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Wegen chemischer Verwechslung: Polizei evakuiert Berliner Apple Store

Als die Gruppe um den Künstler in einer rituellen Performance silbrigweißes, flüssiges Metall auf den Boden kleckern ließ, rief Apple die Polizei. Man dachte wohl, dass dort nicht das harmlose Gallium, sondern giftiges Quecksilber tropfte.
Bild: Motherboard | Fotografiert mit einem iPhone

Vom Haus der Berliner Festspiele sind es bis zum Apple Store am Kurfürstendamm zu Fuß nur wenige Minuten. Doch am Samstag lagen Welten zwischen dem Theater und dem Berliner Apple Flagship Store Berlins. Im Zuge des Theaterfestivals „Foreign Affairs" machte sich am frühen Nachmittag eine Gruppe um den Künstler Johannes Paul Raether für eine unangekündigte Performance auf den Weg zu dem Geschäft auf dem Ku'damm.

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Unmittelbar vor Betreten des Apple Stores bekamen die rund 50 Teilnehmer einen kleinen Ring aus Gallium in die Hand gedrückt—einem silbrigweißen Metall, das auch in allen Apple-Geräten verbaut ist. Der Plan für die Aktion, die eigentlich nur wenige Minuten dauern sollte: Mit einem Audio-Guide auf den Ohren durch den Shop schreiten und abschließend eine kollektive Skulptur formen. Im Laden sollte jeder Teilnehmer eine spezielle Website auf einem Apple-Gerät aufrufen und anschließend das Gallium, das sich bei Raumtemperatur langsam verflüssigt, nach draußen bringen, wo sich daraus die kleine improvisierte Skulptur manifestieren sollte.

Doch dazu kam es nicht: Denn schon nach wenigen Minuten rückte die Polizei mit mehreren Streifenwagen an, beendete die Performance zusammen mit dem Sicherheitsdienst des Apple Stores vorzeitig und evakuierte den Laden. Kurz darauf kam auch dann auch noch die Feuerwehr mit mehreren Löschfahrzeugen und einem Sonderteam. Man befürchtete wohl, dass bei der Performance kein Gallium, sondern das ähnlich aussehende, giftige Quecksilber verwendet worden sei.

Auf seiner Facebook-Seite schilderte der Künstler am Sonntag allerdings, wie er der Polizei von Anfang an zu erklären versucht hatte, dass es sich um eine Kunstaktion mit dem harmlosen Gallium handele: „Die Tatsache, dass die herbeigerufene Polizei Gespräche über die Natur der Veranstaltung und damit über das mögliche Gefährdungspotential von Anfang an nicht zugelassen hat, hat sie die Situation aus meiner Perspektive unnötigerweise eskalieren lassen. Die daraus entstandene Evakuierung des Apple-Stores war von mir nicht gewollt."

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Mehrere Augenzeugen bestätigten gegenüber Motherboard, dass sowohl Künstler als auch Teilnehmer von Anfang an den Dialog mit der Polizei suchten und auf die Ungefährlichkeit der Aktion hinweisen wollten. Die Polizei nahm allerdings dennoch die Personalien von Raether und 26 weiteren Teilnehmern auf. Apple entschied außerdem, den Store für mehrere Stunden zu schließen. Vor dem Laden kam es daraufhin zu unschönen Szenen, bei denen einige Kunden des Apple Stores die hinter einer Polizeiabsprerrung festgehaltenen Teilnehmer des Theater-Festivals beschimpften, weil man ihnen das Einkaufen oder ihren Kundentermin verwehre.

Bei Gallium handelt es sich um ein für Gesundheit und Umwelt ungefährliches chemisches Element, das frei verkäuflich ist und in geringen Mengen in zahllosen Computerprodukten eingesetzt wird. Insofern ist Gallium auch ein für Johannes Paul Raether typisches Material für seine Performances, die eine Mischform aus ritueller Inszenierung im öffentlichen Raum mit Materialien oder Themen aus Informationstechnologie und Digitalisierung darstellen.

Das Kostüm, das die Berliner Morgenpost etwas ungelenk als „eine Art Spiderman-Kostüm" bezeichnete, steht in den Performances von Raether für die Rolle der Hexe Protektorama, die „die Besessenheit der Menschen vom Smartphone-Fetisch untersucht." Sie war in vorherigen Arbeiten schon in einem Steinkreis in Schottland oder im New Yorker Times Square im Einsatz. Erst vor wenigen Wochen führte Raether in Berlin eine technik-okkulte Performance im Rahmen der Berlin Biennale durch.

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Bild: Motherboard | Fotografiert mit einem iPhone

Die vorher nicht genauer angekündigte Aktion sorgte deutschlandweit für Schlagzeilen, wobei das Boulevardblatt B.Z. die vielleicht spektakulärsten Beobachtungen gemacht haben will: Raether selbst soll das Metall versprüht haben. Allerdings bestätigten Augenzeugen gegenüber Motherboard, dass Raether den Laden erst ganz am Ende der Aktion betrat und dabei auch kein Galium bei sich hat—versprüht wurde der Stoff ohnehin nie; allein schon, weil dies chemisches mit den Ring-Legierungen nicht möglich ist.

Die einzigen materiellen Spuren, die die Aktion hinterließ, waren einige Tropfen des Galliums auf dem Boden und den Tischen, die jedoch recht einfach wieder entfernt werden konnten. Vom verwendeten Gallium, das weder roch noch qualmte, ging dabei keine gesundheitliche Gefahr aus, weshalb auch nicht ganz klar ist, warum eine unbeteiligte Frau laut Polizei über Hautreizungen nach der „Ätz-Attacke" klagte.

Der herbeigeeilte Direktor der Berliner Festspiele entschuldigte sich dennoch allgemein bei allen Betroffenen und sagte in einer Erklärung, dass man nicht mit einer solchen Entwicklung gerechnet habe.

Für Festival und Künstler könnte die Aktion trotzdem teuer werden, wenn Polizei und Feuerwehr tatsächlich ernst machen und die Kosten für den Einsatz zurückverlangen. Allein die Feuerwehr hat inzwischen angekündigt, ihren als Notfall klassifizierten Einsatz mit 5.000 Euro in Rechnung zu stellen. Ob der Apple Store versuchen wird, Umsatzeinbußen geltend zu machen, ist bisher noch nicht bekannt.

Update: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, dass Raether den Apple Store gar nicht betreten hat. Tatsächlich betrat er den Apple Store ganz am Ende der Aktion; allerdings hatte er—anders als von der B.Z. berichtet—dabei kein Galium bei sich. Wir bedauern die Ungenauigkeit und haben die entsprechende Passage aktualisiert.