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2chan-User stellen Sexarbeiterinnen per Face-Tracking öffentlich an den Pranger

In Russland macht sich gerade eine moralisch fragwürdige Digital-Sittenpolizei breit.
2chan-Mitglieder stellen ihre erbeuteten Screenshots zur Schau. Bild: Screenshot 2chan

In Russland haben mehrere Internetnutzer Anfang des Monats eine regelrechte digitale Hetzjagd auf Frauen veranstaltet, die in Pornofilmen mitspielen oder sich als Prostituierte verdingen. Um die Frauen öffentlich bloß zu stellen, suchten sie dafür zunächst auf einer bekannten Porno-Plattform gezielt nach russischen Darstellerinnen sowie nach Frauen mit einem Profil auf der Plattform Intimcity, über die jeder sexuelle Dienste anbieten kann.

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Über die russische Version des Imageboards 2channel hatten die Männer dabei alle anderen User aufgerufen, mitzumachen und aus der Aktion einen regelrechten Wettbewerb gemacht: „Unter allen erotischen Fotos suchen wir uns das angemessenste aus und laden es bei 'FindFace' hoch. Dieser Service findet das 'VKontakte'-Profil der Schlampe und zeigt uns ihre Freunde an. Wir senden dem Mann/Freundinnen dann einen Link zu dem Foto/Video", heißt es in dem entsprechenden Thread.

Die so gesammelten Fotos der Pornodarstellerinnen und Sexarbeiterinnen wurden dann mit Hilfe des kostenlosen Face-Tracking-Tools FindFace mit öffentlichen Bildern des russischen Facebook-Pendants VK, ehemals VKontakte, verglichen, und so die Nutzerprofile der entsprechenden Frauen identifiziert. Wie die Blogplattform Global Voices berichtet, schrieben die Männer anschließend tatsächlich gezielt Familienmitglieder und Freunde der Frauen an, um diese mit Hilfe eindeutiger Screenshots über ihre „Entdeckung" zu informieren.

Auf 2channel inszenierten sich Teilnehmer an der Aktion auch noch als Moralapostel, nachdem sie stolz die Ergebnisse ihrer Aktion gepostet hatten: „Es ist Zeit, diesen Abschaum zu erziehen. Wenn sie nicht rumhuren würden, sondern sich mit normalen Typen wie uns abgeben würden, würde es diesen Buhurt nicht geben", beginnt ein Post, bevor er noch deutlicher unter die Gürtellinie geht und auch einige rassistische Ausdrücke fallen. Beim Lesen der Kommentare bleibt der Eindruck, als wären ihre Verfasser aber vor allem missgestimmt, dass sich die Frauen, die zur Zielscheibe ihres Hasses geworden sind, nicht auch mal um die 2chan-Mitglieder kümmerten.

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Die Software FindFace ermöglicht es, beliebige Fotos mit den öffentlichen Fotos auf VK abzugleichen. Man könne so jedwede Person, von der man nichts weiter als ein Foto besitze, in dem sozialen Netzwerk wiederfinden, hatten die Entwickler bei der Veröffentlichung im Februar stolz verkündet. Eine Art Shazam für Bilder also.

Wirklich bekannt wurde FindFace dann im März, als der Software-Spezialist und frühere VK-Entwickler Andrei Mima die Probe aufs Exempel machte. Mima war sechs Jahre zuvor von zwei Frauen auf der Straße gebeten worden, ein Foto von ihnen zu schießen und es ihnen später zu schicken—allerdings vergaß man, Kontakte auszutauschen. Mima kramte dieses Foto nun aus den digitalen Tiefen seiner Festplatte hervor und übergab es dem Algorithmus von FindFace. Wenig später hatte er tatsächlich die VK-Profile der beiden Frauen auf dem Foto gefunden. Mima berichtete anschließend schriftlich von seinem Experiment—natürlich mit einem Post auf VK.

In all seiner überschwänglichen Begeisterung, die beiden Frauen gefunden zu haben, ließ Mima auch durchblicken, was wohl viele dachten: „Ihr merkt, jede Person kann nun ein Foto von euch auf der Straße machen und die öffentlich zugänglichen Informationen über euch abrufen." Dass vielen Menschen noch immer nicht klar ist, dass grundlegende Informationen über sie in sozialen Netzwerken auf verschiedene Weise öffentlich zugänglich sind, bewies zuletzt unter anderem die Tinder-Suchmaschine Swipebuster. Anders als deren Entwickler, die (nicht unbedingt glaubwürdig) behaupteten, mit Swipebuster lediglich auf die Sicherheitslücken von Tinder aufmerksam machen zu wollen, verfolgten die Macher von FindFace aber lediglich das Ziel, „Online-Dating einfacher zu machen."

Dass FindFace aber auch als perfektes Stalking-Tool benutzt werden kann, bewies dann Anfang April der russische Fotograf Egor Tsvetkov. Für sein Projekt mit dem didaktischen Titel „Your face is Big Data" knipste der 21-Jährige reihenweise Menschen in der Moskauer U-Bahn, um sie anschließend auf VK zu identifizieren. Die Erfolgsquote betrug bei "jungen Menschen" laut Tsvetkov rund 70 Prozent.

„Theoretisch könnten Serienkiller oder Schuldeneintreiber diesen Dienst nutzen", erklärte der junge Fotograf anschließend aufgeregt gegenüber RuNet Echo. Dass schon wenige Tage später FindFace tatsächlich für eine äußerst perfide Form des Doxing angewendet werden würde, ahnte er zu diesem Zeitpunkt wohl noch nicht. Und möglicherweise wurden die 2chan-Mitglieder wirklich erst durch Tsvetkovs Projekt, dem viel mediale Aufmerksamkeit widerfuhr, auf die Möglichkeiten von FindFace aufmerksam.

Screenshot aus der VK-Gruppe der Täter. Foto: Global Voices

Wie viele Frauen der Aktion der 2chan-Mitglieder zum Opfer gefallen sind, ist nicht bekannt. Gegenüber T Journal erklärte ein Sprecher von FindFace, dass der Kundensupport vermehrt Beschwerden erhalten habe, und die Zahl der Opfer auf rund zehn geschätzt werde. Eine VK-Gruppe, in der die Täter alle Screenshots ihrer Aktion gespeichert hatten, ist mittlerweile auf Drängen einer Anti-Sexismus-Organisation gelöscht worden. Global Voices hat allerdings einen dieser Screenshots veröffentlicht. Er zeigt, wie die Täter eine Person aus dem Umfeld einer Frau mit ihrer „Entdeckung" konfrontieren: „Kennen sie Frau …?"—„Wussten Sie, dass die Pornodarstellerin ist?"— „Finden Sie, dass es ok ist, Pornos zu drehen?".