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Gestern wurde die weltweit erste Lustpille für Frauen zugelassen

Sie hat starke Nebenwirkungen und ist nicht besonders effektiv—doch die Zulassung der Lust-Pille Flibanserin ist trotzdem ein Schritt in die Richtung gleichberechtigter Sexualmedizin.
Gerade für eine Millarde Dollar verkauft: Die Firma Sprout. Bild: Sprout Paharmaceuticals

Nachdem bereits zwei Anläufe gescheitert waren, hat die US-amerikanische Zulassungsbehörde für Arzneimittel FDA gestern ein lustfördernes Mittel für Frauen zugelassen.

„Das ist meines Wissens das erste Mal, dass ein Medikament explizit zur sexuellen Luststeigerung von Frauen entwickelt und zugelassen wurde," resümierte der Sexualforscher Kim Wallen von der Emory University gegenüber Forbes.

Das missverständlich als „weibliches Viagra" bezeichnete Medikament ist ursprünglich ein Produkt aus der Resterampe der Herzmedizin, funktioniert aber völlig anders als das blaue Erektionsmittel für Männer: Während Viagras Wirkstoff Sildenafil recht simpel die Blutgefäße im Penis erweitert, zielt das neue Mittel für Frauen auf die Psyche und die Wiederherstellung der Libido ab. Der Wirkstoff Flibanserin verschiebt das chemische Gleichgewicht im Gehirn zu Gunsten von mehr Dopamin und Noradrenalin (beides Botenstoffe, die die Lust steigern) und zu Lasten des eher hemmenden Serotonin.

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Wir wissen allerdings noch nicht genug über die Neurochemie der Luststeigerung, um zu beurteilen, was das Medikament, das unter dem Namen Addyi ab Oktober zunächst in den USA erhältlich ist, eigentlich langfristig im Gehirn anstellt.

Das Produkt wird von der US-Pharmafirma Sprout entwickelt, die extra für den Vertrieb der rosa Pille gegründet wurde. (Zuvor hatte sich auch schon einmal der deutsche Pharmagigant Boehringer Ingelheim mit der selben Pille erfolglos bei der FDA um eine Zulassung bemüht). Sprouts CEO Cindy Whitehead, die sich zurzeit verstörenderweise entsprechend der Pillenfarbe ebenfalls komplett in Pink kleidet, sagte der Deutschen Welle: „Ich leide einfach mit den Frauen mit, denen man sagt: 'Trink doch ein Glas Wein, dann wird das schon'." Das überzeugte wohl auch andere Pharmahersteller: Vor wenigen Minuten kaufte der kanadische Konzern Valeant die Pharmafirma Sprout für eine Milliarde US-Dollar.

Viele Gruppen wie ein Zusammenschluss aus 26 Organisationen namens EvenTheScore bejubeln die Entscheidung der FDA als einen Durchbruch auf dem Weg zu mehr Produkten für eine gleichberechtigte Sexualmedizin: Bis zur gestrigen Zulassung gab es keine einzige Behandlungsmöglichkeit für sexuelle Dysfunktion bei Frauen. Im Vergleich dazu findet man 26 anerkannte Mittel für Männer.

Die Lobbyarbeit von EvenTheScore, zusammen mit dem zwar unkorrekten, aber einprägsamen Spitznamen des „weiblichen Viagras" und einem klinischen Test mit 11.000 Frauen waren die Faktoren, die die erneute Zulassungbeantragung nun möglich machten. Die Behörde hatte die Zulassung seit 2010 zweimal wegen zu starker Nebenwirkungen und geringer Effektivität abgelehnt.

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Bis gestern gab es keine einzige Behandlungsmöglichkeit für sexuelle Dysfunktion für Frauen im Vergleich zu 26 anerkannten Therapiemöglichkeiten für Männer.

Addyi kommt leider tatsächlich mit einigen Nebenwirkungen daher, die das Produkt umstritten machen: Wer das Medikament einnimmt, darf absolut keinen Alkohol trinken. Außerdem kann der Blutdruck sinken. Zudem berichten Frauen von Schwindel, Schläfrigkeit und Übelkeit bei der Einnahme des ursprünglich als Antidepressivum entwickelten Medikaments. Allein der Zulassungsprozess wirft Fragen über Sexismus in der medizinischen Forschung auf (was nicht zuletzt auch eingefärbte Diskussionen wie „Brauchen Frauen ihr eigenes Viagra?" beweisen): In der Alkohol-Sicherheitsstudie, die an die FDA überwiesen wurde, waren zum Beispiel absurderweise 23 der 25 Probanden Männer, wie Forbes berichtet.

Sich wie bei Viagra, das binnen einer Stunde wirkt, schnell eine Pille vor dem Sex einzuwerfen, funktioniert aufgrund des veränderten Wirkmechanismus ebenfalls nicht: Eine Patientin muss das Medikament monatelang regelmäßig nehmen, um eine Wirkung zu spüren.

Selbst wenn die Pille dann im Oktober dieses Jahres zunächst auf dem US-Markt erhältlich sein wird, bleibt die Verschreibung aufgrund der ernsten Nebenwirkungen stark restriktiv—ausschließlich Frauen kurz vor ihren Wechseljahren können für die sogenannte Hypoactive Sexual Desire Disorder behandelt werden.

Zu guter letzt ist Flibanserin nicht gerade ein Garant für Orgien, denn die berichteten Ergebnisse sind beschieden: Zwischen 8 und 13 Prozent der Teilnehmerinnen des klinischen Tests berichten von der Wirksamkeit beziehungsweise, wie er im hüftsteifen Behördensprech heißt, „durchschnittlich 4,4 erfüllenden Sexualerlebnissen im Monat". Nichtsdestotrotz wird die Zulassung als ein Erfolg gefeiert und von Gesundheitsexperten auch eher als Meilenstein gesehen, der den Weg für ähnliche und vielleicht besser verträgliche Konkurrenzprodukte ebnen kann.