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Deutscher YouTube-Star ruft zum Arbeitskampf gegen die Video-Plattform auf

10.000 YouTuber fordern von Google bessere Arbeitsbedingungen. Hinter der Initiative steckt ein Oberfranke, der für seine Videos selbstgebastelte Katapulte im Wald testet.

Vielleicht habt ihr den Namen Jörg Sprave noch nie gehört, aber die YouTube-Videos des Oberfranken gingen so oft viral, dass ihr ihn wahrscheinlich schon einmal gesehen habt. Sprave betreibt The Slingshot Channel – einen YouTube-Kanal, auf dem er selbstgebastelte Steinschleudern und andere Geschosse vorstellt und testet. Mit fast zwei Millionen Abonnenten und 300 Millionen Views hat sein Kanal eine treue Fangemeinde.

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Auf den ersten Blick wirkt sein Kanal weder politisch noch besonders kontrovers. Mit seinen selbstgebauten Katapulten feuert Sprave im Wald Ikea-Bleistifte oder Klobürsten ab, mit seiner Kondomschleuder gewann er 2014 den Videopreis von der Bill & Melinda Gates Foundation. Doch bereits vor einem Jahr stand der Slingshot Channel in der Öffentlichkeit: Damals geriet Sprave in manchen Medien in die Kritik, weil seine Videos angeblich als Tutorial für Terroristen dienen könnten, die stichsichere Westen durchstechen wollen. Daraufhin erhielt Sprave von YouTube eine Verwarnung, die erst nach seinem vehementen Protest wieder aufgehoben wurde.

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Nun meldet sich Sprave wieder zu Wort. In einem Video fordert er alle YouTuber dazu auf, sich zu wehren und der "YouTuber Union" beizutreten. Damit reagiert er darauf, dass YouTube am 2. März versehentlich einige Kanäle sperrte, die sich mit Schusswaffen oder oder Druckluftwaffen beschäftigen.

Wenige Tage nach Spraves Aufruf wies die Facebook-Gruppe der selbsterklärten Gewerkschaft fast 10.000 Mitglieder und eine sehr aktive Pinnwand auf.

Bild: Facebook-Seite der YouTuber's Union

Das fordern die YouTuber

Im Video erklärt Sprave, dass er von der aktuellen Zusammenarbeit mit YouTube die Nase voll habe. Er kritisiert, dass YouTube nicht klar mit den YouTubern kommunizieren oder sich genug um ihre Interessen kümmere. Sein Lösungsvorschlag: Indem YouTuber sich zu einer Gewerkschaft zusammenschließen, könnten sie Druck aufbauen und ihre Interessen durchsetzen. Die YouTuber fordern unter anderem eine bessere Kommunikation mit YouTubes Moderatoren und klarere Richtlinien, was auf der Plattform erlaubt ist und was nicht.

"Wir erledigen unseren Job, jeden Tag", schreibt Sprave in einem Brief an YouTube. "Jetzt wird es Zeit, dass ihr eure auch erledigt! Konzentriert euch auf die einfachen Aufgaben in unserer Partnerschaft und lasst vom Rest die Finger. Mischt euch nicht in unseren Content ein. Hört auf, einige Partner zu bevorzugen. Handelt nicht politisch, das steht euch nicht zu. Verstanden? Das ist doch nicht so schwer."

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Spraves Aufruf zur Gewerkschaftsbildung kam kurz nachdem YouTube verschiedene Videos und Kanäle gesperrt hatte, die sich mit Waffen beschäftigen, aber nicht gegen die Richtlinien von YouTube verstoßen. YouTube sagte gegenüber Bloomberg, dass sie die Kanäle versehentlich entfernt hätten. Inzwischen sind die betroffenen Kanäle und Videos wieder online.

Ein weiteres Thema, das den YouTubern am Herzen liegt, ist die sogenannte Demonetarisierung von Videos – also Fälle, in denen YouTube den Produzenten den Geldhahn zudreht. Denn YouTuber verdienen vor allem Geld damit, dass auf ihren Videos Werbung geschaltet wird. Stuft YouTube ein Video jedoch als nicht werbefreundlich ein, kann das Video zwar auf der Plattform bleiben, erhält aber keine Werbung mehr – und somit verdient der YouTuber auch kein Geld an dem Video.

