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Wie die Schweizer BGE-Aktivisten das Grundeinkommen durchsetzen wollen

Wir haben uns von Che Wagner erklären lassen, wie die Initiative Grundeinkommen den Staat davon überzeugen möchte, jedem Eidgenossen 2080 Euro pro Monat zu überweisen.
​Che Wagner (2. v. r.) mit Daniel Häni, Marilola Wiki, Pola Rapatt und einem Haufen Geld in Basel. Bild: Stefan Bohrer | Mit freundlicher Genehmigung. 

Die Vision eine bedingungslosen Grundeinkommens könnte ausgerechnet in der beschaulichen Schweiz Wirklichkeit werden. Spätestens im Herbst 2016 wird
das Volk darüber entscheiden, ob das Land jedem Eidgenossen vorbehaltlos ungefähr 2080 Euro im Monat zur Verfügung stellen wird. Dass der Nationalrat in der vergangen Woche überhaupt die ​offiziellen Beratungen zu der sozialstaatlichen Utopie aufgenommen hat, ist auch ein Verdienst der Initiative Grundeinkommen.

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Im vergangenen Jahr haben die Aktivisten acht Millionen Fünf-Rappen-Stücke auf dem Berner Bundesplatz ausgekippt—eine Aktion, die offensichtlich zahlreiche Eidgenossen glücklich gemacht hat, auch wenn die Initiatoren alle verbliebenen Münzen nach ein paar Stunden penibel wieder aufgeräumt haben. Inzwischen befindet sich die Hälfte der Münzen in der Ausstellung mit dem formschön provokanten Titel „Geld — jenseits von Gut und Böse", während die Debatten zwischen Befürwortern und Gegnern des Grundeinkommens in der Schweiz und international weiter an Fahrt aufnehmen.

Wir haben uns von Che Wagner, einem der Mitinitiatoren der ​Initiative, erklären lassen, wie er die Idee des Grundeinkommens gegen die zahlreichen Widerstände durchsetzen will, wie die Aktivisten die Bevölkerung überzeugen wollen und wie die Utopie überhaupt funktionieren soll.

​Hallo Che. Woher stammt die Idee des Schweizer Grundeinkommens eigentlich und wie kamst du dazu, dich dafür einzusetzen?

Die Grundidee wurde schon in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in den USA heiß diskutiert. In der Schweiz haben der Unternehmer Daniel Häni und der Künstler Enno Schmidt 2006 ein Interessensbündnis gestartet, zu dem ich dann dazugestoßen bin. Mir gefiel die Idee von vornherein. Man kann sich das so vorstellen wie bei dieser Parabel der langen Löffel: Wenn viele Leute Suppe aus einem Topf mit langen Löffeln essen wollen, werden sie nur satt, wenn sie sich gegenseitig füttern. Soll heißen: Es ist genug für alle da, man muss es sich nur gegenseitig gönnen.

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Dann veröffentlichten die beiden den Film „Grundeinkommen—ein Kulturimpuls", eine Low-Budget-Doku, die auch im Kino lief. Daraus entspannte sich dann eine Debatte, die vor allem auch international großes Echo gefunden hat—in der Schweiz wird da gar nicht so viel drüber diskutiert.

​Es ist genug für alle da, man muss es sich nur gegenseitig gönnen.

2012 haben wir dann die Initiative gestartet, um das Grundeinkommen zu promoten. Wir haben Vertreter aus ganz unterschiedlichen Bereichen in unseren Reihen, unter anderem aus der Politik, Wirtschaft und aus dem Kulturbereich. Natürlich ist es auch sehr gut, wenn man hochrangige Mitstreiter hat, zum Beispiel in unserem Fall den ehemaligen Bundesratssprecher Oswald Sigg.

Eine Grundsatzentscheidung von der Lancierung war, ob wir eine detaillierte Verfassungsinitiative vorlegen oder uns auf den minimalen Grundsatz beschränken. Wir haben uns letztlich für den minimalen Grundsatz entschieden. Wir sehen die genaue Ausarbeitung in Gesetzen—und damit die Finanzierung— eben auch als eine Aufgabe, die die Politiker vornehmen können. Uns geht es vor allem um den Anstoß aus der Bevölkerung.

​Die Ausschüttung von acht Millionen Fünfrappenstücke in Bern. Bild: Stefan Bohrer | Mit freundlicher Genehmigung

Was genau habt ihr denn festgelegt?

