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Apple-Mitarbeiter packen über den größten Designfehler der iPhone-Geschichte aus

Apple will seinen größten Designfehler nicht öffentlich eingestehen, doch Quellen aus dem Unternehmen berichten, dass man sich sehr wohl über die Dimensionen des Problems bewusst sei.
Bild: Trent Dennison | YouTube

Erst vor wenigen Wochen hat Motherboard eine ausführliche Recherche über den wohl größten Designfehler in der Geschichte des iPhones veröffentlicht: Die sogenannte „Touch-Krankheit", bei der das Touchdisplay des iPhone 6 Plus unbedienbar wird, hat inzwischen ein solches Ausmaß erreicht, dass der Fehler heute den Großteil an Neugeräten betrifft, der defekt in die Werkstätten von freien Apple-Reparaturdiensten eingeliefert wird. Das besondere Problem an der „Touch-Krankheit": Sie tritt auch auf, ohne dass sich der Nutzer bei der Bedienung des Geräts etwas hat zuschulden kommen lassen.

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Während Apple dieses Ausmaß des Problems bislang nicht öffentlich einräumen will, haben Apple-Mitarbeiter jetzt gegenüber Motherboard erzählt, dass die Firma sich sehr wohl des Problems bewusst sei—und es den „Geniuses" überlässt, den Kunden die schlechte Nachricht vom defekten Gerät zu überbringen.

Zwei Apple Store-Mitarbeiter aus den USA—ein aktiver und einer, der kürzlich gekündigt hat—haben Motherboard nach der Veröffentlichung unserer Touchscreen-Recherche kontaktiert. Beide Mitarbeiter, deren Namen Motherboard nicht öffentlich machen kann, da sie eine Geheimhaltungsklausel unterzeichnen mussten, berichteten, dass das Unternehmen sehr wohl weiß, dass es mit der „Touch-Krankheit" ein Problem gibt. Das zeigte sich sowohl dadurch, dass ihre Vorgesetzten sie explizit darauf hinweisen, als auch implizit durch die Vorgaben im firmeninternen Reparatursystem.

Lest hier die ausführliche Recherche mit allen technischen Details zur Touch-Krankheit: Apple ignoriert noch immer den größten Design-Fehler der iPhone-Geschichte

Die massenhaften Touchscreen-Ausfälle basieren im Wesentlichen auf einem Konstruktionsfehler, der Apple auch bei „Bendgate" schon zum Verhängnis wurde. Der Konstruktionsfehler führt dazu, dass das Logicboard des iPhones sich jedes Mal minimal verbiegt, wenn das Gerät aus der Tasche gezogen, in eine Hülle gepackt oder fallen gelassen wird. Nach tausenden dieser Verbiegungen können sich irgendwann die zwei „Touch IC"-Chips des iPhones lösen, was wiederum zu einem teilweisen oder totalen Touchscreen-Ausfall führt. Ein häufiges Symptom sind dann flimmernde graue Balken am oberen Rand des Bildschirms. Das Problem, dass nach Aussagen von Reparaturfachleuten durch einen grundlegenden Designfehler beim iPhone 6 Plus verursacht wird, wurde für das iPhone 6S bereits behoben.

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Einige wichtige Ansatzpunkte über Apples internen Umgang mit der Touch-Krankheit in den USA liefert ein Blick auf Apples interne Reparatur-App namens „Mobile Genius". In der App, über die das gesamte hauseigene Reparatursystem läuft, müssen die Apple Geniuses jedes defekte Gerät, das im Laden abgegeben wird, kategorisieren. Laut eines ehemaligen Mitarbeiters, der die Firma kürzlich verlassen hat, wurden Geräte mit defekten Touchscreens in einem Dropdown Menü als "Display -> Flimmernd/Blinkend" oder als Multitouch-Problem eingeordnet. Nach dieser Kategorisierung „sperrte das System sofort jegliche Reparaturoptionen und zeigte, falls der Kunde keinen Garantieanspruch mehr hatte, 329 Dollar Kosten für den Austausch an", schrieb mir das Apple Genius in einer E-Mail.

„Anfangs war der normale Arbeitsablauf, das Display auszutauschen", erklärte der Mitarbeiter der Genius-Bar gegenüber Motherboard. „Da die meisten Geräte noch Garantie hatten, stellte das für die Kunden kein echtes Problem dar. Kurze Zeit später wurde dieser Ablauf jedoch in der Mobile Genius App gesperrt und uns blieb nur noch die Möglichkeit, die gesamte Einheit auszutauschen—ein automatisches Pop-up warnte uns, einen Bildschirmaustausch nicht mal zu VERSUCHEN. Damit war klar, dass Apple von einem Problem wusste und, da sie das Display als Ursache bereits ausgeschlossen hatten, wusste, dass es am Logicboard Chipset liegt."

