Freiheitsentzug bedeutet in deutschen Gefängnissen auch, keinen Zugang zum Internet zu haben. Zwar ist es ein offenes Geheimnis, dass viele Häftlinge heimlich in die Zellen geschmuggelte Smartphones nutzen, aber offiziell gilt das World Wide Web noch immer als erhebliches Sicherheitsrisiko. Während die Digitalisierung draußen also weiter voranschreitet, drohen Häftlinge hinter Gittern technologisch den Anschluss zu verlieren.
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Das Projekt elis bietet Gefangenen nun immerhin Zugang zu einem vorgefilterten, streng limitierten Internet. Hier dürfen die Insassen unter Aufsicht und zu pädagogischen Zwecken im Netz surfen. Neben klassischen Lernprogrammen bietet elis auch Zugang zu Online-Nachschlagewerken wie Wikipedia, dem Portal Ich-will-Lernen.de oder Beroobi.de. In manchen Vollzugsanstalten dürfen die Kochlehrlinge zum Beispiel auf Chefkoch.de zugreifen, um sich neue Rezepte herauszusuchen. Trotzdem muss jede Seite, auf die die Häftlinge über elis zugreifen können, von der JVA-Leitung freigegeben werden.Wir sind in die JVA Heidering am Berliner Stadtrand gefahren, um zu sehen, wie die Häftlinge den Computer zu einem Tool ihrer Reintegration machen, wie sie versuchen, auf dem aktuellen technischen Stand zu bleiben, und auf welchen Seiten Insassen surfen, wenn ihr Aufseher gerade nicht hinguckt.
Es riecht nach Krankenhaus, als wir vor der JVA Heidering vor den Toren Berlins ankommen. Wir stellen unseren Wagen auf dem Besucherparkplatz ab, obwohl der Parkplatz der Mitarbeiter deutlich näher am Eingang liegt. Aber hier möchte man wirklich gegen gar keine Regeln verstoßen.Das Gefängnis betreten wir durch eine normale Tür, die sich winzig ausnimmt, neben dem großen Tor, durch das die Häftlinge in ihren Bussen einfahren. Der Empfäng händigt uns unsere Besucherausweise aus. Fotograf Grey Hutton, der mich auf dem Tagesausflug in den Süden Berlins begleitet, muss sein Cap abgeben, aber unsere Taschen werden nicht durchsucht.
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Der Sozialdienst öffnet alle Türen
Reschke—helle Kleidung, helles Gemüt—führt uns durch die Gänge. Erst im März 2013 ist das Gefängnis eröffnet worden. Dem Architekten Hohensinn aus Graz war es wichtig, dass die Insassen den Wechsel der Jahreszeiten erleben und eigenständig zu den Freizeitangeboten laufen können. Morgens Schule oder (bezahlte) Arbeit, nachmittags Fußball, Pumpen oder im knasteigenen Studio Radiosendungen produzieren.„Alles dient der Resozialisierung", sagt Herr Reschke. Wir laufen durch die riesige Turnhalle, die Fenster unter der hohen Decke sind geöffnet. Hier könnten sogar Vögel reinfliegen.„Die Lebensverhältnisse hier drinnen sollen denen draußen angeglichen werden", sagt Reschke. Und weil das Internet ja auch immer wichtiger würde, müsse man hier auch auf die Vermittlung von Medienkompetenz achten.Christian Reschke arbeitet seit 30 Jahren im Strafvollzug. IT spricht er deutsch aus und er ist sichtlich stolz auf den neuen Bau, der den Insassen die gesetzlich garantierten zehn Quadratmeter zuspricht. 648 Plätze gibt es hier. 550 sind belegt. Doch das wechselt täglich. 15 Hektar misst diese JVA insgesamt.„Die Häftlinge bleiben fünf Jahre, aber wir haben lebenslänglich", erzählt der Lehrer. Knast-Humor.
