Die outgesourcte Gulaschkanone
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Die outgesourcte Gulaschkanone

Welche Bereiche der Bundeswehr privatisiert sind—und welche Folgen das hat.

Privatisierung im Krieg verbinden wir zuallererst mit Söldnertruppen wie Blackwater, die für die richtig dreckigen Aufgaben in US-Kriegen zuständig waren—und die sogar Menschenleben durch Folter und Misshandlung auf dem Gewissen haben.

Aber auch in der Bundeswehr ist Outsourcing nichts neues. Der Wehretat erhöht sich aufgrund der „besonderen Gefahrenlage" in Afghanistan, Mali und Somalia jedes Jahr. Proportional dazu steigt auch der Anteil an Firmen, die zentrale Funktionen der Bundeswehr ausüben—auch als Antwort auf die neuen, asymmetrischen Konflikte, die sich nicht mehr nur zwischen Staaten abspielen, sondern in denen auch Terrorgruppen wie der IS eine Bedrohung darstellen. Wo der Staat nicht einspringen kann oder will, treten private Unternehmen an seine Stelle und übernehmen wichtige Aufgaben für die deutsche Bundeswehr.

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Es ist ein von Rudolf Scharping initiierter Trend, der sich seit vielen Jahren fortsetzt—und er kann zu unabsehbaren Konsequenzen führen. Von der Software bis zur Drohne wären die Streitkräfte schon heute ohne private Dienstleister ziemlich aufgeschmissen. Dabei dürfen die Externen schon rein rechtlich eigentlich nicht in die sogenannten Kernaufgaben des Militärischen vordringen.

Doch das tun sie im großen Stil. „Das Thema ist: Wo fangen die Kernaufgaben an und wo hören sie auf? Und was überhaupt zählt alles zu den Kernaufgaben?", fragt Prof. Tim Engartner, der zum Thema Privatisierung an der Uni Frankfurt forscht und der Co-Autor eines ausführlichen Berichts zu dem Thema namens „War Sells" ist.

Bild: Bundeswehr | Flickr

Dass hier etwas aus dem Gleichgewicht geraten ist, spiegelt allein schon die Art und Weise wieder, wie die Verträge aufgesetzt sind: Der private „Partner" liefert nicht nur die Drohnen und die Datenbank, sondern kümmert sich auch um Betrieb und Wartung vor Ort.

Heute sind hierzulande rund 2500 private Sicherheits- und Militärfirmen registriert. Es scheint niemanden zu stören, dass im Koalitionsvertrag von CDU und SPD eigentlich steht: „Die in internationalen Auslandseinsätzen vermehrt zu beobachtende Auslagerung von militärischen Aufgaben auf private Unternehmen kommt für uns nicht in Frage."

Aber wie genau sieht das aus, und wie handlungsfähig wäre die Bundeswehr noch ohne diese externen Dienstleister? Wir haben uns exemplarisch angeschaut, an welchen Stellen der deutsche Krieg schon heute privatisiert ist, wer davon profitiert, welche Projekte gefloppt sind und welche Folgen das für die Wehrfähigkeit des Staates haben kann.

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Disneyland für Truppen: Die Bundeswehr zu Gast im Simulationsparadies

Bild: Marcus Rott | Bundeswehr

Die einzige U-Bahn Sachsen-Anhalts ist mitten ins Nichts zwischen einer Moschee, einem Elendsviertel und einer Lasertag-Halle in die Provinz gebaut. Doch sie wird keine Bürger transportieren, sondern Bundeswehrsoldaten, die auf dem Gelände zu Gast sind, als Trainingsanlage dienen—am Rheinmetall Dienstleistungszentrum Altmark (RDA), einem der größten und modernsten Militärübungsgelände der Welt.

Auf 320 Quadratkilometern—einer Fläche, die dem Stadtgebiet München entspricht—erschafft sich die Bundeswehr zusammen mit dem Düsseldorfer Rüstungsunternehmen das ultimative Simulations-Wunderland für Soldaten, in dem jeder Gefreite vor seinem Auslandseinsatz auf den Häuserkampf im Afghanistan oder dem Balkan vorbereitet wird. Für das variantenreiche urbane Kriegserlebnis im Gefechtsübungszentrum (GÜZ) finden sich auf dem dazugehörigen Gelände „Schnöggersburg" mit seinen 520 Gebäuden neben U-Bahn und einer Moschee orientalisch angehauchte Geisterdörfer, eine Autobahn, eine begehbare Kanalisation, ein paar Ruinen, ein 22 Meter breiter Fluss, ein Sportstadion und städtische Infrastruktur-Hotspots wie ein Wasserwerk und eine Mülldeponie.

