Popkultur

Endlich eine Soap ohne Heteros!

Wir haben mit dem Regisseur der ARD-Serie "All You Need" darüber gesprochen, warum das bitter nötig war.
Fünf Freunde stoßen auf einer Dachterrasse in Berlin an, sie sind Teil der ersten queeren Serie im deutschen Fernsehen
Foto: Andrea Hansen | ARD Degeto

Vier Freunde leben in Berlin. Sie haben Sex, sind verliebt, streiten sich, feiern. Das klingt wie der Plot einer Serie, die wir schon kennen. Doch All You Need ist anders: die erste Serie im deutschen Fernsehen mit ausschließlich schwulen Protagonisten.

In der ARD-Mediathek können wir Vince, Levo, Tom und Robbie dabei zuschauen, wie sie Sex in einer Club Toilette haben, Paintball spielen, Beziehungen beenden oder welche beginnen. Obwohl die Serie noch gar nicht ausgestrahlt wurde, hat die ARD schon eine zweite Staffel eingekauft.

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Benjamin Gutsche, Regisseur und Drehbuchautor, hat uns erzählt, warum.

Warum ist Deutschland erst jetzt bereit für eine Serie mit nur queeren Hauptdarstellern?
Wenn man mit England oder Amerika vergleicht, liegen wir in Deutschland tatsächlich wahnsinnig zurück. Dort gab es schon in den 90ern und 00er Jahren Queer as Folk oder Queer Eye for the Straight Guy. Ich glaube die Sehnsucht nach einer queeren Serie war auf jeden Fall da. 


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Wie hast du "All You Need" trotzdem durchbekommen?
Tatsächlich hatte Christoph Pellander, der Redaktionsleiter der ARD-Degeto, den Impuls für All You Need gegeben. Er wollte eine solche Serie in die ARD bringen und hat mich angefragt. Wir haben schon vor vier Jahren an einem queeren Projekt gearbeitet, das dann aus Zeitgründen nicht zustande kam. Christoph Pellander wollte jetzt eine Serie für die ARD-Mediathek machen. Eine Serie, die in Berlin spielt, in der es um Liebe, Sex und Freundschaft geht. Meine erste Reaktion war in dem Moment: "Naja, klingt jetzt nicht so toll."

Und dann?
Dann meinte er plötzlich: "Aber bitte alle Hauptfiguren schwul." Sieben Monate später war Drehbeginn. Denn wir wussten alle: Es ist längst überfällig und bitter nötig. Mit Mut hat das nichts zu tun. Wir wollten endlich queere Charaktere in den Hauptrollen auf dem Bildschirm sehen.

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Woher kam die Idee?
Am Anfang habe ich mich gefragt, wie ich die Serie in einem Satz zusammenfassen würde. Für mich war dann klar: Same Sex and the City. Ich bin mit Anfang 20 selbst aus einer Kleinstadt in Brandenburg nach Berlin gezogen. 

Wie war das?
Das war ein Unterschied wie Tag und Nacht für mich. In Berlin bin ich ins Nachtleben eingetaucht und habe gemerkt: Ach, I'm not the only gay in the village, wie vorher. In die Serie ist natürlich viel von dieser Erfahrung eingeflossen.

Warum spielt die Serie dann nicht auf dem Land und zeigt die Probleme dort?
Wir wollten einen Kosmos schaffen, der empowering ist und eine positive Message nach außen schickt. Daher fiel die Entscheidung auf den Freundeskreis in einer Großstadt mit all ihren Möglichkeiten für das urbane, queere Leben. Wir wollten auch die Themen, die sich oft in den bisherigen queeren Filmen und Serien widerspiegeln – wie Coming-out, Ausgrenzung, HIV – vermeiden. Für den Schreibprozess war mir wichtig, ein Bewusstsein für die klischeehaften Zeichnungen von Charakteren und Stereotypen zu haben. Auf die greifen wir anfangs auch in der Serie zurück.  