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So sehen die beiden IC Touch Chips aus. Bild: iFixit

„Apple Technikern war das zunehmende Problem durchaus bewusst, da Apple penibel auf die korrekte Kategorisierung der Reparaturen achtete," fügte der ehemalige Mitarbeiter hinzu. „Außerdem nutzt Apple einen hauseigenen Newsletter names RetailMe um Informationen zu verbreiten. Auf diesem Wege wurden wir ausdrücklich angewiesen, Geräte mit „Touch-Krankheit"-Symptomen auszutauschen".

Ein anderer Mitarbeiter bestätigte diesen Bericht und sagte, dass sein Team „darüber informiert wurde, dass es sich um ein bekanntes Problem handle". Er sagte, dass er in seinem Store regelmäßig mit Kunden zu tun habe, die wütend darüber seien, für die Reparatur eines vermeintlich simplen Display-Problems 329 Dollar zahlen zu müssen—ohne selbst einen Bedienungsfehler begangen zu haben.

Dementsprechend sauer sind viele der Kunden, wenn sie mit einem Gerät mit Touch-Fail in einen Apple Store kommen. Besonders bitter für Geniuses: Sie mit den Folgen von Apples Desingfehler allein gelassen. „Sie sagten uns Mitarbeitern zwar, dass sie von dem Problem wussten, ließen uns die Sache dann aber ausbaden und wir bekamen den Großteil des Ärgers der Kunden ab", berichtete der Mitarbeiter. Inzwischen werde er leicht nervös, sobald er ein iPhone 6 oder 6 Plus mit irgendwelchen Display-Problemen sieht, fügte der aktuelle Genius-Mitarbeiter hinzu.

iPhones 6 Plus mit abgelaufener Garantie können zwar in den USA für eine Gebühr von 329 Dollar ersetzt werden, der Mitarbeiter erzählte gegenüber Motherboard jedoch, dass es bei kürzlich abgelaufenen Garantien auch möglich sei, die Geräte günstiger oder kostenfrei zu ersetzen. Er sagte, dass Apple Store-Manager die Kosten jederzeit abändern könnten, die Unternehmenszentrale jedoch nachverfolgt, welche Stores iPhones umsonst ersetzen: „Sie dokumentieren, wie oft diese Kostenänderungen vorgenommen werden und manchmal werden Gespräche geführt, um diese Ausnahmen zu beschränken", erzählte mir der Mitarbeiter.

Die Touchscreen-Krankheit ist längst auch in der Öffentlichkeit zu einem berüchtigten Phänomen geworden: Über das Problem des iPhone 6 Plus wurde bereits unzählige Artikel geschrieben. Unabhängige Reparaturfachleute, die mit dem Thema vertraut sind, erklären, dies sei sogar der häufigste Defekt von 6 Plus-Modellen. Diese Experten betonen außerdem, dass Touchscreen-Probleme auch bei Geräten auftreten, die nicht schlecht behandelt, fallen gelassen oder verbogen wurden.

Momentan läuft im Zusammenhang mit der Touch-Krankheit eine Sammelklage gegen Apple und die verantwortliche Kanzlei wurde bereits von über 6.500 Betroffenen kontaktiert. Trotzdem hat sich Apple bisher nicht öffentlich zu dem Problem geäußert, was sowohl den Kunden als auch den Angestellten des Unternehmens schadet. Apple hat bisher weder auf unsere Anfragen zu diesem Artikel noch zu unserer ersten Recherche reagiert. Bereits in unserer ersten unbeantworteten Rückfrage haben wir Apple um mehr Informationen zu den internen Arbeitsabläufen gebeten—genau jene Prozesse, über die es nun dank der Aussagen der beiden Apple-Mitarbeiter etwas mehr Klarheit gibt.

„Es bereitet mir schlechte Laune, wenn ich jemandem ins Gesicht sagen muss, dass sein iPhone keine Garantie mehr hat und dass das Austauschen 329 Dollar kosten wird", erklärte einer der Mitarbeiter abschließend. „Diese Situation ist auch mit der Grund, warum ich mich nach einem neuen Job umschaue. Ich musste mich durch so viele Gespräche durchwinden und Fragen ausweichen, nur damit die Kunden nicht wütend auf mich wurden."