Rheinmetall stellt aber nicht nur die Infrastruktur und 250 Angestellte vor Ort und die mehr oder weniger authentisch-liebevollen Kulissen—sondern vor allem auch die Technik, mit denen alle Übungen der Soldaten erfasst werden. Denn geschossen wird nur mit Laser. Die Rüstungskonzern-Mitarbeiter schneiden die Videos mit, werten jeden einzelnen Treffer des Laserschuss-Systems aus und halten das Kommunikationsnetz aufrecht. Für die technische Unterstützung sorgt die Rheinmetall Defence Electronics, eine Bremer Tochterfirma des Konzerns. Ob sie die anfallenden Daten an Dritte, vielleicht im Ausland verkaufen? Wer weiß das schon.

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Wie die Bundeswehr heimlich 80 Millionen Euro für Laserwaffen ausgegeben hat

Das Problem daran: Obwohl Rheinmetall eigentlich auch nur Aufgaben übernhemen darf, die nicht zum „militärischen Kerngebiet" gehören, gibt es kaum kontrollierbare Aufweichungen an den Schnittstellen. Doch spätestens „mit der Übernahme der Datenverarbeitung aus den Lasertag-Übungen dringt Rheinmetall in den Kernbereich des Militärischen vor", sagt Engartner.

Die aufwändige Ausstattung des Truppenübungszentrums soll aber auch internationale Gefechtstouristen anziehen, was wiederum dem Düsseldorfer Rüstungskonzern zu mehr Prestige und Umsatz verhelfen würde. Irgendwann sollen sich auch mal NATO-Truppen in der Altmark duellieren, so der Plan. Bis dahin freut sich der Konzern über einen fetten Auftrag aus Russland, um dort ein ähnliches Zentrum zu bauen. Wegen der Krimkrise untersagte das Wirtschaftsministerium den Deal zwar im vergangenen Herbst; aber zu spät: Da war das Schießübungszentrum in der Wolga-Region schon zum Großteil geliefert und aufgebaut.

Der „urbane Ballungsraum" Schnöggersburg soll im ersten Quartal 2018 eröffnet werden—ob dieser Plan eingehalten werden kann, ist aber noch unklar. Schließlich demolieren militante Antimilitaristen schon heute immer mal wieder triumphierend Telefonhäuschen und setzen Inventar rund um das GÜZ in Nacht- und Nebelaktionen in Brand, um im Rahmen ihres jährlichen Camps „War starts here" gegen die Auslandseinsätze der Bundeswehr zu protestieren.

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Wie die Unterhose gegen die Wand gefahren wurde—Die Kleiderkammer LHBw

Bild: Bundeswehr | Flickr

Eins der ersten Projekte zur Verschlankung der Bundeswehr setzte bei den Klamotten des Gefreiten an—ein Projekt des damaligen Verteidigungsministers Rudolf Scharping. Als sogenannte Public-Private-Partnership wollte Scharping 2002 mit der Auslagerung der Kleiderkammer in das Unternehmen LHBw die Kosten für die Dienstkleidung der Soldaten reduzieren. Eine magere Dekade roter Zahlen später floppte das Projekt im vergangenen Jahr endgültig: Die LHBw musste angesichts einer drohenden Insolvenz vom Bund zurückgekauft werden—das kostete 91,86 Millionen Euro.

Grund für die Insolvenz war die Fehlkalkulierung bei anderen Projekten, so dass die Firma herbe Verluste einfuhr. Ursprünglich träumte die LHbw nämlich davon, weltweit tätig zu werden. Mittlerweile wurden die Anteile der privaten Gesellschafter Lion und Hellmann herausgekauft: Die „Badepatine" und der Kampfstiefel der Soldaten gehören seit dem 28. Juli 2015 wieder der Bundesrepublik Deutschland, die 150 Millionen Euro angehäuften Schulden wurden über Steuereinnahmen gedeckt. „Privatfirmen laufen eben Gefahr, pleite zu gehen", fasst es Prof. Engartner zusammen.

Einfach mal selbst ein Angebot machen: Kreative Lösungen aus der Games- und Rüstungsindustrie

Zuweilen kommt die Wirtschaft oder Militärindustrie auch einfach proaktiv auf die Bundeswehr zu und sichert sich einen Deal auch außerhalb des Rahmenvertrags mit der g.e.b.b., einer Gesellschaft, die für die Abwicklungen von Bundeswehr-Privatisierungen zuständig sein soll.

