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Big Data bestätigt: Hip Hop war die größte Revolution in der Geschichte des Pop

Es ist offiziell: Die Beatles haben die Musikwelt nicht revolutioniert.
Bild: Shutterstock

So wie komplexe Analysesysteme im Sport ein Gegengewicht zu Spekulationen selbsternannter Couchexperten bilden können, hat die Popmusik gerade einen kräftigen Schluck aus dem Big Data-Brunnen genommen.

Eine Gruppe Forscher der Londoner Queen-Mary-Universität in London hat 50 Jahre amerikanischer Musikgeschichte durchsiebt und die Daten der US-Billboard Hot 100 analysiert. Damit wollten sie Trends in Stil und musikalischer Diversität von 1960 bis 2010 herausfiltern.

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Als Datengrundlage dienten jeweils 30-sekündige Clips von insgesamt 17.094 Songs. Diese untersuchten die Forscher auf Harmonieelemente und Klangfarbe—also zum Beispiel, ob die Lieder Septdominant-Akkordwechsel aufwiesen oder ob die Stücke „ruhig, leise, entspannt" oder eher „perkussiv, trommellastig, aggressiv" waren.

„Hat die Vielfalt mit der Zeit zu- oder abgenommen? Verlief der Wandel kontinuierlich? Und wann fanden Einschnitte statt?", fragten sich die Autoren. „Wir können mit dieser großangelegten Untersuchung über unser eigenes oder das Verständnis von Musikexperten hinausgehen, indem wir die Songs direkt betrachten, ihre Zusammensetzung messen und herausfinden, wie sie sich verändert haben", sagte Matthias Mauch, der Hauptautor des Papers, in einem Statement.

Mit dieser der Evolutionsforschung entlehnten Methode können die Wissenschaftler zumindest grob den Aufstieg und Fall mancher Genres nachvollziehen—und ein paar besonders kuriose Eigenschaften der Musik nachzeichnen.

Da ist zum Beispiel der Dominantseptakkord: Für das moderne Pop-Ohr klingt er irgendwie jazzig oder bluesig, kann sich aber auch dissonant anhören, wenn er nicht sauber aufgelöst wird. Dieser Akkord befindet sich seit 50 Jahren auf dem absteigenden Ast, und das wiederum kann als Rückzug von Blues und Jazz aus den Billboardcharts interpretiert werden.

Das Auf und Ab in der Geschichte des Funk und Souls wird deutlich, wenn man sich das Vorkommen der Moll-Septakkordwechsel anschaut—vorhersehbarerweise erlebten die in den späten 70ern ihren absoluten Höhepunkt. Disco, so stellt sich heraus, ist niemals so richtig gestorben, aber Rock hatte richtig miese Jahre in den 90ern. Außerdem konnten Forschergruppe bestimmen, wann sich die Popmusik dramatisch verändert hat.

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Im Paper heißt es dazu: „Der musikalische Wandel—schnell bis langsam—ist hier durch die Farbverläufe blau, grün, gelb, rot und brau dargestellt: 1964, 1983, und 1991 sind Perioden besonders schnellen musikalischen Wandels".

„Der Aufstieg des Rap und verwandter Genres scheint also das wichtigste Ereignis zu sein, das die musikalischen Struktur der US-amerikanischen Charts geprägt hat."

Jetzt wird es richtig interessant: 1964 stiegen Rockbands auf Kosten von Doo-Wop auf. 1983 waren plötzlich New Wave, Disco und Hardrock angesagt und verdrängten Soft Rock, Country, und Soul-/R'n'B-Künstler.

Aber keine fundamentale Umwälzung war so dramatisch wie der Aufstieg des Hip Hop. Wenn du in den Daten die Klangfarbe „energetisch, Sprache, hell" und Musik mit weniger Akkorden nachverfolgst (das führt zugegebenermaßen ein wenig in die Irre, weil der Ur-Hip-Hop-Track „Rapper's Delight" eine sofort erkennbare Akkordfolge hat), kannst du anschaulich sehen, wie sich die Welt der 80er in die 90er Jahre verwandelt hat.

„Der Aufstieg von Rap und verwandten Genres scheint also das wichtigste Ereignis zu sein, das die US-amerikanischen Charts im Untersuchungszeitraum geprägt hat", so die Autoren. Die Ergebnisse ihrer Forschung erscheinen in Royal Society Open Science. Aber momentan fragen wir uns eigentlich vor allem, welche spannenden Fragen diese Daten noch beantworten könnten.

Mit derartigen Techniken könnten wir feststellen, ob Terry Teachout nun Recht hatte oder nicht, als er den langsamen Tod des Liebeslieds in den Popcharts verkündete, ob Musik immer homogener wird (die Daten sagen: nein) oder vielleicht sogar, ob wir irgendwann noch einmal wegen einer Band so durchdrehen werden, wie wir es bei Nirvana getan haben.