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Restaurant Confessionals

Was ich gelernt habe, als einer meiner Köche an einer Überdosis Heroin starb

„Jahrelang habe ich in meinem Kopf immer wieder durchgespielt, wie es zu seinem Tod gekommen ist. Und bis heute weiß ich nicht, ob ich es nicht verbockt habe, als ich ihm das Geld vorgestreckt habe.“

Willkommen zurück zu den Restaurant Confessionals, wo wir den Leuten aus der Gastronomie eine Stimme geben, die ansonsten viel zu selten zu Wort kommen. Hier erfährst du, was sich hinter den Kulissen in deinen Lieblingsrestaurants so alles abspielt.

Nach ein paar Monaten sind die meisten Leute, die noch zur Eröffnung in einem Restaurant gearbeitet haben, längst wieder verschwunden. Mit der Zeit fügen sich alle gut ein, aber bis aus einem Team eine richtige Familie wird, was lange dauern kann, gibt es viel Verschleiß: Tellerwäscher, die eigentlich als Hilfsköche arbeiten wollten, Barhilfen, die sich eigentlich als Barkeeper beworben hatten und Bedienungen, die es einfach satt hatten und nicht mehr zur Arbeit gekommen sind. Das passiert in den ersten Monaten, daran gewöhnt man sich.

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Deshalb hat es mich auch nicht überrascht, als einer meiner Hilfsköche, nennen wir ihn Phil, ein paar Wochen nach der Eröffnung einfach nicht auftauchte. Am Tag vorher hatte ich ihm noch einen kleinen Gehaltsvorschuss gegeben—was ich nur ungern gemacht habe, aber der Küchenchef meinte, dass wir den Jungen unbedingt brauchen.

Phil war von Anfang an etwas, gelinde gesagt, schwieriger. Weil ich das Personal nicht vor den Augen der Kunden rauchen ließ, nannte er mich einfach einen Nazi und für ihn war „schwul" ein abschätziger Begriff, mit dem er seine Unzufriedenheit über alles ausdrückte, von seiner Schichteinteilung bis hin zu unseren Tagesangeboten. Solche Typen gibt es in jeder Küche in den USA. In der kurzen Zeit aber, die er bei uns gearbeitet hat, war er immer pünktlich und hat seine Arbeit ordentlich gemacht. Nur irgendwann änderte sich das.

Gut zwei Wochen, nachdem ich ihm den Vorschuss gegeben habe, hat ein ehemaliger Barkeeper, der nur kurz für uns gearbeitet hatte, eine E-Mail geschrieben: Phil war tot.

Er hat sich von dem Vorschuss Heroin gekauft und sich damit abgeschossen. Tagelang war er auf den Beinen und nahm jede After Hour mit—irgendwann verschwand er jedoch.

Doch es ist manchmal schwer, an einem Ort, wo Messer, Funken und Geschirr schon mal fliegen können, festzustellen, welche Probleme Menschen haben und ihnen die Aufmerksamkeit zu widmen, die sie verdienen.

Ich hatte keine Ahnung, dass Phil ein Problem hatte, denn ehrlich gesagt gab es kein Problem, bis es auftauchte. Er war einfach nur ein Typ, der auf Freigetränke vom Chef nach der Arbeit stand und nach der Schicht seinen Dampf in einer Stadt, wo einige Bars nie schließen, abließ. Eines Tages traf er eine dumme Entscheidung, die ihm das Leben gekostet hat.

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In Restaurants, insbesondere in der Küche, arbeiten oft bestimmte Charaktere: einzigartige, abenteuerlustige, kreative Außenseiter, die sich irgendwann für die Gastronomie entscheiden, weil sie woanders keinen Job finden. Das wird dann ihre neue Familie und wie in jeder Familie hat jedes Mitglied so seine Fehler. In Lokalen des Nachtlebens spielen oft Drogen und definitiv auch Alkohol eine Rolle. Die Leute in der Küche sind unterbezahlt und arbeiten zu viel. Um eine 10 bis 15 Stunden Schicht zu überstehen, braucht man übermenschliche Kräfte. Deshalb gibt es eine stille Vereinbarung in der Küche: Egal was man außerhalb oder oft auch während der Arbeit macht, so lange man pünktlich ist, seine Schicht bis zum Ende durchzieht und weiß, wie man an seinem Posten zu arbeiten hat, ist man dieser dieser Familie willkommen.