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Sehr clever macht das beispielsweise die Firma Thales, die in Koblenz ein sogenanntes „Battlespace Simulation Center" errichtet hat. Dort kann die Bundeswehr ab 2017 nicht nur Militäreinsätze üben, sondern auch Waffenentwicklungstests durchführen.

Praktisch daran, auch für die Firma: Andere Armeen können dank Dependancen von Thales in den Niederlanden, Frankreich oder Großbritannien virtuell vernetzt werden, um einen multinationalen Einsatz zu üben. Selbstverständlich sind auch die Experten von Thales in einer Mannstärke von 140 Personen vor Ort. Ein Thales-Team führt dazu operationelle Analysen durch und setzt sie „in Konzeptänderungen um, die in Kooperation mit dem Kunden erarbeitet werden". Im Klartext: Die eingekauften Spezialisten von Thales entscheiden mit über die Kriegsstrategie.

Eins der wichtigsten Produkte am Thales-Zentrum in Koblenz ist das „Ausbildungsgerät Schießsimulator Handwaffe/ Panzerabwehrhandwaffen (AGSHP)", das jüngst ein Upgrade erhalten hat, der in Bundeswehrkreisen als „Quantensprung" bezeichnet wird. International wird es unter dem Namen Sagattarius vermarktet. Mit dem in Koblenz vom Thales-Konzern entwickelten „innovativen Schießsimulationssystem" Sagattarius-Evolution kann die Bundeswehr mit Hilfe von Satellitendaten in einem beliebigen Gelände das Schießen üben; das Gerät lässt sich beliebig auf neue Waffen, wie zuletzt das „Wirkmittel 90", eine geschulterte panzerbrechende Waffe für die Schulter, erweitern. Auch Door Gunner, also die Soldaten, die mit dem Maschinengewehr an der Helikoptertür stehen, können damit trainieren. Dafür wird die Engine des deutschen Computerspielherstellers Crytek (FarCry, Crysis) benutzt, der auch andere Rüstungs-Kooperationen wie mit Lockheed Martin oder der Polizei in Dubai eingeht. Bei einem Bundeswehr-Vortrag über die Vorteile und Erfahrungen mit der CryEngine-gestützten Simulation mussten Journalisten allerdings draußen bleiben.

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Bild: Thales

Bild: Thales

Bild: Informationsstelle Militarisierung

Im Einsatz stellt Airbus Defense and Space mit Sitz am Bodensee den Soldaten einen Mobilfunk sowie Internetzugang zur privaten Nutzung zur Verfügung. Der erste Kommunikationsatellit für die Bundeswehr ist ebenfalls aus dem Hause Airbus Space and Defense und ist, nachdem er von einer Ariane 5-Trägerrakete in Französisch-Guyana in die Umlaufbahn geschossen wurde, seit 2009 im Einsatz, um den Soldaten eine sichere Sprach- und Datenübertragung zu ermöglichen.

Bewaffnungsfähige Drohnen — Keine Ahnung warum, aber sie fliegen

Bild: Sebastian Wilke/Bundeswehr | Flickr

Bald wird die Bundeswehr mit mehreren isrealischen Kampfdrohnen des Typs Heron ausgestattet, erklärte Ursula von der Leyen am 12. Januar in Berlin. Bis 2025 will Deutschland dann gemeinsam mit Frankreich, Italien und Spanien eine eigene Eurodrohne entwickelt haben. Die geleasten Drohnen sollen spätestens 2018 einsatzbereit sein. Partner für die Übergangslösung bis dahin—die Anmietung von „drei bis fünf" Heron TP-Drohnen—ist wie auch schon zuvor Airbus Defense.

Den Technikern dieser Firma fällt schon heute eine ganz besondere Aufgabe zu: Denn die Luftwaffe wartet ihre Drohnen nicht selbst und bereitet auch die Einsätze nicht selbst vor oder nach, sondern hat dafür einen Leasingvertrag mit der Militärabteilung von Airbus abgeschlossen. Die Drohnen senden ihre Bilder direkt an den gleichzeitig startenden Spähtrupp. Die Airbus-Piloten fliegen auch schon mal ein paar Kilometer selbst zum Einsatzgebiet in Masar-e-Scharif in Afghanistan.