Sprave selbst hatte im vergangenen Jahr Probleme mit der Demonetarisierung. Zu seinen Videos, die von YouTube heruntergestuft wurden, gehört unter anderem "Joerg's YouTube Terrorism School". In diesem satirischen Video macht sich Sprave darüber lustig, wie die britische Boulevardzeitschrift The Daily Mail über Terrorismus berichtet. Es war unter anderem die Daily Mail die Sprave zuvor besonders vehement vorwarf, dass seine Videos als Terroristen-Tutorial dienen könnten.

Sprave sagte gegenüber Motherboard, dass er zuerst versucht hatte, mit YouTube direkt zu kommunizieren, bevor er seinen Aufruf startete. Dafür wandte er sich an die YouTube-Moderatoren und an seinen Partnermanager – das sind YouTube-Mitarbeiter, die Betreibern von erfolgreichen YouTube-Kanälen unterstützend zur Seite stehen. Spraves Versuche blieben nach eigenen Angaben jedoch ohne Erfolg.

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"Anfang der Woche wurde ich dann zu einem Online-Seminar von YouTube über Monetarisierung eingeladen. Hier haben sie uns im Grunde mitgeteilt: Bringt keine 'kontroversen' Inhalte mehr. Weder in den Videos, noch in den Tags – selbst die Titel sollten keine Begriffe enthalten, die verdächtig aussehen. Ihre Begründung: 'Die Bots sind nicht so schlau'", sagte Sprave. "Das hat mir gereicht. Ich beschloss, etwas zu unternehmen."

Warum YouTube Inhalte schärfer kontrolliert

Für Sprave mögen die Löschungen vielleicht willkürlich wirken, aber YouTube hat gute Gründe für sein verschärftes Durchgreifen. Längst wächst der öffentliche Druck, problematische Inhalte schneller von der Plattform zu entfernen. Im November 2017 offenbarte ein viraler Medium-Post, dass Kindern durch den YouTube-Algorithmus zum Teil verstörende Videos empfohlen werden. Im Dezember postete der erfolgreiche YouTuber Logan Paul ein Video, in dem er eine Leiche findet – dieses Video führte schnell die YouTube-Trends an. Im Februar trendete ein Video, in dem behauptet wird, dass einer der überlebenden Teenager des Parkland-Shootings ein "Krisenschauspieler" sei.

Zudem haben auch unsere eigenen Recherchen gezeigt, dass YouTube erschreckend langsam darin ist, gegen Hetze und Hass auf der Plattform vorzugehen. Ende letzten Jahres verkündete YouTube, dass sie 10.000 Moderatoren einstellen würden, um die Inhalte auf ihrer Plattform besser in den Griff zu bekommen.

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Es ist gut, dass Youtube endlich stärker gegen Hassreden und Gewalt auf seiner Plattform vorgeht. Trotzdem hat Sprave recht damit, wenn er sagt, dass Kanäle wie seiner unverschuldet ins Kreuzfeuer geraten. Vielleicht findet nicht jeder Kanäle toll, die sich mit Waffen oder selbstgebastelten Steinschleudern beschäftigen, aber sie verstoßen nicht gegen YouTubes Richtlinien.

"YouTube muss sich entscheiden, welche Videos sie auf der Plattform zulassen wollen. Dann müssen sie eindeutige Regeln mit vielen Beispielen veröffentlichen", sagte Sprave gegenüber Motherboard. "Wenn sich ein Video an die Regeln hält, sollte es auch ein Stück vom 'Werbe-Kuchen' abbekommen." Sprave ist der Meinung, dass auch Videos mit "kontroversen" Inhalten mit Werbeeinnahmen belohnt werden sollten, da sie mehr Zuschauer auf die Seite bringen. "Ohne kontroverse Videos würden insgesamt weniger Leute YouTube besuchen", sagt er.

Sprave sieht ein, dass YouTube seine Inhalte moderieren muss. Aber er wünscht sich Klarheit: Entweder stimmen Videos mit YouTubes Richtlinien überein und können Geld mit Werbung verdienen – oder eben nicht. "Videos, die gegen die Regeln verstoßen, müssen gelöscht werden", sagt er.