Doch es ist manchmal schwer, in einem Raum, wo Messer, Funken und Geschirr schon mal fliegen können, festzustellen, welche Probleme Menschen haben und ihnen die Aufmerksamkeit zu widmen, die sie verdienen. Die Maschine muss, egal was passiert, immer am Laufen bleiben, weshalb wir oft nicht so aufmerksam sind, wie wir es eigentlich sein sollten. Seit Phils Tod weiß ich, dass ich bei meinen Angestellten etwas genauer hinschauen und auch mal nachfragen sollte.

Die Wochen nach seinem Tod habe ich wie durch einen Schleier erlebt. Vorher war man aufgeregt und energiegeladen, weil man gerade eine neue angesagte Location eröffnet hat, jetzt dachte ich nur noch an Phil. War es richtig, ihm das Geld vorzustrecken? Wollte er das Geld von Anfang an für Drogen ausgeben? Wird so etwas noch mal passieren? Wie kann ich das verhindern?

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Mir wurde irgendwann klar, dass ich mit der Eröffnung meines Restaurants 30 tätowierte, kettenrauchende Profi-Trinker aufgenommen hatte, die schreckliche finanzielle und zwischenmenschliche Entscheidungen treffen, sobald sie Feierabend haben.

Beim nächsten Teammeeting saßen wir vor der Vormittagsschicht im Gastraum und haben uns gegenseitig versprochen, dass wir in Zukunft eher darüber sprechen werden, wenn wir Alarmsignale bei Kollegen wahrnehmen—viele Teammitglieder haben im Nachhinein erkannt, dass es Anzeichen für Phils Überdosis gab. Als wir nach und nach zu einem festen Team herangewachsen waren, haben die älteren Angestellten den Neuankömmlingen oft erzählt, was mit Phil damals passiert war. Sein Tod wurde Teil der Mise en place in unserem Restaurant, ein Teil des Restaurants sowohl in der Küche als auch in der Bar.

In den Jahren danach ging es bei uns im Team um gewalttätige Freunde, sexuelle Belästigung, Abtreibungen, Massenschießereien, und, ja, viele Drogenprobleme. Die meisten Vorfälle endeten jedoch zum Glück nie tragisch. Oder vielleicht konnte man jedes neue Unglück einfach leichter ertragen? Wir haben es jedenfalls geschafft, zusammenzuhalten und haben es jedes Mal gemeinsam durchgestanden.

Mir wurde irgendwann klar, dass ich mit der Eröffnung meines Restaurants 30 tätowierte, kettenrauchende Profi-Trinker aufgenommen hatte, die schreckliche finanzielle und zwischenmenschliche Entscheidungen treffen, sobald sie Feierabend haben,und dass man nicht unbedingt süchtig sein muss, um ein Drogenproblem zu haben. Irgendwann fand ich auch heraus, dass meine Angestellten miteinander schliefen und dass sie, egal was in unserem Mitarbeiterhandbuch auch steht, mit einem Kater zur Arbeit kommen. Ich habe gelernt, dass ich einfach nur für sie da sein kann, aber keine Verantwortung für ihre Entscheidungen übernehmen kann.

Jahrelang habe ich in meinem Kopf immer wieder durchgespielt, wie es zu Phils Tod gekommen ist. Bis heute kommen Briefe an ihn bei uns an—von Inkassounternehmen, wegen seines Studienkredits und so weiter—, was mich immer wieder an ihn erinnert. Und bis heute weiß ich nicht, ob ich es nicht verbockt habe, als ich ihm das Geld vorgestreckt habe.

Phils Tod war eines der dunkleren Kapitel in der Geschichte unseres Restaurants und nicht das letzte. In Bars und Restaurants gibt es immer wieder Probleme mit Drogen, Alkohol oder Geld. Dass es bei uns so früh passierte, war nur ein deutlichen Zeichen für uns, dass die Kacke immer wieder am Dampfen sein wird. Aber das sind eben die Dinge, die passieren können. Und, ganz ehrlich gesagt, gewöhnt man sich daran.

Aufgezeichnet von Brad Cohen