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27 Computerplätze sind an elis angeschlossen. Über die Plattform können die Insassen über 330 verschiedene Lern- und Medienangebote, vom Deutschkurs über Grafikprogramme bis hin zum KFZ-Mechaniker-Kurs, nutzen.Das Kürzel elis steht für E-Learning im Strafvollzug und ist eines der technisch modernsten deutschen Resozialisierungsprojekte. Viele Insassen haben keine Erfahrung mit Word, anderen fällt schon das Einloggen am Rechner schwer—dabei gelten Computer-Skills längst als Standard in der Arbeitswelt.Seit rund zwei Jahren ist der Zugang zum Internet in Deutschland sogar zu einer Art Grundrecht erhoben worden. In der Gefängniswelt jedoch ist das elis-Projekt mit seinem begrenzten Zugang bereits ein bedeutender Fortschritt: „Vor drei bis vier Jahren wäre die Nutzung von Internet im Strafvollzug noch undenkbar gewesen", erzählt mir Ariane von der Mehden am Telefon.Mehden arbeitet für das Berliner Institut für Bildung in der Informationsgesellschaft (IBI). Zusammen mit einem 12-köpfigen Team aus Programmierern und Pädagogen betreut und entwickelt sie elis seit 2009 weiter. Entstanden ist die Grundlage für das Projekt 2004 an der Universität in Bremen.
Das sichere Intranet hinter Gittern
Während einzelne bayerische Haftanstalten den Zugang zur Website der Arbeitsagentur freischalten oder etwa an der JVA Bremen ein Haftraum-Mediensystem geplant ist, gilt elis als echtes Pilotprojekt. Es bedient sich als technische Basis dem Lernmanagementsystem ILIAS, das über eine Art Intranet funktioniert.
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Jede der circa 80 freigeschalteten Webseiten wird von dem Team nach Schlupflöchern untersucht. Zu groß ist die Angst, dass die Insassen sie für nicht erlaubte Zwecke missbrauchen könnten. Alle Dozenten bekommen eine Sicherheitsschulung, auch Herr Reschke. „Das ist eine VPN-getunnelte Netzverbindung. Die ist sicher", sagt er.Sicher bedeutet vor allem, dass die Insassen das Netz nicht für Straftaten wie Onlinebetrug nutzen, nicht nach draußen kommunizieren, um eventuelle Ausbrüche zu planen und, dass keine illegalen Lieferungen oder Aktionen im Knast organisiert werden können.Junge Insassen schätzen ihre Medienkompetenz oft hoch ein, aber beim Bedienen von Office erkennt man schnell ihre Defizite.
Die beschränkte Content-Redaktion
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„Hier links", sagt Herr Reschke. Wir gehen durch weitere unabgeschlossene Türen und stehen auf einmal in der Bibliothek zwischen weißen Metallregalen: Krimis, Biografien, erotische Literatur—viel Platz ist nicht mehr. Zwei Insassen helfen, die neuen Bücher richtig einzusortieren. Auch eine Videothek gibt es hier—anders als im Leben außerhalb des Knasts hat Netflix hier noch lange nicht das Medium VHS abgelöst.Wer dreimal nicht kommt, fliegt raus. „Man darf kein Sozialromantiker sein."
Sehnsuchtsort Videothek
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Log-in
Ein älterer Mann lernt Deutsch mit einem Lernprogramm. Zwei Teilnehmer schauen sich gemeinsam ein Home-Fitness Video an. Ein junger Mann schreibt eine Einkaufsliste für den Vollzugssupermarkt auf Rumänisch. Er probiert verschiedene Schriften aus. „Winston, Chio Chips, Fanta Portokale, Cicolata".
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Die Hektik vom Hof
Herr Wrublewski leitet den Kurs seit einem Vierteljahr. Wer dreimal nicht kommt, fliegt raus. „Man darf kein Sozialromantiker sein" sagt er und zeigt uns den Aufbau der „elis"-Plattform. Es gibt verschiedene Lernbereiche: Deutsch, Englisch, Mathe, Physik oder Medienkompetenz, in den Unterkategorien gelangt man auf Angebote wie Gehirn-Jogger. Alle Wikipedia-Artikel, allerdings in einer Offline-Version ohne Editierfunktion, sind erreichbar. Genauso „Ich will lernen", ein Angebot der Volkshochschule. Facebook, YouTube und andere populäre Seiten gibt es dagegen nicht.„Ich interessiere mich für Geschichte", sagt der Teilnehmer neben dem Einkaufslistenschreiber. In der Mediathek der FWU, dem Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht, die auch Inhalte für „elis" bereit hält, findet er Filme über den Kalten Krieg, die Berliner Mauer oder das Judentum und die entsprechenden Arbeitsblätter dazu.
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