Wenn man sich anschaut, wie viele Menschen in der Facebook-Gruppe oder dem Forum der YouTuber's Union diskutieren, überrascht es nicht, dass es auch hier Streit gibt. In einem Thread sorgen sich die Nutzer beispielsweise darüber, ob ihre Union schon jetzt von Alt-Rights überschwemmt wird – schließlich hat YouTube besonders viele rechte Kanäle gesperrt. In einer Sache scheinen sich jedoch alle Mitglieder der Union-Gruppe einig zu sein: YouTube muss besser darin werden, mit ihnen zu kommunizieren.

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Nein, YouTuber können keine echte Gewerkschaften bilden – aber sie können sich trotzdem wehren

Sprave ist sich sehr wohl bewusst, dass die YouTuber's Union keine echte Gewerkschaft sein kann. Er kann anderen YouTubern keine offiziellen Mitgliedsausweise ausstellen oder Beitragszahlungen verlangen. Es gibt keine Regierung, die die YouTuber's Union anerkennen könnte, da die YouTuber auf der ganzen Welt verteilt sind. Theoretisch könnten YouTuber einzelne Gewerkschaften in unterschiedlichen Ländern formen, aber das würde die Organisation erschweren.

Daniel Joseph, der an der University of Toronto digitale Plattformen und ihre Arbeitsbedingungen erforscht, sagte gegenüber Motherboard, dass die geographische Verteilung ein großes Problem bei der digitalen Arbeit sei. "Durch die geographische Streuung können sich die Menschen nicht auf traditionelle Weise organisieren", sagt Joseph. "Sie müssen sich stattdessen auf Slack oder Discord treffen. Sie können sich nicht einfach in der Kaffeeküche über ihren Boss austauschen."


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Ein weitaus größeres Problem: YouTuber sind nicht bei YouTube selbst bzw. dem Mutterkonzern Google angestellt. Google sieht YouTube lediglich als eine Art Produkt, mit dem einige YouTuber Geld verdienen. Mit diesem Problem waren auch die Fahrer für den privaten Taxidienst Uber konfrontiert, als sie eine Mitarbeitervertretung bilden wollten. Das Unternehmen argumentierte, dass seine Fahrer selbstständige Unternehmer seien und keine Angestellten. Nach Rechtsstreitigkeiten in den USA erkannte Uber schließlich die "Driver Association" an. Das ist zwar keine klassische Gewerkschaft, aber sie ermöglicht Fahrern, Stellvertreter zu wählen, die mit dem Management von Uber kommunizieren.

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Der Sachverhalt bleibt kompliziert. Es stimmt: YouTuber sind keine Angestellten im eigentlichen Sinne – trotzdem leisten sie eine Arbeit, die Google sehr viel Gewinn einbringt. Und viele YouTuber bestreiten mit den Videos ihren Lebensunterhalt. Das gilt auch für Menschen, die mit Uber oder Airbnb Geld verdienen – sie arbeiten für ein Unternehmen, haben aber nicht dieselben Rechte wie in einem klassischen Anstellungsverhältnis.

"Ich bin der Meinung, dass die Arbeit auf diesen Plattformen echte Arbeit ist", sagte Joseph. "Die YouTuber locken Zuschauer an. Eigentlich leisten sie dieselbe Arbeit wie eine Werbeagentur, die Videos erstellt, sie stehen nur nicht im gleichen Auftragsverhältnis. Auch wenn Plattformen wie YouTube sagen, dass sie nur ein Produkt anbieten, bleibt das Arbeit. Die Plattformen vernachlässigen ihre Pflichten."

Sprave glaubt, dass YouTuber etwas an ihrer Situation ändern können. Er denkt dabei jedoch nicht an einen "Streik". Er schlägt vor, dass YouTuber Teaser für ihre Inhalte auf YouTube posten könnten, die dann aber zu den vollständigen Videos auf Facebook oder einem anderen Konkurrenten weiterleiten. Somit könnten sie die Verweildauer von Nutzern auf YouTube reduzieren und das Unternehmen unter Druck setzen.

"Das ist erst der Anfang. Ich bin überzeugt davon, dass wir etwas verändern können", sagt Sprave.