Biete Internet-Nachhilfe, suche Gratis-Zimmer im Seniorenheim
Alle Bilder: Humanitas, mit freundlicher Genehmigung

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Biete Internet-Nachhilfe, suche Gratis-Zimmer im Seniorenheim

Ein niederländisches Altenheim bietet Studenten umsonst ein Dach über dem Kopf—auf 160 Senioren kommen sechs Studenten und ein paar Regeln.

Wer hat nicht schon mindestens einmal mit Schrecken über die Ungewissheit seiner eigenen Zukunft im hohen Alter nachgedacht? Eine niederländische Pflegeeinrichtung verknüpft nun die Einsamkeit der Alten mit den Geldsorgen der Jungen und heraus kommt die perfekte Win-Win-Situation—gegen ein wenig soziale Gegenleistung wie gemeinsame Kaffeepausen oder Computerhilfe bekommen die Studenten ein Zimmer in dem Altenheim.

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160 Senioren mit einem Altersdurchschnitt von 85 Jahren leben im Altenheim Humanitas in Deventer—vor vier Jahren wurden sechs der Zimmer gratis an Studenten „vermietet". Max Middelburg ist einer von ihnen. Er ist 25 Jahre alt und studiert Kommunikationswissenschaft und Marketing. Seit August 2014 wohnt er im Seniorenheim. Er hatte Humanitas durch einen Freund kennen gelernt, den er dort besucht hatte, und es gefiel ihm so gut, dass er sich ebenfalls um ein Zimmer bemühte.

„Anfangs war ich etwas frustriert von der Langsamkeit hier. Als junger Mensch hat man einfach ein anderes Tempo. Alte Menschen bewegen sich nun mal sehr langsam, ich hingegen renne oft schon fast", erzählte Middelburg mir am Telefon. „Aber mittlerweile ist das normal für mich und ich merke, dass ich mehr Respekt für alte Menschen habe. Das äußert sich schon in so kleinen Dingen, dass ich zum Beispiel immer aufstehe und Senioren meinen Sitzplatz zur Verfügung stelle."

Einige Zimmer in dem großen Haus sind nicht geeignet für Senioren, weil sie zu klein sind oder sich das Badezimmer nicht nah genug am Bett befindet und die Zimmer somit nicht den Bestimmungen des niederländischen Gesundheitssystems entsprechen. Diese leerstehenden Räume werden den Studenten zur Verfügung gestellt, die sich über jegliche Art der Unterkunft freuen und denen ein Zimmer selten zu klein ist—vor allem, wenn sie sich die Miete sparen können.

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„Wenn die alten Leute krank sind, dann werden sie oft nicht mehr geheilt", erzählt Dirk Metselaar, Manager für Immobilien und Sozialwesen bei Humanitas über den Ursprung der Idee, sich junge Menschen in das Heim zu holen. „Wenn sie sich ein Knie verletzen, dann wird es halt nicht mehr gesund. Wir haben dann überlegt, wie wir das Wohlbefinden der Menschen steigern könnten, damit sie nicht nur in ihrem Zimmer sitzen und über ihre Leiden nachdenken."

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Das Projekt läuft nun seit vier Jahren und hat sich als großer Erfolg herausgestellt. Auch die Angst der Pfleger, ihrer Jobs beraubt zu werden, hat sich als hinfällig erwiesen. Es werden absichtlich keine Studenten aus dem Pflegebereich aufgenommen, denn bei der Wohnsituation geht es ausgewiesenermaßen nicht um Arbeit oder Ehrenamt. Der Aspekt liegt schlicht und einfach auf dem Prinzip „guter Nachbarschaft".

Auch die Sorge, Sex, Drugs & Rock'N'Roll einen Eintritt zu bieten, hat sich erübrigt. „Wir wählen die Personen so aus, dass sie hier hineinpassen", so Metselaar. „Sie müssen schon aus dem richtigen Holz geschnitzt sein."

Das Seniorenheim Humanitas in Deventer.

30 Stunden pro Monat müssen sich die Studenten bei Humanitas einbringen und mit den alten Menschen aktiv ein gutes Nachbarschaftsverhältnis gestalten. Einen Tag pro Woche hat jeder eine Küchenschicht, in der er sich um das Abendessen kümmert. Ansonsten gibt es keine bestimmten Aufgaben zu erledigen, das Augenmerk liegt lediglich darauf, den Senioren das Leben angenehmer zu gestalten, so dass sie sich nicht in ihren eigenen Sorgen verlieren. „Je aktiver man ist, desto besser ist das Wohlbefinden", weiß Metselaar.

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Middelburg betreut auch den Facebook-Account von Humanitas. Er spielt also nicht nur Spiele, schaut Fernsehen oder liest die Zeitung mit seinen Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern, er zeigt ihnen auch das Internet. „Wir Studenten bringen ein wenig Technik in das Leben der Senioren. Manche haben sogar ein iPad", so Middelburg. „Ich zeige ihnen dann wie man etwas tippt, natürlich alles ganz langsam und ganz einfach erklärt, oder ich demonstriere ihnen Youtube oder Facebook. Die Senioren liken gerne auch die Bilder auf der Humanitas-Facebook-Seite und teilen sie mit ihren Enkeln und ihrer Familie. Dadurch fühlen sie sich noch ein wenig lebendiger."

Ein anderer junger Mitbewohner studiert Geschichte. Für ihn liefert das Zusammenleben sogar wichtige Hintergründe für sein Studium. Gespannt hört er den Geschichten zu, welche die Senioren aus ihrer eigenen Vergangenheit erzählen.

„Du bekommst ein Zimmer für umsonst und dazu noch ganz viel Liebe", erzählt Middelburg begeistert. Doch obwohl die Studenten ihr Leben ganz nach ihren eigenen Wünschen ausrichten dürfen (es gibt keine Sperrstunde, wie man vielleicht denken könnte, und Besuch ist auch erlaubt), ist nicht alles immer ganz einfach. „Man hat halt weniger Privatsphäre. Es kommt schon immer wieder vor, dass jemand in mein Zimmer kommt und sich einfach in der Tür geirrt hat oder mit mir einen Kaffee trinken möchte", so Middelburg. „Aber meine Tür ist immer offen. Sie dürfen immer gerne vorbeikommen. Außerdem kann man auch laute Musik hören, wenn der Nachbar taub oder schwerhörig ist."

Und dank Facebook bleibt auch nichts unbemerkt. „Wenn ich nachts um vier betrunken ein Bild bei Facebook poste, dann reden natürlich alle über mich. Oder wenn ich meine Freundin mitbringe, dann bekomme ich Beziehungstipps. Wir sind halt 24/7 Nachbarn."

Die Warteliste für derartige Studentenzimmer ist mittlerweile lang und das Pflegeheim macht absichtlich keine Werbung mehr für das Projekt, weil sonst wohl hunderte Bewerbungen eingeflogen kommen. Vielleicht liefert das Projekt in Deventer aber Inspiration für weitere Altenheime, ihre Türen für solch eine Erfolgsgeschichte zu öffnen.