Was passiert, wenn du dem Internet dein Facebook-Passwort überlässt

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Was passiert, wenn du dem Internet dein Facebook-Passwort überlässt

Joe Veix hat dem Internet eine Spielwiese geschenkt: Einen kollektiven Facebook-Acoount, auf dem sich jeder austoben darf.

So sah der Kollektiv-Account kurz vor seiner Schließung aus|  Alle Bilder: Facebook | Joe Veix

Maximilien hat sich über das Wochenende verändert. Er ist von Ougadougou über New Mexico nach Bali und schließlich nach Nebraska gezogen.

Noch vor drei Tagen galten seine Interessen hauptsächlich den Finessen der Hochzeitsplanung, der Tierbestattung, dem Kommunismus und, tja, Kacke. Nun ist alles anders. Er fährt für Uber, nach einem kurzen—sicherlich nicht besonders karrierefördernden—Zwischenstopp bei Taco Bell und anderen beruflichen Ausflügen, und scheint ein gewisses Tourette-Syndrom entwickelt zu haben.

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Wenn diese Biografie etwas seltsam klingt, dann liegt es daran, dass es Max streng genommen nicht gibt. „Maximilien Manning" war der öffentlichste aller Facebook-Accounts, und als Person komplett fiktiv und kollaborativ.

Eigentlich steckt hinter Max nämlich der Autor und selbsternannte Web-Experimentator Joe Veix. Nachdem er bereits seinen eigenen Tod auf Facebook inszeniert hatte, wurde es Zeit für ein neues Projekt, das dem berechenbarsten und aufdringlichsten aller sozialen Netzwerke neues Leben einhauchen sollte: Das PublikFacebook, ein kollektiver Social-Media-Account, an dem sich jeder austoben kann. „Ich war neugierig: Wenn ein Social Media-Profil unsere Persönlichkeit reflektieren soll, wie würde dann ein Account aussehen, den wir alle benutzen?", schreibt Joe auf dem Blog Death and Taxes.

Also gab er dem Internet über Twitter sein Facebook-Passwort und wartete ab. Eine Stunde lang passierte nichts. Anschließend überschlugen sich die Dinge:

Jemand machte Max zum Mitarbeiter des „Kundendienst" von TacoBell. Ernstgemeinte Anfragen über Saucen auf seiner Pinnwand folgten. „Hallo Brennan", schrieb der vermeintliche Kundendienstler Max zurück, „unsere neue Sauce ist aus Bullenhoden und daher leider nicht für Vegetarier geeignet. Freut uns, dass sie dir schmeckt." Ein Nutzer befreundete alle seine Kontakte mit dem Fakeaccount, das Profilbild wechselte gefühlte tausend Mal. Ein Haufen Mitspieler nutzte die Nachrichten-Funktion von Facebook dafür aus, Nonsens an alle Nutzer zu schicken, die sich einloggen (seltsamerweise erlaubt der Messenger parallele Logins von überall auf der Welt). Andere ließen Max 50 Tierkrematorien gut finden—und dem IS eine wohlwollende Bewertung schreiben.

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Am vergangenen Donnerstag gestartet, gab es am Montag bereits über 135 Logins aus so unterschiedlichen Ecken der Welt wie den Vereinigten Arabischen Emiraten, Frankreich, Schweden und Kolumbien.

Hinter dem sich entspinnenden, wundersamen, besten, bizarren Internetchaos steckt aber neben allem Spaß noch ein ernster Kommentar: Facebook steht schon lange für den Klarnamenzwang in der Kritik, der im schlimmsten Fall das Leben marginalisierter Communitys (z.B. LGBT-Aktivisten in repressiven Staaten) bedrohen kann. Seit über neun Monaten verspricht Facebook, diese Regeln anzupassen—bislang ist nichts passiert.

Weil das Experiment so fruchtbar war, probierte Joe dasselbe gleich noch einmal mit Instagram und Twitter und legte dort Accounts an. Ersterer floppte komplett, letzterer „verwandelte sich in eine Art 4chan auf Meth", umschreibt Joe bedrohlich die Übernahme der kollektiven Intelligenz. Nach wenigen Stunden hätte der Account von Twitter eigentlich wegen Missbrauchs gesperrt werden müssen—er ist aber immer noch öffentlich zugänglich (Passwort: 1234). Als würde sich das Netzwerk seine viel beklagten Schwierigkeiten im Umgang mit Spammern und Trollen ein weiteres Mal empirisch bestätigen lassen.

Der Kollektivversuch endete mit einer krönenden Expedition in die tiefsten Tiefen der Veix'schen Psyche und Traumata. Wir sehen hier ein geklautes Bild von Joes Website, auf dem er mit photorealistischem MS-Paint-Obst posiert, neben dem Hinweis, der Abgebildete sei Frutarier geworden. Der Witz daran ist, dass Joe nicht nur 26 Jahre alt werden musste, um zum ersten Mal Obst zu probieren, sondern dieses waghalsige Abenteuer auch noch mit einem langen Selbsterfahrungs-Artikel bedacht hatte (sein Fazit: „Fuck Mangoes!").

Nun konnte diesen Spleen ja niemand ahnen, der mit der Veixschen Biografie nicht bereits vertraut war. Joe gab sich jedenfalls mehr als überrascht angesichts dieser liebevollen Recherchearbeit eines anonymen Mitstreiters aus Cardiff. Und er hat auch eine Theorie, wieso Facebook nach all der Anarchie nicht auf die Idee kam, den Zugang zu sperren: Durch seine multiplen Persönlichkeiten, die blödsinnige Interaktion mit den anderen Nutzern, seiner bereitwilligen Informationsfreigabe und seinen manischen Like-Orgien wahlloser Marken wurde er zum perfekten Nutzer.

„Facebook fördert eine aggressive Nutzung, und der Account verbreitete sich wie ein Virus, perfekt dafür geschaffen, Facebooks Funktionsweise auszunutzen."

Am Dienstagmorgen schließlich bekam Facebook von Max Wind und sperrte seinen Account endgültig. Doch das Ergebnis von Joes Experiment ist eindeutig: Die Präsenz eines bizarren, komplett fiktiven Spam-Monsters ist dort willkommener als ein verfolgter Menschenrechtsaktivist aus Äthiopien, der sich zu seiner eigenen Sicherheit ein Pseudonym zulegt.