Drei Voraussetzungen sind uns wichtig, die in die Verfassung geschrieben werden sollten. Erstens: Wir möchten, dass das Grundeinkommen an jeden Bürger bedingungslos ausgezahlt wird.

​​Zweitens: Die Höhe soll so festgesetzt sein, dass sie ein menschenwürdiges Leben ermöglicht. Ein Betrag also, mit dem man am öffentlichen Lebens teilhaben kann. Das ist ein Betrag, der in der Schweiz ungefähr bei 2080 Euro (also 2500 Franken) liegt; das kann sich aber natürlich auch ändern oder angepasst werden.

​Drittens möchten wir, dass Gesetze diese Umsetzung regeln, die noch geschrieben werden müssen. Diese Gesetze richten sich dann nach der Verfassungsvorlage. Wie gesagt, wir sehen das als Auftrag an die Politik. Wir hätten natürlich auch schon eine ziemlich genaue Idee, wie das alles umgesetzt wird, aber wir wollen das die anderen machen lassen. 

Was sagst du zu dem Einwand, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen nur schwer finanzierbar sei?

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Irgendwoher hat ja jeder schon ein Einkommen, sonst kann man ja nicht überleben. Wir alle brauchen Geld zum Leben. Doch nur 45 Prozent der Schweizer—also nicht einmal die Hälfte–beziehen ihr Einkommen rein aus einer Erwerbstätigkeit.

Was ist mit dem Rest?

Der Rest bezieht zumindest einen Anteil seines Einkommens aus irgendeiner Transferleistung. Das heißt, dass ein gewisser Sockelbeitrag schon heute finanziert ist. Er ist nur nicht bedingungslos. Und das wollen wir erreichen.

Wir glauben, dass das Grundeinkommen nicht teurer für den Staat werden würde: Für die Finanzierung brauchen wir ungefähr ein Drittel des Schweizer Bruttoinlandsprodukts, das wären ungefähr 200 Milliarden Euro. Nehmen wir ein Drittel davon, landen wir bei 70 bis 80 Millionen Euro. Das wäre der Betrag, durch den Transferleistungen ersetzt werden würden. Die Altersvorsorge könnte man dann zum Beispiel streichen, aber darüberhinausliegende Leistungen wie die Invalidenversicherung würden bestehen bleiben.

​Che schippt Geld in Basel. Bild: Stefan Bohrer | Mit freundlicher Genehmigung.

Wie soll die Umsetzung der letzten zwei Drittel denn nun genau funktionieren?

Der Großteil wird über die Mehrwertsteuer finanziert. Das Grundeinkommen wächst in den Lohn hinein. Das bedeutet dann erst einmal, dass die Löhne sinken würden. Sagen wir, du arbeitest in einem Café und würdest normalerweise 4.000 Franken verdienen. Mit dem Grundeinkommen hättest du jetzt 2.500 schon in deiner Tasche und du würdest  dann vielleicht nur noch 1.500 Franken extra verdienen. Das bedeutet, dass die Preise von Produkten sinken, weil der Anteil der Lohnkosten auch viel niedriger ist. Der Kaffee kostet dann vielleicht nur noch vier statt fünf Franken.

​Um jetzt das Grundeinkommen zu finanzieren, müssten wir diesen Betrag wieder auf das Produkt aufschlagen, als Mehrwertsteuer oder eben Grundeinkommenssteuer. Also: Der Preis bleibt gleich, weil die Mehrwertsteuer steigt—alle Steuer fließt direkt in die Produkte.

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Welchen Effekt würde das langfristig auf die Wirtschaft haben?

Wir glauben, dass das die Schweiz als Wirtschaftsstandort attraktiv machen würde, weil die Lohnkosten so niedrig wären. Stell dir vor, du hättest ein Startup und müsstest Leute einfach nur überzeugen, für's erste Jahr für niedrigen Lohn mitzuarbeiten, nur, weil sie von deiner Idee überzeugt sind. Wir glauben, dass das die Wirtschaft langfristig besser macht.

Wieviel Überzeugungsarbeit müsste man wohl leisten, damit du nachts eine zugige Baustelle bewachst oder Toiletten putzt?

Ziemlich viel. Deswegen bräuchte ich dafür schon einen Anreiz wie bessere Bezahlung. Diejenigen Arbeitsplätze, die wir als „Drecksarbeit" bezeichnen, müssten attraktiver werden, weil niemand zur Arbeit gezwungen werden kann. Übrigens wäre das doch auch für die Exportwirtschaft super: Wir haben hochspezialisierte Produkte, die wir dann trotz allem billiger anbieten können.

