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NSFW: Die DIY-Forensiker des mexikanischen Drogenkrieges

Dr. Cardenas hat ein chemisches Geheimrezept entwickelt, mit dem er den unidentifizierten, mumifizierten Opfern des mexikanischen Drogenkrieges ihre Namen zurückgibt.

CIUDAD JUAREZ — Dr. Alejandro Hernández Cárdenas ist ein bescheidener Arzt. Er lehrt forensische Zahnheilkunde an der Universidad Autónoma de Ciudad Juárez. Und er identifiziert namenlose, unbekannte Todesopfer am Juarez Forensic Science Lab—und könnte damit die moderne Forensik revolutionieren. Mit seinem sonnengebräunten Körper führt er uns in den Raum, in dem der für seine Methode essentielle Behälter steht, den er selbst liebevoll als seinen „Jacuzzi" bezeichnet.

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Der transparente Tank in Badewannenform fasst rund 230 Liter einer von Hernández Cárdenas entwickelten geheimen chemischen Zusammensatzung, mit der Körper zur Identifikation rehydriert werden können. Wir begleiteten ihn in einer arbeitsintensive Woche, die er mit dem Einweichen eines unbekannten Unfallsopfers im Jacuzzi beginnt und an deren Ende die namenlose, zwei Jahre alte Leiche soweit wieder zum Leben „erwacht", dass ihre Tatoos genauso wie ihre Gesichtszüge wieder sichtbar werden.

Diese Kanister mit dreifach destilliertem Wasser sind die einzige Zutat der Lösung, die uns Hernández Cárdenas filmen ließ. Bild: Brian Anderson/MOTHERBOARD

Die Methode von Cárdenas könnte einen forensischen Fortschritt markieren, der der Kriminalwissenschaft ganz neue Möglichkeiten verschafft. Das Konzept ist es, die Zeit zurück zu drehen und den Körper von einer verschrumpelten Mumie zu einem frisch-verstorbenen Sack aus Fleisch und Knochen zu machen.

Hernández Cárdenas Technik kann mit HIlfe seines Chemiebades die wahre Identität des Körpers und sogar den Grund des Todes zum Vorschein bringen soll. In den letzten zwei Jahrzehnten erarbeitete er seine Methode, die er gerade versucht zu patentieren. Er begann mit Fingern, Ohren, Händen, Armen, Köpfen und untersuchte auch schon einmal die komplette Haut eines Körpers.

Schließlich fragte die Staatsanwaltschaft von Ciudad Juárez an, ob er die Technik nicht auch an einem kompletten Körper ausprobieren könnte. Das war im Jahre 2008 und seitdem ist Hernández Cárdenas zu einer kleinen Berühmtheit in der Welt der Forensik herangewachsen.

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Um eine ebenmäßige Verteilung der Flüssigkeit zu garantieren, müssen die Körper alle acht bis zwölf Stunden bewegt und gewendet werden. Hier sehen wir Hernández Cárdenas, der unseren Körper nach 72 Stunden umdreht. Foto: Brian Anderson/MOTHERBOARD

Cárdenas ist darauf bedacht, nicht zu viel über seinen Frankenstein-Trick zu verraten. Wenn seinem Patentantrag stattgegeben wird, könnte er der Pionier einer neuen forensischen Ära werden und damit sogar Geld verdienen. Doch uns verriet er erstmal nur, dass eine der Hauptzutaten der Lösung Wasser sei.

Er ist nicht alleine auf dem Gebiet. Im Jahr 2005 sicherten sich forensische Forscher an der University of Southern Mississippi ein Patent mit ähnlicher Rehydrationstechnik, auch wenn es sich dabei nur um Abdrücke dehydrierter Fingerspitzen handelt.

Einige Autostunden westlich von Juárez befindet sich die Gerichtsmedizin des Pima Country (PCOME) in Tucson, Arizona. Einer der tragischen Orte, an dem Forensiker sich mit dem Identifizieren von Leichen beschäftigen, die auf der amerikanischen Seite der Grenze tot im Wüstensand gefunden werden. Mehr als 2000 Menschen sind in den vergangenen 13 Jahren bei dem Versuch die Sonora Wüste zu Fuß zu durchqueren und Arizona zu erreichen gestorben, wie die New York Times berichtet. Das PCOME im Pima County hat Pionierarbeit in der revolutionären Rehydrationstechnik von Fingerabdruckfurchen geleistet.

Über Mexiko hat sich eine Todeskultur ausgebreitet. In diskreten Schreinen, die über Juarez verteilt sind, opfern Kartellmörder und Bürger gleichermaßen der weiblichen Volksheiligen Santa Muerte, dem personifizierten Tod. Foto: Brian Anderson/MOTHERBOARD

Bis vor fünf Jahren konnte sich Juarez mit dem zweifelhaften Titel schmücken, die gefährlichste Stadt der Welt zu sein. Sie liegt an einem Knotenpunkt verschiedener Drogenschmuggelrouten, ist ein Sammelort für missbrauchte, weibliche Arbeiterinnen und ein Durchgangsort für Migranten.

Um die 140.000 Mordfälle wurden zwischen 2007 und 2013 in Mexiko aufgezeichnet und auch die amerikanischen Behörden zeigt sich ein ähnlich tragisches Bild. Das US State Department setzt die Zahl der Menschen, die zwischen 2006 und 2012 in Mexiko verschwanden auf 26.121. Viele der nicht identifizierten Kadaver liegen in nummerierten Leichensäcken, aufgebahrt in riesigen Kühlhäusern oder verscharrt in über Mexiko verteilten Massengräbern.

Diese Welle der Gewalt ließ parallel auch die Zahl der Experten auf den verschiedenen Gebiete anwachsen—eines davon ist die Forensik und für nicht wenige Mitarbeiter der Leichenhäuser und Gerichtsmediziner ist Hernández Cárdenas eine Art Mentor und Vorbild.

Nach 120 Stunden nimmt Cárdenas den Körper aus dem Jacuzzi. Ein überwältigender und zugleich widerlicher Anblick. Der Doktor sucht nach besonderen Merkmalen, nach Anzeichen von Gewalt, Fingerabdrücken, all den kleinen Merkmalen, die einem Kriminalisten helfen, die Identität einer Leiche zu ermitteln. Wird eine Übereinstimmung gefunden, informieren die Behörden die Famliie des Opfers.

Wenn die Experten nichts entdecken, dann findet das Opfer seine letzte Ruhe in einem Massengrab. Wie auch immer der laufende Patenantrag ausgeht—Harnández Cárdenas wird weiterhin versuchen die Forensik zu revolutionieren und den Menschen von Ciudad Juárez, die unter dem Drogenkrieg leiden, eine Erlösung zu bringen—einen Körper nach dem nächsten.