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Für Fadenwürmer ist „Transcendence“ bereits Realität

Forschern ist es gelungen, den Geist eines Wurms in einen LEGO-Körper hochzuladen. Der Robo-Wurm agiert dank dem OpenWormProject vollkommen biologisch autark.

​Es gibt im Wissenschaftsjournalismus ein paar Richtlinien, an denen sich jeder orientieren sollte. Eine davon lautet: Wenn sich die Frage in deiner Headline einfach mit „Nein" beantworten lässt, schreib den Artikel nicht (Beispiel: „Lebt Hitlers Geist in Minecraft weiter?" oder „Werden wir in Zukunft alle Kakerlaken-Steaks essen, die in unseren eigenen biogehackten Bauchfalten wachsen?"). Eine andere lautet: Wenn irgendjemand ein neues Experiment großspurig mit einem aktuellen Film vergleicht, handelt es sich fast immer um puren Populismus und ihr solltet euch den Clickbait-Finger sofort mit Lauge abwaschen.

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In diesem Fall ist die Wirklichkeit aber genau so verrückt, wie der Vergleich mit Transcendence nahelegt. Forscher haben nämlich ​den Geist eines Fadenwurms der Gattung Caenorhabditis elegans in einen LEGO-Roboter upgeloadet—und damit das wahrgemacht, worum es ​dem KI-Forscher Dr. Will Caster in Transcendence geht (nur eben mit Würmern statt Johnny Depp in der Hauptrolle).​ Auf der Grundlage des ​OpenWormProjects kommen die Wissenschaftler der ​Singularität einer maschinellen künstlichen Intelligenz jetzt einen großen Schritt näher, und wollen ​somit auch die Vorgänge im menschlichen Gehirn besser verstehen.

Gelungen ist der Transfer vom Wurm- in den Roboterkörper, weil die gesamte biologische Essenz des Fadenwurms bestehend aus nur 302 Neuronen (im Gegensatz zu jener von uns Menschen) bereits komplett entschlüsselt ist. Das Pr​ojekt ermöglichte es den Forschern, eine absolut akkurate Karte des neuronalen Wurm-Netzwerks zu erstellen, in dem wiederum ​UDP-Pakete verwendet werden, um einzelne Neuronen mit Impulsen zu beschießen. Wenn ein Neuron im Netz einen Impuls erhält, ändert sich die Anzeige zu Grün; Dunkelgrün steht für Impulse mit einem Gewicht von über 10, wobei normale Übertragungen zwischen zwei Neuronen einen Ladungswert von 3 haben.

So sieht der „Geist" oder neuronale Schaltkreis eines Wurms aus. Screenshot via ​YouTube

Der Roboter verhält sich seit dem Upload vollkommen natürlich wie ein echter Wurm—bis hin zu der Tatsache, dass der LEGO-Wurm-Hybrid bei Kontakten mit anderen Oberflächen abrupt stehenbleibt, wendet und es noch mal versucht. Es gibt also kein Programm, das dem Roboter sagt, was er in einzelnen Situationen zu tun hat. Er wird einzig und allein vom biologischen Programm eines C. elegans-Wurms gesteuert.

Die philosophischen Fragen, die das Experiment aufwirft, sind genauso fundamental wie jene in Transcendence. Im Film lädt Johnny Depps Charakter Dr. Caster ja sein gesamtes Ich in ein eigens von ihm entwickeltes Programm hoch, das ihm ein virtuelles Leben nach seinem Tod ermöglicht.

Genau wie im Film ist auch beim LEGO-Wurm unklar, ob die Simulation nun die Sache selbst ist—also eine empfindsame Maschine mit digitalem Bewusstsein oder doch „nur" eine Künstliche Intelligenz, die glaubt, etwas anderes zu sein, als sie ist. Bis das neuronale Netzwerk des Menschen zu 100 Prozent entschlüsselt ist und wir mit unseren biologisch verstorbenen, digital upgeloadeten Verwandten Rücksprache halten können, wird diese Frage aber wohl eine bleiben, über die man besser keine Wissenschaftsartikel schreiben sollte.