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Das 51. Taktische Luftwaffengeschwader „Immelmann" bekommt die neuen Drohnen zwar—doch die rund 25.000 Flugstunden, die die drei Heron-Drohnen in Afghanistan absolviert haben (zwei davon sind bereits futsch), werden zumeist von Airbus Defense geleistet. Gesteuert wird das System von einem Zweierteam. Auch die Wartung im Einsatz fällt dem Konzern zu: Nach Angaben von Airbus Defense and Space sind vor Ort in Afghanistan rund 40 Piloten, Ingenieure und „andere Experten" stationiert.

Fahrzeuge top, aber leider nicht da—Der Fuhrpark

Wer hätte gedacht, dass die Deutsche Bahn Anteile am Bundeswehr-Fuhrpark hat? Im Juni ging die Bundeswehr Fuhrpark Service GmbH als ÖPP (Öffentlich-private Partnerschaft) an den Start. Beteiligt sind der Bund (75,1 Prozent) sowie die Deutsche Bahn AG mit 24,9 Prozent. Nicht nur werden die zivilen Fahrzeuge der Bundeswehr in 18 Servicecentern bundesweit verwaltet und gewartet, sondern auch „Fahrzeuge mit militärischer Ausstattung" vermietet.

Tatsächlich hat die Vermietung der Militärfahrzeuge tatsächlich dazu geführt, dass die Fahrzeuge nun technisch besser in Schuss wären, wie Soldaten berichten. Kleiner Wermutstropfen: Sie sind nun allerdings nicht mehr verfügbar, wenn sie gebraucht werden. (Portugall 2007, 154). Und das mit der Einsparung von Geldern hat auch nicht ganz so gut funktioniert.

2011 rügte der Bundesrechnungshof, die Bundeswehr schaffe es einfach nicht, ihren gigantischen Fuhrpark zu reduzieren und verschwende damit jedes Jahr Milliarden. Trotz der vielversprechenden Privatisierung würde das Gros der 72.000 Fahrzeuge (gebraucht würden eigentlich nur 30.000) noch immer vom Bund betreut werden. „Damit ließen sich neue, dringend benötigte geschützte Fahrzeuge und weitere einsatzwichtige Ausrüstungen beschaffen", heißt es in dem Bericht.

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Herkulesaufgabe Datenhoheit—IT-Services und Kommunikation

Mit einem Zusammenschluss aus Bundeswehr (49,09 Prozent), IBM (0,05 Prozent) und Siemens (50,5 Prozent) wollte die Bundeswehr demonstrieren: So eine Öffentlich-Private Partnerschaft (ÖPP) funktioniert auch in gigantischen Dimensionen. In zwölf großen Rechenzentren verwaltete und modernisierte dieses Bündnis über zehn Jahre lang die Telefonnetze, Leitungen und Software des Bundes. Der Auftrag über sieben Milliarden Euro sollte Kosten sparen. Doch damit ist jetzt vorerst Schluss.

Das vielversprechend „Herkules" getaufte Projekt war bereits häufiger scharfer Kritik ausgesetzt, zuletzt mal wieder vom Bundesrechnungshof. Der monierte, die Bundeswehr verfüge durch die Auslagerung an die IT-Experten „nicht mehr über umfassende Erfahrungen im Betrieb der stationären IT". Seit Ende 2015 ist die Bundeswehr deshalb wieder Herr über ihre eigene Infrastruktur.

Wozu es führen kann, wenn Streitkräfte nicht mehr den kompletten Durchblick haben, welches Gerät sie bedienen, lässt sich schon jetzt im GÜZ in der Altmark beobachten. Einem Bericht der Zeit zufolge plauderte der dortige Oberstleutnant freimütig über seine Inkompentenz im Bereich der Lasertechnik aus dem Nähkästchen: „Für uns ist das alles eine Blackbox, aber das System funktioniert". Na dann.

Kein Wunder, hat die Bundeswehr doch höchstens sekundäre Erfahrungen mit dem neuen System: Rheinmetall Defence hält den Quellcode der Programme, mit denen die Bundeswehr trainiert, laut einem ehemaligen Mitarbeiter unter Verschluss. Rheinmetall wiederum wehrte sich gegen die Darstellung und wies die Verantwortung zurück an die Bundeswehr. In den Streitkräften gäbe es nicht mal genügend Netzwerktechniker, um die Computerinfrastruktur überhaupt am Laufen zu halten, entgegnete ein Bundeswehroffizier.

