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Popkultur

Es gibt wenig Dinge, die so deutsch sind wie der Po-Lappen

Meine Freundin hat ihrem Mann einen neuen Po-Lappen geschenkt. Und mir wurde klar: Der Po-Lappen ist das vielleicht unterschätzteste deutsche Kulturphänomen.
Symbolfoto: imago | Westend61, bearbeitet

Kati hat zwei Kinder und einen Mann, Martin. Martin ist herzlich, pragmatisch, bodenständig. Als ich meine Freundin im Frühjahr auf ein Glas Wein treffe, erzählt Kati mir von ihrem Ostersonntag mit der Familie. Als fürsorgliche Mutter hatte sie für jeden ein passendes Ostergeschenk: für die Kinder Playmobil und Schokohasen, für die Schwiegermutter Tupperware und für Martin einen neuen Po-Lappen.

Hellgrün musste er sein und extrem saugfähig. Kati grinst, sie wirkt stolz, als sie das erzählt. Endlich hat sie es geschafft, den alten Po-Lappen aus dem Badezimmer zu verbannen. Der ursprünglich beigefarbene Lappen hatte am Ende die Farbe eines Po-Lappens angenommen.

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Mir schauert ein wenig vor Ekel, aber ich will mehr wissen. Von dem Po-Lappen, seiner Funktion und seiner Geschichte. Schließlich scheint der Po-Lappen eine feste Größe in Katis und Martins Leben zu sein. Kati sagt, er gehört für Martin zum Alltag dazu wie der Kaffee am Morgen und das Ei am Sonntag. Vielleicht steht der Po-Lappen für mehr als den reinen Waschakt. Vielleicht ist es ein Zeichen der Selbstliebe, des behutsamen Umgangs mit dem eigenen Körper – eine Art spirituelle Waschung. Früher gingen die Menschen in Deutschland zur Beichte, um sich von ihren Sünden reinzuwaschen. Heute gibt es den Po-Lappen.


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Seit Kati mit Martin vor sechs Jahren zusammengezogen ist, ist der Po-Lappen Teil ihrer Wohnungseinrichtung. Wie ein lethargischer Mitbewohner hängt er unbeirrt an derselben Stelle im Bad, in der Duschkabine, links am Plastikknauf des Duschkopfhalters. In sicherer Entfernung von Shampoo, Duschbad und Gesichtslappen. Kati meint, der Po-Lappen sei für Martin ein besonderer Lappen. Einzig und allein für den Po reserviert. Er will nicht, dass andere seinen Lappen benutzen. In der Regel wollen die anderen das auch nicht.

In Katis Familie gab es keine Po-Lappen. Sie sagt, sie finde den Po-Lappen abstoßend. Es kommt vor, dass ihr Martins Lappen beim Duschen im wahrsten Sinne des Wortes durch die Lappen geht. In so einem Fall rüstet sie sich mit einer dicken Lage Klopapier und hievt den Lappen möglichst ohne direkten Kontakt zurück an seinen Platz. Sie könnte ihn auch einfach im Hausmüll verschwinden lassen, aber Kati liebt Martin und Martin liebt eben den Lappen; also hängt sie ihn wieder zurück. Nur ab und zu, findet sie, muss ein neuer her. Zum Beispiel an Ostern.

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Wenn alle Menschen mehr über Hygiene wüssten, hätten sie vermutlich auch ihren Po-Lappen

Tatsächlich gibt es nicht viele Menschen wie Martin. In einem Interview sagt Professor Alexander Herold vom End- und Dickdarm-Zentrum Mannheim, dass in unseren Breitengraden das Prinzip der Papierreinigung besonders weit verbreitet ist. Vermutlich aus hygiene-historischen Gründen: Da die Toiletten in Mitteleuropa lange Zeit kein fließend Wasser hatten, griff man zur Po-Reinigung auf Zeitungspapier zurück. Dabei, meint Herold, sei in diesem Fall Wasser das einzige Reinigungsmittel, das tatsächlich hilft. Bei ausschließlicher Trockenreinigung kann es unter Umständen sogar zu allergischen Reaktionen und Hautreizungen kommen. Wenn das den Menschen klar wäre, sie hätten vermutlich alle ihren Po-Lappen und der globale Krankheitsstand würde sinken.

Ich hatte auch mal einen. Aber nicht immer, nur in den Sommermonaten. Wenn mein Bruder und ich nach Mecklenburg-Vorpommern fuhren, um die Ferien bei meinen Großeltern zu verbringen. Abends, nach stundenlangen Dorfstreifzügen, holte meine Oma den Waschzuber heraus, füllte ihn bis zum Rand mit Wasser und wusch uns von oben bis unten. Ich liebte es von ihr gewaschen zu werden. Ihre gegerbten, kräftigen Hände im klaren Wasser. Der kühle, erfrischenden Lappen auf der schwitzigen Haut. Nur ein Körperteil ließ meine Oma immer aus: den Po.

