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Nichts als Küchenpsychologie? US-Forscher widerlegen den Mythos Winterdepression

Traurig im Winter zu sein, bedeutet nicht, traurig aufgrund des Winters zu sein.
Bild: Shutterstock

Im Februar dreht der Winter noch einmal richtig auf und mit ihm seine fiesen Begleiterinnen Müdigkeit, Antriebslosigkeit und Melancholie. Klar, der Mangel an Sonnenlicht führt unweigerlich zum Winterblues, wie unzählige Artikel attestieren. Alles Einbildung, sagt dagegen nun ein Forscherteam der Psychologie-Fakultät an der Auburn Universität in Montgomery.

Die Studie der Gruppe um Prof. Steven LoBello wurde kürzlich im Fachjournal „Clinical Psychological Science" veröffentlicht. Die Forscher befragten über einen längeren Zeitraum verteilt ca. 34.000 US-Amerikaner zu ihrem Befinden in den letzten zwei Wochen. Sie berücksichtigten dabei Faktoren wie Jahreszeit, Breitengrad und Sonnenlicht. Aber nichts deutete darauf hin, dass Depressions-Symptome im Winter zunahmen.

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„Das Konzept der Winterdepression mag tief verwurzelt sein in der Alltagspsychologie. Mit objektiven Daten bestätigen lässt sich dies jedoch nicht."

Selbst in den 1.700 Fällen, in denen zuvor schon Depressionen diagnostiziert wurden, waren die Symptome in der dunklen Jahreszeit nicht häufiger oder intensiver. „Das Konzept der Winterdepression mag tief verwurzelt sein in der Alltagspsychologie. Mit objektiven Daten bestätigen lässt sich dies jedoch nicht", lautet das Fazit der Wissenschaftler aus Alabama.

Dabei ist die Winterdepression bzw. die saisonal-affektive Störung (engl. kurz SAD) sogar von der Weltgesundheitsorganisation offiziell anerkannt. Frühere Studien zu SAD, die teils noch aus den 1980er Jahren stammen, hätten sich jedoch häufig auf Probanden beschränkt, die bereits angaben, unter jahreszeitbedingten Stimmungsschwankungen zu leiden. Dies sei ein Forschungsansatz, der nur bestätige, was bereits vermutet würde, kritisieren LoBello und sein Team das pseudowissenschaftliche Vorgehen mancher Kollegen.

Eine weitere kürzlich veröffentlichte Studie spricht gegen die Existenz der Winterdepression. Forscher der Universität Liège um Prof. Christelle Meyer untersuchten den Einfluss der Jahreszeiten auf unsere Hirnfunktionen. Zwar konnten sie tatsächlich Schwankungen feststellen, aber anders, als man das vielleicht erwarten würde: In den Tests zur Aufmerksamkeit etwa erzielten die Probanden im Sommer die besten und im Winter die schlechtesten Ergebnisse. Bezogen auf das Kurzzeitgedächtnis hingegen schnitten sie im Herbst am besten und im Frühling am schlechtesten ab. Kurzum: Wenn die Jahreszeiten einen Einfluss haben, dann nicht auf unser Wohlbefinden im Allgemeinen, sondern auf ganz bestimmte Prozesse in unserem Inneren. Depressionen im Winter zu haben, bedeutet nicht, Depressionen aufgrund des Winters zu haben.

Doch ist der Begriff erst etabliert, diagnostiziert's sich ungeniert. Unsere selektive Wahrnehmung führt nicht nur zu einer permanenten Syndromisierung, sondern fördert auch gleich die passenden Märkte zu Tage. Längst hat sich rund um das Thema Winterdepression eine ganze Industrie entwickelt, angeführt von einer Armada der Tageslichtlampen. Ähnliches gilt für Phänomene wie z.B. Glutenunverträglichkeit.

Nicht zu unterschätzen ist auch der Einfluss, den Sprache auf unser Weltbild hat. Während im deutschen Sprachraum die SAD nahezu ausschließlich mit dem Winter in Verbindung gebracht wird, ist in den USA das Phänomen der Summertime Sadness mindestens genauso populär. Und das nicht erst seit Lana Del Ray.