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Gerade 2014 hat die Rheinmetall Defence ihren 70 Millionen-Euro-Vertrag mit der Bundeswehr zur Betriebnahme des GÜZ um weitere vier Jahre bis 2018 verlängert. Nicht nur im Kompetenzzentrum Baumanagement des GÜZ arbeiten also Soldaten und Zivilpersonal „Seite an Seite in gemischten Teams", heißt es in einem Bundeswehr-Bericht.

Verpflegung und Versorgung — Die outgesourcte Gulaschkanone

Seit 2000 überführt die g.e.b.b. (Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb mbh) Bereiche, die nicht Kernaufgaben der Bundeswehr sind, in privatwirtschaftliche Hände. Das hat nicht immer gut geklappt, im Gegenteil sah sich die g.e.b.b. schon häufiger Korruptionsvorwürfen ausgesetzt, in Folge dessen ranghohe Mitarbeiter gefeuert wurden. Sie soll Beratungsverträge mit der Geschäftsführung nahestehenden Personen abgeschlossen haben. 2013 forderten Politiker deshalb sogar schon die endgültige Abwicklung der gebb.

Nur eins von vielen Beispielen ist das gründlich in die Hose gegangene Bemühen, die Gulaschkanone zu privatisieren. „Gut gemeint, aber letztendlich restlos gescheitert" — so bilanzierte Peter Ramsauer das Projekt.

Das kam so: Bereits 2005 kümmerten sich private Firmen um die Kleidung und den Fuhrpark der Bundeswehr, was in den ersten drei Jahren 313,8 Millionen Euro einsparte (wir erinnern uns: bevor das Kleidungsunternehmen pleite ging). Solche Effekte wünschte sich das Verteidigungsministerium nun auch im Verpflegungsbereich und plante daher über ihre hauseigene Outsourcing-Gesellschaft g.e.b.b., das Catering in den Bundeswehrküchen zu privatisieren. Starten sollte das Projekt mit einer Testphase in Bayern: In 14 Kasernen wurde der Cateringanbieter Dussmann an die Gulaschkanone gebeten, um künftig 5000 Soldaten zu verpflegen.

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Das ging gründlich schief. Schon kurz nach Start des Modellversuchs beschimpfte der Dienstleister die Bundeswehr und warf den Bund-Kantinenkollegen Essensdiebstähle, „destruktives Verhalten" und Verschwendung vor. Die Soldaten selbst erklärten die Essensreste auf ihren Tellern anders: Dussmanns Essen sei so mies, dass sich im Streik sogar 50 Mann von der Truppenverpflegung komplett abgemeldet hätten. Mehrere Millionen Euro Verluste später gab Dussmann im Juni 2006 entnervt auf, und der Bund übernahm die Kasernenverpflegung wieder.

(Die Gulaschkanone selbst ist dagegen ein Exportschlager: Seit 2014 hat die Bundeswehr die „Feldküche Typ TFK250" der Firma Kärcher Futuretech im Einsatz und diese auch in größerer Stückzahl an die gegen den IS kämpfenden Peschmerga geliefert.)

Im Nachklapp dieses gefloppten Versuchs wurden der Privatisierungsgesellschft g.e.b.b. Zuständigkeiten entzogen. Heute soll sie nur noch eine Inhouse-Beratungsagentur für die Privatisierungsvorhaben der Streitkräfte darstellen. Auf Anfrage konnte die g.e.b.b. jedoch Motherboard nicht mitteilen, welche Bundeswehr-Bereiche in den letzten fünf Jahren privatisiert wurden.

Keine Söldner, aber das Heer so klein wie nie—Personal

„So klein wie heute war die Bundeswehr noch nie", gab der Wehrbeauftragte Bartels bei der Vorstellung seines ersten Jahresberichts zu bedenken. Derzeit sind rund 177.000 Soldaten aktiv; so wenige wie schon lange nicht mehr.

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Dass der Staat exklusiv Streitkräfte aufstellen darf, ist bei uns sogar im Grundgesetz unter Artikel 87a explizit geregelt; und ein deutsches Pendant zu Firmen wie Blackwater oder Academia existiert nicht. Und doch vermischt sich in allen Bereichen ziviles und militärisches Personal: Das Risiko wird dadurch ausgelagert. Weil die Mitarbeiter nicht als Soldaten gelten, hat die Bundeswehr zum Beispiel nach Ablauf des Isaf-Mandats in Afghanistan viel militärisches Personal durch Mitarbeiter von Privatfirmen ausgetauscht. Denn die tauchen in keiner Statistik auf.