Der Po-Lappen meiner Großmutter war hellblau, bestickt mit ihren Initialen: "A. A."

"Da kommt kein anderer Lappen ran", sagte sie und zog aus ihrer Waschschürze vorsichtig meinen und den Po-Lappen meines Bruders hervor. Nacheinander sollten wir uns nun vornüberbeugen und dabei die Beine ordentlich durchstrecken. Nachdem wir fertig waren stieg meine Großmutter in das Wasser. Und ja, auch sie hatte einen. In zartem hellblau, bestickt mit ihren Initialen: "A. A.". Damit säuberte sie ihren großen, weichen Po. Und zwar mit genau der gleichen Sorgfalt und Hingabe wie die unseren. Im Anschluss hängte sie ihn zum Trocknen auf einen Haken. Darüber ein Schildchen: Po-Lappen. Mit Bindestrich!

Während Kati mir mit einem tiefen Seufzer zu verstehen gibt, dass ihr die Geschichten über Po-Lappen endgültig zu viel werden, denke ich sehnsuchtsvoll an die Sommertage auf dem Land zurück.

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Das Gespräch mit Kati lässt mich nicht los. Ich frage andere Freunde, ob sie auch Po-Lappen hätten. Inès aus Frankreich blickt mich bei der Formulierung "Po-Lappen" ratlos an und fragt vorsichtig, ob ich damit eine deutsche Delikatesse meine. Nach umständlicher Übersetzung ins Englische und Französische versteht sie mich. Es folgt ein irritierter Blick à la "Ich hab´s schon immer gewusst, die spinnen die Deutschen." Eine türkische Freundin erzählt mir, dass bei den Muslimen der Po-Lappen die linke Hand sei. Die Reinigung mit einem Lappen findet sie sehr unhygienisch. Sie sagt, sie hoffe, es gibt eine separate Waschmaschine für diesen Lappen.

Den Hintern mit Hilfe eines Bidet zu reinigen, war den Deutschen zu anrüchig

Im Unterschied zu Deutschland wird auf den Toiletten anderer Länder zur Intim-Reinigung das Bidet genutzt. Frankreich, Italien, Spanien sowie die arabischen und asiatischen Länder haben die Vorzüge dieser sanitären Einrichtung längst für sich entdeckt. Da durch die Wasserreinigung auch Bakterien aus tiefen Hautfalten herausgespült werden können, verringert die Nutzung des Bidets die Wahrscheinlichkeit von Infektionen und schmerzhaften Schleimhauterkrankungen. Darüber hinaus belastet ein Bidet weniger die Umwelt als kiloweise Feuchttücher und Toilettenpapier. Wieso also scheut sich der Deutsche diese Tradition zu teilen?

Aufschluss bringt ein Blick auf die Website des Museums für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch in Wien. Bidets waren demnach bereits in der Antike bekannt, dienten jedoch vorrangig Vaginalspülungen und nach dem Koitus zur Schwangerschaftsverhütung. Während sich der Gebrauchsrahmen des Bidets bereits im 18. Jahrhundert vergrößerte, galt es in Deutschland noch lange Zeit als unmoralisch und unanständig ein Bidet im Hause zu haben. Ein Po-Lappen schien den Deutschen da offenbar weniger anrüchig zu sein.

Ich stelle also fest, dass es sich bei dem Po-Lappen um ein deutsches Phänomen handeln muss. Eine Art deutsches Kulturgut. Schließlich geben all meine deutschen Freunde zu, einmal einen Po-Lappen besessen oder zumindest von Leuten gehört zu haben, die einen besitzen.

Joachim Meyerhoff beschreibt in seinem Roman Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war?, zu welcher Waffe der Po-Lappen des Vaters im brüderlichen Machtkampf wird. Derjenige, dem der Lappen über die gesamte Gesichtsbreite gewischt wird, ist für den restlichen Tag gebrandmarkt. Der arme Vater weiß natürlich nichts von dem Treiben seiner Brut und dem Missbrauch seines Lappens.

Wie es scheint hat der Po-Lappen ein schlechtes Image. Sein berechtigter Platz in der Kulturgeschichte des Waschens wird ihm nicht zugestanden. Warum eigentlich nicht? Zeugt es nicht auch von einer gewissen Sensibilität, dem Po seinen eigenen Lappen zuzugestehen. Wieso sollte das Gesicht sich den Lappen mehr verdienen? Ich gebe Martin Recht. Der Po hat das Recht auf Exklusivität. Er hat das Recht auf einen eigenen Lappen. Po-Lappen, das klingt fast nach Poesie.

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