Was passiert mit Kindern? Bekommen Familien immer noch Kindergeld oder kriegen auch Fünfjährige den Betrag monatlich auf ein Konto?

Also, die Kosten müssen das Existenzminimum abdecken, und die Ergänzungsleistungen blieben bestehen. Familien bekämen also natürlich nach wie vor Kindergeld, wir nennen es dann nur Grundeinkommen.

Wir haben dafür ungefähr 625 Franken pro Kind veranschlagt—aber das ist natürlich nur ein Vorschlag. Unsere Idee ist, dass Kinder ab dem mündigen Alter, also ab 18 Jahren, das Grundeinkommen monatlich direkt beziehen. Davor wären die Eltern für das Kind verantwortlich.

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Was passiert, wenn sich viele Menschen mit diesem Geld ins Ausland absetzen und ihre Kaufkraft nicht mehr der eigenen Volkswirtschaft zuführen?

Wir glauben, dass sie das nicht tun würden, weil das ja auch schon heute möglich wäre. Mit einem schweizerischen oder deutschem Verdienst kann man ja bequem in Niedriglohnländern leben, und trotzdem sind unsere Städte nicht leer.

​Daniel Häni und Che Wagner in Bern.

Wie geht es weiter in der Schweiz?

Naja, im Nationalrat wird nun immer mal wieder weiter diskutiert, bis das Parlament schließlich eine Abstimmungsempfehlung ausspricht. Es gibt für die Fraktionen die Möglichkeit eines direkten und indirekten Gegenvorschlags, der eingereicht werden kann. Den von den Linken haben wir ja schon bekommen: Die Erwerbssicherung. Das ist nun eine ganz andere Idee, die an unserer vorbeigeht. Jetzt wird das Grundeinkommen in den zwei Kammern hin- und hergeschoben, bis wir einen Termin für die Volksabstimmung im Herbst 2016 haben.

Und was möchtet ihr tun, um die Schweizer bis dahin von der Idee zu überzeugen?

Es sind zwei Filme in Planung, einer aus Österreich, der eine Doku wird, und ein anderer Film aus den USA mit prominenter Besetzung. Ich hoffe, dass das beides noch einmal größere Wellen schlägt.

Vielleicht werden wir auch nochmal die Geldausschüttung an einem anderen Ort wiederholen, aber darüber kann ich leider noch nichts Näheres sagen.

Jedenfalls stehen alle diese Aktionen unter der Überschrift: „Die größte Frage der Welt": Denn wir denken, dass die Frage „Was würdest du arbeiten, wenn für dein Einkommen gesorgt wäre?" tatsächlich die größte Frage der Welt ist.

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​ Was tu ich da eigentlich? Übernehme ich Verantwortung für mein Leben?

Für wie realistisch haltet ihr es denn nun selbst, dass die Initiative vom Volk angenommen und als Ergänzung in die Verfassung eingeschrieben wird?

Nun ja, ob die Initiative wirklich direkt vom Volk angenommen wird, ist schwer zu sagen. Das ist natürlich auch abhängig von Krisen oder äußeren Einflüssen wie der aktuellen Arbeitslosenzahl.

Es ist gar nicht mal so wichtig, ob das Grundeinkommen ausgezahlt wird.

Ach so?

Das ist nicht unser Hauptfokus. Es kann gut sein, dass sich die Idee nicht im zweiten oder sogar dritten Anlauf durchsetzen kann, auch bis zur endgültigen Einführung der Altersvorsorge gab es viele Diskussionen und Abstimmungen.

Wichtig ist, dass Menschen die Idee des Grundeinkommens überhaupt denken können und über sich selbst reflektieren. Das wäre schon ein Riesenerfolg für uns. Deswegen heißt es auch immer, das Grundeinkommen sei keine sozialpolitische Idee, sondern eine Lebenseinstellung.

Es geht uns nicht darum, den Armen etwas zu geben, sondern allen etwas zu geben. Es geht darum, dass sich alle fragen, was sie mit einem Grundeinkommen tun würden.

Ich will, dass wir uns alle fragen: Was tu ich da eigentlich? Übernehme ich Verantwortung für mein Leben? Und würde ich das, womit ich mich so den ganzen Tag befasse, auch tun, wenn für mein Einkommen gesorgt wäre?