Wohin das Problem mit Söldnern führen kann, die im US-amerikanischen Krieg die dreckigen Aufgaben übernehmen, zeigt das Beispiel Irakkrieg: Obwohl als Übersetzer und Wachleute angeheuert, folterten Mitarbeiter der Unternehmen Titan und Caci Gefangene in Abu Ghreib und führten eigenmächtig Verhöre durch. Beide Firmen unterlagen keiner parlamentarischen Kontrolle und führten eine Art Stellvertreterkrieg. So weit ist die Bundeswehr glücklicherweise nicht.

Nichtsdestotrotz sieht man die Privatisierung im Militär am Personal besonders deutlich: Privatunternehmen bewachen heute die Kasernen in Afghanistan, Angestellte von Militärfirmen waschen Blut aus den Uniformen und übernehmen Service-, Logistik- und Wartungsaufgaben ganz nah an den Streitkräften, wie den Bau der Feldbetten und die Instandhaltung von Waffensystemen—und zwar zum Teil direkt neben dem Schlachtfeld.

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Dass die Mitarbeiter gefährdet werden, kann ebenso wenig ausgeschlossen werden wie die Destabilisierung der außen- und sicherheitspolitischen Lage. Im Kosovo übernehmen Privatunternehmen die Grundversorgung der Soldaten. In den Compounds in Kabul geht man sogar noch einen Schritt weiter: Hier sind sogar private Rüstungsfirmen direkt ansässig.

Fazit—Wohin führt die Privatisierung?

Wie weit können also Privatisierungaufgaben reichen, ohne dass das Gewaltmonopol des Staates untergraben wird? Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten, denn es ist eine Entwicklung, die schleichend im Gange ist—und doch sind die Privatisierungsbestreben nach amerikanischem Vorbild schon weit fortgeschritten, und die Grenzen alles andere als trennscharf. Das gilt inbesondere für die „neuen Kriege", in denen nicht mehr Staaten gegen Staaten kämpfen, sondern sich die Bedrohungslage hin zu Gruppen wie dem Islamischen Staat verschoben hat.

„Immer, wenn Staaten sich in sicherheitspolitisch sensiblen Bereichen von Privatfirmen anhängig machen, laufen sie Gefahr, die Entscheidungs-, Handlungs- und Deutungshoheit über den Kriegsverlauf preiszugeben—zugunsten von Privatunternehmen, bei denen betriebswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Rechnungen und nicht politische Zielsetzungen vorrangig sind", schreibt Tim Engartner in seinem Bericht „War Sells".

Im Umkehrschluss sind die Bundeswehrsoldaten nicht auf der Höhe der Zeit, was die Inbetriebnahme, Bedienung und Wartung wichtiger Software und Waffensysteme angeht. So entstehen unweigerlich Abhängigkeiten und gegebenenfalls erhebliche Konflikte.

Werden hoheitliche Aufgaben auf Akteure der Privatwirtschaft ausgelagert und gleichzeitig ökonomisiert, gehen zunächst die Informationshoheiten und letztlich die staatliche Handlungsfähigkeit verloren: Was passiert mit den Streitkräften, wenn private Partner aus finanziellen Gründen ausfallen? Und wenn die Einsatzkräfte ihre Informationen ins Ausland weiterverkaufen? „Was als Partnerschaft auf Augenhöhe und Heilmittel gegen wachsende Staatsschulden gepriesen wird, erweist sich bei näherer Betrachtung als eine besonders fatale Variante des (Aus-)Verkaufs staatlichen Eigentums", schreibt Engartner.

Bleibt also noch das viel zitierte Argument der Wirtschaftlichkeit—doch auch das sehen Experten anders. Der Sicherheitsexperte Ulrich Petersohn resümiert in einer Studie im Auftrag für die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP): „Bei komplexeren Aufgaben sind Privatfirmen nicht kosteneffizienter als der öffentliche Sektor".

Aber das ist nicht das einzige Problem. Wenn man Privatfirmen nicht nur an Militäreinsätzen beteiligt, sondern diese durch durch gezielte Lobbyarbeit auch Einfluss auf deren Gestaltung und Umfang nehmen können, „werden demokratische Entscheidungsprozesse unterminiert, so dass eine intransparente und teils unlautere Einflussnahme auf staatlich verantwortete Außenpolitik stattfinden kann", schreibt Engartner in „War sells".

Die Privatisierung der Bundeswehr kommt uns also nicht nur wirtschaftlich teuer zu stehen—auch der politische Preis eines ausgebluteten Staates ist viel zu hoch.