Du wolltest Klischees abbilden?
Klischees haben ja immer einen wahren Kern. Wichtig ist, die Klischees nicht nur zu reproduzieren. Queere Figuren treten im Deutschen Fernsehen meistens als Nebenfiguren, Gimmick oder Schmuckstück für die Diversität auf, bekommen aber selten einen Fokus. Bei All you need geben wir den Figuren die Zeit, sich zu zeigen und zu entwickeln, um die Klischees und Stereotypen dann zu brechen. Bei einer Figur wie Levo, der sehr schillernd und feminin rüberkommt, wollen wir zeigen, dass das nur eine Lesart ist. Denn auch diese Figur hat Wünsche, Sehnsüchte, Triumphe, Niederlagen, wie sich im Laufe der Serie immer mehr herausstellt. Damit brechen wir dann die Stereotypen auf. 

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Die vier Schauspieler, die die Hauptrollen besetzen sind heterosexuell. Sollten schwule Charaktere nicht auch von schwulen Schauspielern gespielt werden?
Nataly Kudiabor, der Produzentin von All You Need, und mir war es von Anfang an wichtig, queer zu besetzen. Als Regisseur kann ich im Castingprozess aber nicht als erstes nach der sexuellen Orientierung der bewerbenden Schauspieler:innen fragen. Als Filmemacher achte ich natürlich als allererstes auf das Spiel und Zusammenspiel der Schauspielerinnen und Schauspieler, darauf, ob sie zur Figur passen und ob die Chemie untereinander passt. Die sexuelle Orientierung ist dabei nur eine Facette eines sehr komplexen Charakters. Und in den Episodenrollen haben wir zahlreiche queere Schauspieler besetzt.

Du glaubst also nicht, dass Identität bei der Besetzung eine Rolle spielen sollte?
Ich verstehe die Debatte und ich habe dafür auch große Sympathien. Und ja, wir wollten auch im Hauptcast schwul besetzen, aber im Casting haben uns dann vier noch relativ unbekannte Schauspieler überzeugt, die nicht der LGBTQ+ Community angehören. Außerdem hatten auch einige queere Schauspielerinnen und Schauspieler während des Castings abgesagt. Zum Teil aus terminlichen Gründen, aber eventuell auch, weil sie selbst keinen inhaltlichen Zugang zum Projekt gefunden haben. Auch das passiert. 

Habt ihr versucht herauszufinden, ob die Schauspieler, die ihr ausgewählt habt, schwul sind?
Ja. Wir haben auch die Agenturen angefragt. Und da kam natürlich zu Recht sofort die Antwort: Entschuldigt, aber wir sind eine Talentagentur und nicht eine Sexuelle-Orientierungsagentur. Sie können und wollen eine solche Frage nicht an die Schauspieler:innen richten. Das habe ich auch verstanden. Aber ich verstehe auch die Forderung nach mehr Repräsentation von queeren Schauspielerinnen und Schauspielern. 

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In der Zwischenzeit haben sich 185 Schauspielerinnen und Schauspieler im Rahmen des #Actout-Manifests geoutet. 
Ja, genau, wir haben die Serie gedreht, da war das #ActOut-Manifest noch in weiter Ferne. Jetzt haben wir die Möglichkeit, die neuen Rollen in der zweiten Staffel spezifischer besetzen zu können.

Hast du das Gefühl, das bei deiner Serie andere Maßstäbe gelten, als bei Serien, die nicht so eine Vorreiterrolle einnehmen?
Die Erwartungen der Community sind besonders hoch, weil sich natürlich alle abgebildet fühlen möchten. Es wurde auch schon gefragt: Warum sind da keine lesbischen Charaktere? Wo sind die transgender Rollen? Wo sind die non-binären Figuren? Wir können jedoch nicht alles alleine schultern und mit fünf Folgen à 25 Minuten aufgreifen. Die Kritik richtet sich eigentlich auch insgesamt an die Medienlandschaft in Deutschland, finde ich.

Inwiefern?
Gäbe es zehn oder zwölf Serien, die einen Fokus auf die queere Community legen, dann gäbe es diese Kritik an uns gar nicht. Natürlich können dadurch Erwartungen enttäuscht werden, wenn es in dieser Staffel nur um vier schwule Männer geht, da ich die Geschichte hierfür zunächst aus meiner Perspektive als schwuler Mann schreiben wollte. Ich würde mich aber natürlich freuen, wenn All you need die Türen für weitere Projekte öffnet, damit auch die entsprechenden Kreativen mit ihren Erfahrungen, mit ihrem Können und ihrem Talent eine eigene Serie, einen eigenen Film kreieren könnten.

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