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Epischer Kabelsalat: CERN-Ingenieure müssen 9000 veraltete Kabel ausmisten

Ein dummer Fehler könnte dabei den Teilchenbeschleuniger lahm legen.
Die CERN-Ingenieure bei der Arbeit. Bild: CERN.

Der größte Teilchenbeschleuniger der Welt, der Large Hadron Collider (LHC), soll in den nächsten Jahren noch einmal ein Update bekommen und ausgebaut werden. Die Ingenieure am CERN sehen sich dabei jedoch mit einer entscheidenden Hürde konfrontiert: In den Injektoren, also den Vorbeschleunigern, die die Teilchen auf Geschwindigkeit bringen, bevor sie in den Ring des LHC eintreten, ist schlicht kein Platz mehr für neue Kabel.

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Wenn Forscher das LHC-System in der Vergangenheit gewartet oder um neue Teile ergänzt haben, ersetzten sie häufig auch die veralteten Kabel. Dabei ließen sie die nicht mehr benutzten Kabel meist einfach stecken, was jedoch dazu führte, dass inzwischen ein Knäuel überflüssiger Kabel im Weg herumhängt. Um das nächste LHC-Upgrade durchführen zu können, müssen die CERN-Ingenieure nun zunächst die 9.000 veralteten Kabel finden und dann entfernen.

„Diese Operation ist so kompliziert, weil jeder Fehler zu großen Problemen beim Neustart der Beschleunigers führen könnte."

In einem der komplexesten Versuchsaufbauten seit Menschengedenken, die wichtigen Kabel von den ausgemusterten zu unterscheiden, ist eine echte Mammutaufgabe. Das Entfernen eines falschen Kabels könnte dabei gravierende Folgen haben: Bestenfalls fallen kurzfristig ein paar Monitoringsysteme aus und einige Daten gehen verloren—im schlimmsten Fall geht ein zentrales Sicherheitssystem kaputt und der gesamte LHC fährt nicht mehr hoch.

„Diese Operation ist deshalb so kompliziert, weil jeder Fehler zu großen Problemen beim Neustart der Beschleunigers führen könnte", erklärte mir Sebastian Evrard, der leitende Ingenieur des Aufräumprojekts.

Ein Ausschnitt des Kabelsalats mit dem sich die Forscher konfrontiert sehen. Bild: CERN.

Das CERN installiert die neuen Kabel im Zuge des LHC Injectors Upgrade Project. Das LIU ist eines der zentralen Projekte, das während der nächsten großen Wartungsphase des LHC im Jahr 2019 abgeschlossen werden soll. Evrard und sein Team, dass aus 60 weiteren CERN-Mitarbeitern besteht, gehen dafür bereits heute den Kabelsalat in drei der großen Injektoren an.

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„In einer perfekten Welt hätten wir einfach die alten Kabel entfernt bevor wir die Anlage um neue ergänzen; aber [so einfach] geht das leider nicht", erklärte mir Evrard den Ursprung des Dilemmas: „Heute sind die Kabelschächte und -behälter, in denen sich all diese Kabel verbergen, schlicht so überfüllt, dass es einfach unmöglich ist, neue Kabel hinzuzufügen."

Die Ingenieure können nur während der jährlichen Wartungspause in den Wintermonaten an den Maschinen arbeiten. Nachdem sie sich im Dezember dem Kabelsalat des PS Booster-Injektors gewidment haben, kommt nun der Vorbeschleuniger Super Proton Synchrotron an die Reihe. Evrard erklärte mir, dass sein Team mit 3.000 überflüssigen Kabeln in jedem der drei Injektoren rechnet. Im PS-Booster, den die Ingenieure im Dezember ausmisteten, wurden bereits 2.700 solcher Kabel gefunden. „Wir sind zuversichtlich, dass wir am Ende insgesamt 8.000 Kabel identifizieren und dann im nächsten Jahr ausmisten können."

Der Job ist „nicht gerade sexy".

Die Arbeit der Ingenieure ist extrem mühsam. Evrard selbst gibt zu, der Job sei „nicht gerade sexy" und, dass es schwierig gewesen sei, Kollegen für die massive Aufgabe zu motivieren—bis das anstehende LIU-Projekt die Notwendigkeit der Aktion jedem vor Augen führte.

Jedes der Kabel im PS-Booster beispielsweise ist rund 50 Meter lang und führt von den oberirdischen CERN-Gebäuden bis tief in den Untergrund zu den Injektoren. „Deshalb haben wir dieses Jahr damit begonnen, die Kabel ausfindig zu machen und werden sie dann nächstes Jahr entfernen", erklärte mir Evrard.

Eine Datenbank, die die technischen Eigenschaften, die Funktion und den Verlauf aller Kabel auflistet, war die Grundlage des Kampfes gegen den Kabelsalat. „Aber natürlich ist die Datenbank nicht zu 100 Prozent zuverlässig, was dazu führen wird, dass wir in einem zweiten Schritt all die überflüssigen Kabel vor Ort lokalisieren und überprüfen müssen, ob sie wirklich nicht mehr im Betrieb sind", sagte Evrard. Tatsächlich stellte der High-Tech-Aufräumtrupp fest, dass zwei Prozent der Kabel, die laut Datenbank ausgemustert seien, eigentlich noch in Benutzung sind.

Bis der LHC Ende Februar wieder hochfährt wird das gesamte Equipment doppelt und dreifach geprüft werden und sichergestellt, dass alle für den Betrieb notwendigen Teile vollständig angeschlossen sind. Die epische Aufräumaktion ist dann jedoch noch lange nicht vorbei. „Wir werden in jeder jährlichen Wartungspause bis ins Jahr 2020 weitermachen. Das hier ist keine einjährige Operation; das dauert vier Jahre, schlicht weil es eine bombastische Aufgabe ist."