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Wie Bots, Trolle und russische Accounts einen Wahlbetrug herbei fantasierten

Hinter einer der größten Panikmachen des Wahltags steckte eine illustre Mischung an Nutzern. Sogar der Bundeswahlleiter musste reagieren.
Bild: Screenshot Twitter

"Am Sonntag werden AfD Stimmen ungültig gemacht :) #BTW17Countdown", dieser Tweet einer angeblichen Wahlhelferin sorgte am Freitag vor der Bundestagswahl unter AfD-Unterstützern für helle Aufregung: AfD-nahe Twitter-Nutzer informierten reihenweise die offiziellen Stellen über die Aktion.

Der Hashtag, den sie dabei verwendeten, lautet: #Wahlbetrug. Immer wieder ist er übers Wahlwochenende in den Top 20 der Hashtags in Deutschland und zwingt offizielle Stellen wie den Bundeswahlleiter zur Reaktion. Dass der Hashtag so große Verbreitung findet, scheint aber nicht an der Angst von AfD-Wählern vor angeblichen linksextremen Wahlhelfern zu liegen, sondern: An einem russischsprachigen Bot-Netz.

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Was genau passierte unter #Wahlbetrug?

Dass an der Kampagne Wahlbetrug auch automatisierte Twitter-Accounts, sogenannte Bots, beteiligt waren, belegt eine Recherche des Digital Forensic Research Labs (DFRLab): Unsere Analyse zeigt, dass der Traffic auf den Hashtag nicht organisch war, sondern einen Boost bekam von automatisierten Bot-Accounts", heißt es in einem Text von DFRLab auf Medium.

Folgt Motherboard auf Facebook, Instagram, Snapchat und Twitter

Tatsächlich lässt sich ab Samstag ein sprunghafter Anstieg der Tweets mit dem Hashtag #Wahlbetrug beobachten, wie Motherboard Deutschland mit Hilfe des Tools Twitter Archiver nachvollziehen konnte. So gab es vom 16. bis 21. September täglich lediglich zwischen 12 und 26 Tweets zum Thema. Am Samstag explodierten die Tweets dann mit 2.276 Beiträgen zum Hashtag #Wahlbetrug, am Tag der Wahl selbst waren es bis 18 Uhr 1.707 Tweets.

Von den in diesem Zeitraum insgesamt 2.567 beteiligten Accounts weisen 460 Konten eine kyrillische Beschreibung auf – immerhin 17,9 Prozent. 20 offizielle Twitter-Accounts der AfD haben ebenfalls zum Hashtag #Wahlbetrug getwittert, darunter viele Kreisverbände größerer Städte wie Münster, Aachen oder Karlsruhe sowie die Landesverbände Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen.

Auffällig ist außerdem, dass unter den Twitter-Konten, die entweder die meisten Retweets zum Hashtag #Wahlbetrug oder die meisten Follower aller beteiligten Accounts besitzen, inhaltlich höchst unterschiedliche Accounts eine Rolle spielen. So verbreiteten die Konten @Hartes_Geld und @DoraBromberger typisch rechte Inhalte, wie Anti-Merkel- und Pro-Afd-Tweets sowie flüchtlingskritische Statements.

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Wahlbetrug und Wahlbeobachter waren das ganze Wochenende über in den Twitter-Trends | Bild: trendingdeutschland.de

Ein weiterer Account, der eine hohe Anzahl an Retweets zu seinem #Wahlbetrug-Tweet verzeichnen konnte, ist @darksideofkek. Dieser Nutzer ist einer der aktivsten Accounts bei Pro-AfD Troll-Aktionen und Kampagnen, die in den vergangenen Wochen von "Reconquista Germanica" koordiniert wurde, einem Chat-Server auf der Gaming-Plattform Discord. So hatten die Discord-Trolle, die auch Inhalte der rechtsextremen Identitären Bewegung teilen, am Abend des TV-Duells zwischen Angela Merkel und Martin Schulz unter dem Hashtag #Verräterduell auf TwitterPro-AfD-Propaganda verbreitet.

Wenn wir uns die Twitternutzer mit den meisten Followern angucken, fällt das russischsprachige Konto @Prodvijenie24 auf: Dieser Account twittert inhaltlich alles von YouTube-Videos mit verschiedenen Inhalten, iphone-Gewinnspielen, Auto-Websites und pro-AfD-Inhalten. Botometer schätzt den Account zu 75 Prozent als Bot ein.

Dass die AfD oder ihre Mitglieder selbst in direkter Verbindung zu den an der Wahlbeobachter-Kampagnen beteiligten Trollen, russischen Accounts und Bots steht, dafür gibt es keine Hinweise. Bisher distanzierte sich die Partei öffentlich vom Einsatz von Social Bots. Wie Motherboard-Recherchen allerdings zeigten, spielten aber zumindest in Pro-AfD-Gruppen zumindest auf Facebook auch Bots eine Rolle.

