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Hört auf, euch wegen des drohenden Whiskymangels Sorgen zu machen!

Die Nachrichten stimmen—es gibt einen Whiskyengpass. Deswegen muss man aber noch lange nicht durchdrehen. Denn Whisky wird weiterhin nicht aus der Welt sein.
Photo via Wikipedia

Sind wir mal ehrlich: Wenn die Augustsonne scheint und der Südwind sanft über unsere Haut streicht, gibt es nichts besseres als Whisky—genauer gesagt Bourbon. Oder so ähnlich. Diese Zeilen sind zwar nicht meine, aber das Gefühl dahinter schon.

Diese Zeilen sind ein Auszug aus einer Ode an Mint Julep von dem amerikanischen Journalisten J. Soule Smith aus den 90er Jahren des vorletzten Jahrhunderts und passen natürlich dann am besten, wenn mal wieder die Mint-Julep-Saison angebrochen ist, was schon bald der Fall sein wird. Dieses Jahr aber könnte sich die Einhaltung der Mint-Julep-Tradition als schwierig erweisen, denn die Whiskyvorräte nähern sich langsam dem Ende. Das ist zumindest die Story, die im letzten Monat die Nachrichten zum Thema Alkohol bestimmt hat. Wie im schlimmsten Albtraum scheinen wir Whisky, vor allem Bourbon und Tennessee, schneller zu trinken, als die Destillerien produzieren können. Vor allem wenn man bedenkt, dass vieles von dem, was wir heutzutage wegsaufen, schon vor Jahren in Fässer abgefüllt wurde.

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Die Erklärungsansätze für den Engpass waren erwartungsgemäß sehr vielfältig. Die Australian Broadcasting Corporation schob die Schuld auf die „Hipster", weil sie Whisky zu einer Modeerscheinung gemacht hätten. Shepard Smith, Reporterterrier von Fox News, unterbrach den CEO der Buffalo Trace Distillery, um zu fragen, ob sich dahinter vielleicht ein Werbetrick verbergen würde. Was hingegen keiner zu verstehen scheint ist die Tatsache, wie sich der Engpass—und ja, es gibt wirklich einen—auf die reale Welt auswirken wird.

In den 80er Jahren gewannen hellere Spirituosen an Popularität und der Whiskymarkt brach zusammen. Schnapsbrenner gerieten daraufhin in die Defensive, drosselten die Produktion und machten eher zurückhaltende Prognosen. Dies machte es nur noch komplizierter, eh schon schwierige (soll heißen: unmögliche) und kostenaufwendige Prognosen für einen Markt aufzustellen, dessen Produkte erst Jahre, manchmal sogar Jahrzehnte, nach Fertigstellung verkauft werden. Denn: Guter Whisky ist oft alter Whisky.

Irgendwann um das Jahr 2000 herum wurde Whisky wieder beliebter und erlebte eine wahre Renaissance, was dazu führte, dass Whisky nicht länger nur als Geschenk für den Vater taugte, sondern Einzug in den Haushalt von jedem erhielt, der etwas auf sich hielt. Seit 2000 ist der Marktanteil von Whisky stetig gewachsen und hat heute 34,7 Prozent Marktanteil bei alkoholischen Getränken. Allein im Jahr 2013 stieg der Marktanteil in den USA um 10,1 Prozent, oder 474 Millionen Euro, laut eines Berichts des in Washington, D.C., ansässigen Distilled Spirits Council of the United States (DSCUS).

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Und dank der Erschließung neuer Märkte im Ausland sind amerikanische Whiskyexporte stark gestiegen. Von 2012 bis 2013 haben die Whiskyexporte laut DSCUS um rund 37 Millionen Euro zugenommen.

Doch während Whisky immer beliebter wird, haben Lieferanten Schwierigkeiten, die Nachfrage zu bedienen. Der plötzliche Boom hat Destillerien wie Buffalo Trace—zu der Marken wie Buffalo Trace, Sazerac, Eagle Rare, and Blanton's gehören—komplett überrascht. „Kennen Sie irgendeine andere Industrie, die schon heute all das produziert hat, was sie die nächsten 23 Jahre verkaufen wird?", schrieb Amy Preske, Handelsvertreterin für Buffalo Trace in einer E-Mail. „Schon heute versenden wir monatlich, sodass die meisten Märkte theoretisch nicht länger als einen Monat im Voraus planen sollten, wenn sie kein Produkt auf Lager haben.

