FYI.

This story is over 5 years old.

Tech

Wohlfühlen mit Facebook

Wie verkam das soziale Netzwerk zu einem Poesiealbum der Selbstbestätigung mit ästhetisch fragwürdigen Grafiken?
​Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum und so. Bild: ​Wikimedia Commons​Albert Yam ​ CC BY-SA 3.0

Es ist kein Wunder, dass Facebook die jungen Nutzer scharenwei​se davonlaufen. Denn während sich die Kommunikation auf Whatsapp und Snapchat auf das Wichtigste beschränkt (Emojis und Bilder von Genitalien), verkommt Facebook immer mehr zu einer wohlfühligen Oase nerviger Banalitäten und Pseudo-Lebenshilfe, wie sie sich sonst nur in Poesiealben und an den Wänden von Selbsthilfegruppen häufen.

Da verbringen also Menschen tatsächlich beachtliche Zeit mit Photoshop und kommen dann mit solchen motivierenden Weisheiten um die Ecke: „Ich bin kein Engel… bin nicht perfekt… bin auch mal verrückt… aber wenigstens bin ich ich selbst!" Gut zu wissen? Mag sein, doch für die meisten von uns sind das eher unterschwellig vorwurfsvolle Timeline-Füllsel ohne großen Mehrwert für alle, die mitlesen.

Anzeige

Die visuelle Gestaltung dieser Postings zeichnet sich durch eine außergewöhnliche, markante Hässlichkeit aus. Es scheint, als sei Facebook von den gleichen Menschen übernommen worden, die die Schaufenster in Kleinstadt-Apotheken und Friseursalons (gern auch: Coiffeure) liebevoll mit ästhetisch fragwürdigem Dekoplunder zumüllen.

Hier ist ein kleiner Überblick dieser vermeintlich tiefsinnigen Inhalte, die uns zum Weinen bringen—nicht vor Rührung, sondern vor Verzweiflung. Und der erste gute Vorsatz für's Jahr 2015: Alle Menschen von der Freundesliste löschen, die so einen Quatsch posten.

Beitrag von Motivationssprüche und Zitate.

Ja, du schaffst das. Sei stark. Wir sind bei dir. Und die lustige Sonnenblume ist es auch. Das Motiv für diesen Post ist hier natürlich die Suche nach Selbstbestätigung. Hier ist sie nur noch ein wenig gruseliger umgesetzt als die Selfieschwemme auf Instagram es jemals sein könnte. Teile oder like auch du diesen Post, wenn du irgendwas geschafft hast oder vorhast, irgendwas zu schaffen.

Post by Gedichte, Gedanken & Erinnerungen aus Gedichte-Kathis Schatztruhe.

Super, danke für den Tipp. Was sich reimt, ist gut, das wusste schon Pumuckl. Aber auch er hätte sich nicht träumen lassen, dass man mit einem derart banalen Wellness-Hinweis 36 Shares abstauben kann. Es zeichnet sich ein ästhetisches Muster ab: Wenn nicht mit Kerzen, werden solche Posts auch gern mit Naturbildern illustriert. Ein Sonnenuntergang am Meer, ein Herz in den Sand gemalt, Birken-, Buchen- oder Ahornblätter in Nahaufnahme. Woran liegt es eigentlich, dass Wohlfühl-Poster so sentimental gegenüber den Jahreszeiten sind? Meine Vermutung: Am Dauerkonsum von Ratgebersendungen im jeweiligen dritten Programm (z.B. „Servicezeit Garten").

Anzeige

Post by Motivationssprüche und Zitate.

Eine messerscharfe Analyse. Hier paart sich die Bildsprache von Büchlein aus dem kostengünstigen Geschenkesegment in der Buchhandlung mit der Weisheit eines 68er-Yogalehrers. Denk mal drüber nach und hör dabei „ El Condor Pasa".

Post by Küss mich doch.

Du bist ein unbeliebter Mensch ohne soziale Kontakte, aber mit einem Account in einem sozialen Netzwerk? Du bist nicht mehr allein, denn für dich gibt es glücklicherweise den kleinen, fiktionalen Außerirdischen „Wooddy" (sic), der dir einen guten Morgen wünscht, wenn es sonst keiner macht. In der latent verzweifelt betitelten Facebookgruppe  „Küss mich doch", in der das insektenartige Maskottchen schlaumeiert, gibt es jeden Tag „inspirierende Unterhaltung, herzberührende Momente, Rat für dunkle Stunden und praktische Tipps und Tricks aus allen Lebensbereichen, mit denen wirklich jeder etwas anfangen kann". Und, weil das Web 2.0 Zweiweg-Kommunikation möglich macht, posten dann auch haufenweise gerührte Nutzer zurück, dass sie dem kleinen Alien mit den weisen Sprüchen frohe Weihnachten oder einen guten Morgen wünschen.

Post by Küss mich doch.

Ein interessantes Artefakt, das nicht nur kuschelige Harmonie, sondern gleichzeitig auch subtilen Peer Pressure ausstrahlt. Zeit für ein wenig Selbstreflexion: Moment mal—mag ich meine Freunde überhaupt? Nach reiflicher Überlegung entscheide ich mich tendenziell dafür, denn eigentlich wären Menschen womöglich gar nicht meine Freunde, wenn wir uns nicht irgendwie gegenseitig sympathisch fänden—oder versteh ich da etwas nicht? Verwirrt, aber auch etwas erleichtert kann ich das Herz posten und bin nun sehr gespannt, wer von meinen Freunden diese wertvolle Aufforderung teilt. Wer das nicht tut, kriegt persönlich von mir auf's Maul und wird entfreundet.

Anzeige

Post by Sprüche in Pink für Ladies.

Hier eine zärtliche, inspirierende Nachricht, die sich sogar beinahe reimt. Auch formal-gestalterisch lässt die Signalwirkung dieses überschäumenden Postings jeden Grafikdesigner vor Neid grün werden: Die unschuldige Romantik der Beziehung dargestellt von schüchtern lächelnden Comic-Mäusen, während das lodernde Feuer der Leidenschaft durch die sich beißenden Farben und die wild zusammengewürfelten Schriftarten unterstrichen wird. Hach ja, Liebe ist eben irrational. Vielen Dank, liebe Biggi (wahlweise auch Steffi, Moni oder Miriam—Sorry, liebe Männer, diese Gruppe nennt sich „Sprüche in Pink für Ladies"), dass du sie in allen intimen Facetten mit uns teilst.

Post by Made My Day.

Schlimmer als triefiger Kitsch und Motivations-Bildchen ist eigentlich nur noch virales Besserwissertum. Die feine Ironie, einen Appell gegen Internetnutzung auf Facebook zu posten und so die Moralkeule zu schwingen, scheint noch niemandem aufgefallen zu sein. Hier fühlt sich einfach niemand angesprochen, kennt aber ganz sicher jemanden, auf den das „voll zutrifft".

Das Netzwerk ist so gut wie verloren, der zähe Strom an nichtssagenden Inhalten wird höchstens noch gelegentlich unterbrochen von jämmerlichen Widersprüchen gegen die jeweils geltende AGB. Lasst uns alle ​zu Ello gehen und ganz von vorn anfangen.