Was hat Russland mit dem Bot-Netz zu tun?

Dieselben Accounts, die auf Twitter Panik über einen möglichen Wahlbetrug verbreiteten, sind den Analysten vom DFRLab bereits vorher aufgefallen. Eine Woche vor der Wahl waren diese Twitter-Accounts damit beschäftigt den Hashtag #Wahlbeobachtung zu pushen – eine Aktion des rechten Vereins "Ein Prozent", der laut MDR Verbindungen zur AfD und zur rechtsextremen Identitären Bewegung aufweist.

Viele Accounts, die zu #Wahlbeobachtung twitterten zeigten ein Verhalten, das eher untypisch ist für gewöhnliche Twitter-Nutzer: Zwischen russischsprachigen Tweets, die sich gegen Kreml-Kritiker Alexei Nawalny richten, mischt sich Werbung für finnische Fußbodenheizungen, Artikel über Moskauer Schönheitschirurgen und deutschsprachige AfD-Wahlwerbung, wie DFRLab schreibt. Ein Posting-Verhalten, das typisch ist für kommerzielle Bot-Netzwerke, die versprechen, gegen Geld Aufmerksamkeit auf Inhalte zu lenken.

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Dass es dabei durchaus russische Betreiber gibt, die ein Interesse haben, die AfD mit ihren Bots zu unterstützen, hat vor kurzem Buzzfeed News gezeigt. Sie haben einen mutmaßlichen Betreiber identifiziert, der für etwas über 1000 Euro versprach, Tweets trenden zu lassen.

Welche Auswirkungen hatte das angebliche Botnetz auf die Wahl?

Ob die Tweets zu #Wahlbeobachtung und #Wahlbetrug einen Einfluss auf tatsächliches Wahlverhalten hatten, ist allerdings eher zweifelhaft.

Die Bild-Zeitung titelte allerdings am Sonntag ganz oben auf ihrer Startseite mit der Schlagzeile "Riesiger Russen-Angriff auf Unsere Wahl" auf – was klingt wie der lange von Sicherheitskreisen befürchtete Angriff russischer Hacker, ist nicht viel mehr als eine gut gebündelte Twitter-Kampagne. Als solche kann sie zwar, was die Reichweite angeht, als wohl erfolgreichste des gesamten Wahlkampfs gelten – von dem Ausmaß an Manipulation, das man im US-Wahlkampf mit Leaks und Hacks von Kandidaten beobachten konnte, sind wir hier allerdings weit entfernt.

Verwandeln AfD-Ortsverbände und russischsprachige Accounts hier eine Siff-Twitter-Vorlage?

Doch diese Geschichte hat noch einen anderen interessanten Aspekt, wenn man sich den Account von @von_Sahringen anschaut – also jener Account, hinter dem eine angebliche Wahlhelferin steckte, die AfD-Stimmen ungültig machen wollte. Kurze Zeit nachdem ihr Tweet von russischen Accounts und Pro-AfD-Konten aufgegriffen wurde, schrieb sie eine weitere überraschende Nachricht: "Die Polizei war gerade da und sagte ich darf keine Wahlhelferin mehr sein :(", so @von_Sahringen auf Twitter.

Doch die Geschichte einer AfD-feindlichen Wahlhelferin, die nach einem falschen Tweet ausgeladen wurde, muss nicht stimmen. Wahrscheinlicher erscheint es, dass die AfD-Supporter und das Bot-Netz hier die Steilvorlage eines Trolls verwandelt haben. Sahrer oder @von_Sahringen sieht aus wie ein Account aus der Troll-Community, die auch als Sifftwitter bezeichnet und durch einen anonymen Blogpost als "schlimmste Hasscommunity im Netz" bekannt wurde.

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Wie Correctiv bemerkt, könnte der Account @von_Sahringen, der das Foto einer pakistanischen Schauspielerin als Profilbild benutzt, einfach ein neues Konto des inzwischen gesperrten Trolls @vonSahr sein.

Ein Verhalten, das zu der Community passen würde: Weil die Sifftwitter-Trolle für ihre Angriffe oft gesperrt werden, nutzen sie häufig alternative Accounts mit ähnlichen Namen. "Correctiv hat's verstanden", twitterte @von_Sahringen als Reaktion auf den Artikel, eine mögliche Bestätigung der Siff-Connection.

Ein Blick auf die sonstigen Inhalte des Accounts offenbart im Übrigen die für Sifftwitter recht typische Mischung: Medienkritik, absurde Internet-Gags, Trollaufrufe.

Sifftwitter, kyrillisch sprechende Bots, Discord-Trolle und die AfD – klar ist: Die Zutaten der Wahlbeobachter-Kampagnen ergeben eine der bizarrsten Aktionen der Bundestagswahl.