Eine Person steht mit einem Einkaufskorb voller Obst und Gemüse im Supermarkt, um noch mehr Superfood einzukaufen – ein Konzept, das eigentlich gar nicht gut für die Umwelt ist
Symbolfoto: Dan Dalton/Getty Images
Politik

Warum das Konzept "Superfood" totaler Bullshit ist

Wenn alle frischen Lebensmittel das ganze Jahr lang verfügbar sind, vergessen wir eine Sache schnell: Es gibt einen guten Grund für die Zyklen der Natur.
Giorgia Cannarella
Bologna, IT

Seit einigen Jahren hat sich ein Trend in der Gastronomie etabliert: Nachhaltigkeit wird nun in vielen Luxusrestaurants ganz groß geschrieben, viele Starköche geben damit an, nur mit saisonalen Zutaten zu kochen. Importierte Hummer und Foie Gras waren gestern, jetzt ist lokales und saisonales Essen angesagt.

Anzeige

Diese Entwicklung ist natürlich gut für die Umwelt, denn nicht-saisonales Obst und Gemüse wird vor allem in Gewächshäusern herangezogen. Und das verbraucht extrem viel Wasser und Strom. Dazu muss dieses Obst und Gemüse häufig noch lange Transportwege hinter sich bringen, was zu höherem CO2-Ausstoß führt. Ironischerweise sind als "Superfood" angepriesene Lebensmittel – etwa Avocados, Nüsse und Bananen – oft die schlimmsten Umweltsünder.

Die Ernährungswissenschaftlerin Eleonora Lano leitet bei der NGO Slow Food International das "Food and Health"-Projekt. Sie sagt, dass es nicht immer Superfood brauche, saisonale Produkte täten uns ebenso gut. "Die Natur weiß genau, wann wir welche Nährstoffe brauchen", so Lano. "Im Winter benötigen wir zum Beispiel viel Vitamin C, was man in Orangen, Kiwis, Broccoli oder Rosenkohl findet." Und im Sommer belastet die Sonneneinstrahlung unsere Haut und Augen besonders stark, deshalb ist saisonales Obst und Gemüse – beispielsweise Aprikosen, Melonen oder Tomaten – dann reich an Betacarotin. Das beugt Schäden durch die Sonne vor.


Auch bei VICE: Geständnisse eines Chefkochs


Wie Lano erklärt, erhöhe der Konsum von lokal angebautem Obst und Gemüse auch den Nährwertgehalt. "Ich sage immer, dass ein Countdown beginnt, wenn man das Obst vom Baum pflückt", sagt die Ernährungswissenschaftlerin. "Denn vor allem beim Obst gehen während des Transports viele Nährstoffe verloren. Zum Beispiel vernichten Temperaturschwankungen manche Vitamine."

Anzeige

Genau deswegen hält Lano das Konzept Superfood auch für Quatsch. Dieses Label wird oft exotischen Lebensmitteln und Zutaten zugesprochen, zusammen mit einer Reihe fast schon magischer positiver Eigenschaften, für die es oft gar keine wissenschaftlichen Belege gibt. "Viele Superfoods haben verheerende Auswirkungen auf die Umwelt. Und das nicht nur wegen des Transports, sondern auch wegen des Anbaus", sagt Lano. Avocados landen zum Beispiel häufig auf den Tellern von gesundheitsbewussten Menschen, haben aber einen enormen CO2-Fußabdruck, weil beim Anbau und beim Transport eine Menge Ressourcen verbraucht werden. Außerdem holzt man für den Avocado-Anbau viel Waldfläche ab.

"Wenn man nur lokale Lebensmittel isst, deckt man trotzdem locker den eigenen Nährstoffbedarf ab", sagt Lano. "Eine gesunde Ernährung ist das Ergebnis von allem, was man isst. Man braucht kein einzelnes Wunderessen, um sich gut zu fühlen." Dazu kommt: Weil die meisten Arten von Superfood von der anderen Hälfte des Globus kommen, werden sie normalerweise noch im unreifen Zustand geerntet – was bedeutet, dass sie noch gar nicht die Eigenschaften entwickelt haben, für die die Leute sie eigentlich kaufen.