Jeder kann verstehen, wo das Problem liegt: Wie sollen Schnapsbrenner die Nachfrage bedienen, wenn sich diese auf dem jetzigen Stand einpendeln oder sogar noch weiter ansteigen sollte? Schließlich gibt es einfach nicht genug Whisky. „Du kannst ja nicht einfach heute die Produktion ankurbeln und schon morgen dann mehr Whisky haben", so Clayton Cutler, Leiter der Schnapsbrennerei der Tenn South Distillery, zur Tageszeitung The Tennessean. Wenn man dann noch bedenkt, dass auch Fässer aus Weiß-Eiche—die für lang gereiften Whiskey verwendet werden—knapp werden sollen, ist das Problem perfekt.

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Whiskyengpässe wurden schon immer gerne in den Medien breit getreten. Und Unternehmen profitieren oft davon, wenn Nachrichten über Knappheit die Runde machen. Schließlich „gefällt es der Whiskyindustrie, wie jeder anderen Industrie auch, wenn über sie geschrieben wird", meint Chuck Cowdery, Autor von Bourbon, Straight: The Uncut and Unfiltered Story of American Whiskey („Bourbon unverdünnt: Die ungeschnittene und ungefilterte Geschichte von amerikanischem Whisky").

Wie sollen Schnapsbrenner die Nachfrage bedienen, wenn sich diese auf dem jetzigen Stand einpendeln oder sogar noch weiter ansteigen sollte? Schließlich gibt es einfach nicht genug Whisky.

Oktober letzten Jahres wurde bekannt, und das mit einem fast schon komisch wirkenden Medienecho, dass 222 Flaschen von einer der begehrtesten und teuersten Bourbon-Sorten auf dem Markt, Pappy Van Winkle, aus der Buffalo Trace Distillery verschwanden. Die Kisten des sagenumwobenen Pappy werden auf 19.000 Euro geschätzt. Infolgedessen hat die örtliche Polizeistelle einen Finderlohn in Höhe von 7.400 Euro ausgesprochen. Viele gingen davon aus, dass der Täter aus der Destillerie kommt, oder dass sogar ein schmutziger Marketingtrick dahinterstecken könnte. Wie dem auch sei, trotz des Fehlens von ein paar hundert Flaschen wurde der Markenname erfolgreich gepusht. Schließlich hängt der oft von den Geschichten, die sich um eine Marke ranken, und einer relativen Nichtverfügbarkeit ab.

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„Sie versuchen immer, dass ein gewisser Teil der Nachfrage nicht bedient werden kann. Sogar jetzt in Zeiten hoher Nachfrage haben sie nicht vor, die Produktion signifikant anzukurbeln", so Cowdery.

Die Art und Weise, wie über den aktuellen, drohenden Engpass berichtet wird, erinnert an den Wirbel, der um das Verschwinden der Pappy-Flaschen gemacht wurde. Und da die Warnungen von der Industrie ausgehen, ergeben sich damit einhergehend gewisse Legitimitätsfragen. Der Hauptgrund dafür, dass der Hype übertrieben erscheinen könnte, liegt in der Tatsache, dass das Engpassgerede von den Produzenten und Lieferanten selbst in den Umlauf gebracht wurde", meint Nima Ansari, Berater für den in Manhatten ansässigen Wein- und Spirituosenfachhandel Astor Wines and Spirits.

Bei einigen schrillen sofort die Alarmglocken, wenn es um Hypes geht, die von der Industrie selbst ausgehen. Andere wiederum sehen darin eine Gelegenheit zu untersuchen, wie die trinkende Öffentlichkeit die Warnung (miss-)deutet.

Ich habe mir also selber ein Glas Bourbon eingegossen und einige Whisky- und Spirituosenexperten angerufen, von denen ich mir ein paar Antworten erwartet habe. Die wenigen, mit denen ich sprach, meinten, dass der Engpass weder so ernst sei, wie es die Berichterstattung rüberbringt, noch auf clevere Marketingtricks zurückzuführen sei.

„Keinem geht der Whisky aus", so Cowdery. „Wer denkt, dass ein Whiskyengpass bedeutet, dass man auf der Suche nach Whisky nirgendwo mehr fündig wird, den kann ich beruhigen: Denn das ist definitiv nicht der Fall. Ich denke, das musste mal klargestellt werden."

