstatistik weist im vergangenen Jahr insgesamt 257 Diebstähle von Betäubungsmitteln aus Krankenhäusern aus.

Bestimmte Medikamente werden vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte als Betäubungsmittel klassifiziert. Substanzen wie zum Beispiel auch Schmerzmittel landen auf einer entsprechenden Liste—unter anderem weil sie starke Abhängigkeiten hervorrufen und strengere Gesetze den Zugang zu den Stoffen erschweren sollen.

Der Internet-Händler Oxywhite bot auch Opioide, die bei Krebserkrankungen eingesetzt werden, wie etwa Hydromorphon und Tilidin. Wie das Bundesinstitut für Arzneimittel- und Medizinprodukte auf Rückfrage von Motherboard erklärte, zählen solche Krebsmedikamente zu den teuersten Arzneien auf dem Markt.

In knapp zwei Jahren ein Umsatz von 423 Bitcoins. Nach heutigem Wechselkurs sind das fast 180.000 Euro.

Oxywhite wartete nicht nur mit dem umfassendsten deutschen Angebot im Bereich zwischen verschreibungspflichtigen Medikamenten und Drogen auf, sondern erfreute sich innerhalb des Darknets auch einer allseits großen Beliebtheit. Sogar seine Deepweb-Konkurrenten und Händler-Kollegen berichten darüber, wie freundlich und zuverlässig der Kontakt mit ihm gewesen sei. Bei weitem keine Selbstverständlichkeit im Darknet.

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Das Darknet ist nicht nur dunkel, sondern für Dissidenten ein lebenswichtiges Kommunikationstool—Interviews mit Exit-Node-Betreibern

Oxywhite jedenfalls fühlte sich im Darknet erkennbar zuhause und schwärmte über den dortigen Umgang gerade im Vergleich zu den Händler-Communities des Clearwebs: „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die User [im Darknet] generell älter sind und somit die Qualität des Umgangs miteinander völlig anders ist", erklärte er Motherboard im April dieses Jahres in bisher unveröffentlichten Interview-Antworten. „Ein gutes Verhältnis zu meinen Kunden ist für mich das oberste Gebot. Denn nur so kann ich eine Bindung aufbauen und meine Produkte schmackhaft machen. Ich kenne viele arrogante Dealer, die E-Mails mit zwei Zeilen beenden. Da kann ich nur den Kopf schütteln."

Bezahlt wird beim Online-Händler Oxywhite—wie im Online-Drogenhandel üblich—nur über die Kryptowährung Bitcoin. Sein öffentliches Händler-Wallet, in das die Bitcoin von Kunden eingezahlt werden, verzeichnete die letzte Transaktion am frühen Morgen des 4.12.. In knapp zwei Jahren wurden über das öffentlich einsehbare Krypto-Portemonnaie über 423 Bitcoins umgesetzt—das entspricht nach dem aktuellen Wechselkurs knapp 180.000 Euro. Momentan befinden sich noch Bitcoins in Höhe von rund 19.000 Euro in dem Wallet. Seit dem ersten Dezemberwochenende sind in der Blockchain keinerlei Transaktionen über das Wallet verzeichnet.

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Einige Kunden von Oxywhite äußern sich nach den Medienberichten unterdessen besorgt über die Festnahme und über das mögliche Verschwinden ihres Dealers. Einer der User schreibt in einem Forum, in dem über die Festnahme diskutiert wird: „Solche Angst wie jetzt hatte ich noch nie." Andere Forumsnutzer raten unterdessen zum Säubern von Wohnungen und möglichen toter Briefkästen—alles Routine im Darknet.

Trotz der grundsätzlich passenden Chronologie der Ereignisse und der Indizien lässt sich bisher nicht eindeutig sagen, dass der 29-jährige zwischenzeitlich festgenommen Sankt Augustiner wirklich etwas mit dem Online-Profil von Oxywhite zu tun hat oder gar dessen alleiniger Hauptbetreiber ist. Ob es wirklich eine Verbindung zwischen dem Klinikmitarbeiter und den Darknet-Aktivitäten gibt, wird letztlich wohl erst ein mögliches Gerichtsverfahren zeigen können.

Screenshot: Motherboard.

Zwischenzeitlich spekulierten Medien, dass der 29-Jährige sogar etwas mit einem vor Wochen festgenommenen Darknet-Waffenhändler zu tun haben könnte. Hatte er sich eine Waffe bestellt und sie an eine Bonner Packstation liefern lassen? Stand die Sache gar irgendwie im Zusammenhang mit Waffenlieferungen nach Paris? Recherchen von Motherboard und Informationen aus Ermittlerkreisen deuten bisher darauf hin, dass es keinen Zusammenhang zwischen einem Paket eines festgenommenen Darknet-Waffenhändlers und den Vorwürfen gegen den festgenommenen 29-Jährigen gibt.

Erst Mitte November hatte sich Oxywhite überraschend in der Motherboard-Redaktion mit einer kryptischen Botschaft gemeldet. Unsere Rückfrage, was die hastige Nachricht bedeuten sollte, blieb bis heute unbeantwortet.