Anzeige

Auch Fisch ist kein umweltfreundliches Superfood

"Wir sind so daran gewöhnt, das ganze Jahr lang alles essen zu können, dass wir vergessen, dass auch Fische verschiedene Saisons haben", sagt Paula Barbeito Morandeira, die Organisatorin der "Slow Fish"-Kampagne von der Slow-Food-Stiftung für Biodiversität. Die Fischsaison hängt von den Fortpflanzungszyklen der einzelnen Fischarten ab. Laut Barbeito Morandeira sollte man diese Zyklen beachten, um die nachhaltige Erneuerung der Fischbestände nicht zu gefährden.

Du solltest aber nicht nur schauen, ob der Fisch, den du kaufst, gerade Saison hat, sondern auch auf die Herkunft achten. "Die wichtigen Fragen sind: Wer hat ihn wo und wie gefangen?", sagt Barbeito Morandeira. "Man sollte immer das Etikett lesen oder den Verkäufer direkt fragen."

Manchmal steht auf der Verpackung nicht explizit, wo der Fisch gefangen wurde. Eine zweistellige Zahl, die für ein bestimmtes von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen festgelegtes Fanggebiet steht, sollte aber immer zu finden sein. 37 steht zum Beispiel fürs Mittelmeer, 27 für den Nordost-Atlantik.

Dein Einkauf als Beitrag zum Erhalt bedrohter Communitys

Lokal gefangenen Fisch zu kaufen, unterstützt zudem Communitys, die auf den Fischfang angewiesen sind und seit Jahren zu kämpfen haben. "Sie werden oft einfach vom industriellen Fischmarkt geschluckt und dazu gezwungen, ihren Fang zu unfairen Preisen zu verkaufen", sagt Barbeito Morandeira. Der industrielle Fischfang ist besonders gefährlich für verarmte Gemeinden in Entwicklungsländern. Wie Greenpeace berichtet, haben große Flotten von chinesischen, russischen, türkischen, koreanischen und europäischen Unternehmen in den letzten Jahrzehnten die Gewässer vor Westafrika zu stark abgefischt. Das hat dazu geführt, dass der dortige Fischbestand stark dezimiert wurde und die Nahrungsmittelsicherheit und die Lebensgrundlage von Millionen Menschen bedroht ist.

"Wir lassen zu, dass ganze küstennahe Communitys verschwinden", sagt Barbeito Morandeira. "Vorgaben für den Fischfang sollten auf den Bedürfnissen der Ökosysteme und der davon abhängigen Communitys basieren. Aber das tun sie nicht. Die Fisch-Versorgungskette ist ein komplexes System, das in weiten Teilen leider von der Illegalität durchzogen ist."

Zwar habe die Überfischung als großes Umweltproblem in letzter Zeit einiges an Aufmerksamkeit erhalten, aber die kommerzielle Fischzucht sei oft ebenfalls problematisch, so Barbeito Morandeira. Ein Beispiel: Lachs gehört zu den beliebtesten Fischarten der Welt und wird oft als Superfood bezeichnet, aber es braucht rund fünf Kilogramm Wildfisch als Futter, um ein Kilogramm Wildlachs zu produzieren. Wenn wir unseren Fischkonsum verändern und öfter Meeresfrüchte essen, die auch mit weniger Ressourcen gezüchtet werden können – zum Beispiel Muscheln –, dann könnten Millionen wilde Fische weiter in ihren Ozeanen leben.

"Alle Entscheidungen, die wir in Sachen Essen und Lebensmittel treffen, haben immer eine zweite Seite", sagt Lano. "Über diese Seite denken wir oft nicht nach. Aber wir werden eines Tages dafür zahlen – mit Zinsen."

Folge VICE auf Facebook, Instagram, YouTube und Snapchat.