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Die Chancen stehen gut, dass die Berichterstattung über den Engpass eh ein bisschen übertrieben war, wenn nicht sogar komplett aufgebauscht. „In dem ganzen Gerede über einen Engpass steckt meiner Meinung nach eine gute Portion Fiktion", glaubt David Wondrich, Experte zur Geschichte des Cocktails und Getränkekorrespondent für das Magazin Esquire. Die Marken wachsen schneller, als die Eigentümer noch vor ein paar Jahren gedacht hätten. Das bedeutet für einige Märkte, dass Personen, die sich auf eine Marke versteift haben, nicht mehr ihren Lieblingswhisky genießen könnten."

„Ich glaube nicht, dass sie das geplant haben, oder dass sie es im Grunde nicht vorziehen würden, über größere Vorräte zu verfügen—bei dem angeblichen Marketinggerede scheint es mir weniger darum zu gehen, eine clevere Strategie zu verfolgen, als eigentlich nur das Beste aus einer (relativ) schlechten Situation zu machen", ergänzt Wondrich.

Und in Bezug auf den Fässerengpass? Nun ja, erstens sind die Kunden von Fassmachereien heutzutage hauptsächlich gereifte und dunkle Whiskysorten, was dazu führt, dass der Vorrat eh schon knapp ist. Abgesehen davon „haben die beiden Sachen nichts miteinander zu tun", so Cowdery weiter. „Ein Whiskyengpass betrifft das, was sich momentan in den Fässern befindet—oder eben nicht—wohingegen die Fässersituation das beeinflusst, was heute in fünf oder zehn Jahren sein wird."

Im Gegensatz zu dem, was viele Artikel vorschlagen, müssen wir auch nicht zum Spirituosenladen rennen, um unsere Vorräte aufzufüllen. Denn wie David Wondrich klarstellt, könnten die Konsumenten von nur einer bestimmten Whiskymarke in der Tat ein leeres Regal vorfinden, aber das wohl auch nur für einen Monat, ergänzt Amy Preske von Buffalo Trace.

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Was steht uns dann also bevor? Eine Vielzahl toller Whiskys von kleineren Destillerien aus dem ganzen Land, die einen stetigen und gesunden Wachstum erlebt haben und weiterhin Qualitätswhisky produzieren. „Wir haben viel Whisky, der abfüllbereit ist, und ebenso viel, der zum Verkauf bereitsteht", sagt Gable Erenzo, zuständig für Marketing und Vertrieb bei Hudson Whiskey, einer kleineren New Yorker Destillerie.

„Es gibt immer noch viel Whisky und in den nächsten paar Jahren werden einige der neuen Mikrodestillerien endlich gereifte Whiskysorten auf den Markt bringen können, wovon einige gut sein werden—sogar sehr, sehr gut", so Wondrich weiter. „Momentan erleben wir glaube ich das Ende des alten, stark konsolidierten amerikanischen Whiskymarktes aus dem 20. Jahrhundert."

Als Fazit lässt sich sagen, dass man die Engpassgeschichten am besten mit der nötigen Portion Skepsis oder einem Schluck Bourbon, oder am besten einer Mischung aus beidem, genießen sollte. Denn der drohende Whiskyengpass, der sich in der realen Welt im schlimmsten Fall als ein Monat ohne deine Lieblingspulle Whisky entpuppen wird, wurde durch die Presse zu einer dystopischen Zukunftsvision hochgeschaukelt, bei der wir alle auf dem Trockenen sitzen werden.

Gerade jetzt, wo die Julep-Saison naht, ist es also besonders wichtig, auf die aktuelle Berichterstattung nicht reinzufallen. Die letzten Verse von Smith' Ode an den Julep scheinen ein klareres Bild davon zu zeichnen, was die nächsten Monate für uns Whiskytrinker auf Lager haben. Oder zumindest haben sollten:

Trink ihn und träume, denn er ist wie ein einziger Traum. Kein ferner Land kann dir so süßen Trost spenden bei deinen Sorgen; Kein feiner Likör kann dir Tage voll Melancholie so sehr versüßen. Trink ihn und du wirst verstehen, dass du nirgends solch einen Trost für deine Seele und solch ein Elixier für deinen Körper finden kannst wie in einem alten Bourbon Whisky.