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Aktivisten enttarnen Überwachungskamera in konspirativer Leipziger Wohnung

Die Leipziger Polizei hat in einer verlassenen Wohnung eine Kamera und Streaming-Anlage installiert, um damit einen Straßenzug in Plagwitz in den Blick zu nehmen.
Bildquelle: Indymedia | anonymer Verfasser; Homepage Bild: nolifebeforecoffee / FlickR (Ausschnitt) | CC BY 2.0

Überwachungskameras in der U-Bahn, auf den öffentlichen Plätzen unserer Städte und im Weltraum sind ein gleichermaßen allgegenwärtiges wie allgemein bekanntes Phänomen. Heikel wird der moderne Balanceakt zwischen Freiheit und Sicherheit aber vor allem dann, wenn die Verantwortlichen hinter den Kameras die Öffentlichkeit nicht über ihre Überwachung informieren.

In Leipzig ist nun zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate eine Kamera entdeckt worden, die in einer konspirativen Wohnung aufgestellt wurde, und von dort aus einen ganzen Straßenzug im Blick hatte—ohne offizielle Bekanntmachung, aber wohl mit zahlreichen Unschuldigen, die ungefragt überwacht wurden. Das recht teure Equipment ist erneut nur durch die Entdeckung durch geneigte Anwohner aufgeflogen. Da die Kamera als Teil einer Überwachung durch Ermittlungsbehörden deklariert wurde, war sie nicht öffentlich kennzeichnungspflichtig.

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Eine kleine Anfrage der Linken im sächsischen Landtag vor einigen Wochen förderte zu Tage, dass mindestens drei solcher Kameras in Leipzig im Einsatz sein. Der genaue Einsatzort, Zweck, die beobachtende Behörde oder eine Einsatzbegründung wurden damals vom Landtag freilich nicht bekannt gegeben.

Es wurde nur verraten, dass die dritte Kamera möglicherweise mobil zum Einsatz kommen könnte. Lokale Sousveillance-Aktivisten haben nun bereits einen Wettbewerb mit Sonderpreisen für das Finden des dritten Apparats ausgelobt, während die Leipziger Polizei gestern tatsächlich bestätigte, dass die Plagwitzer Kamera bereits im Einsatz gewesen sei.

Die erste Videoüberwachungsanlage wurde Ende März in einem leer stehenden Haus im Stadtteil Connewitz entdeckt. Die schwenkbare Kamera war auf die gegenüberliegende Straße, mehrere Hauseingänge und Wohnungsfenster gerichtet. Wie sich später herausstellte, steckte hinter dieser Überwachung ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Dresden. Wer oder was genau beschattet werden sollte, ist jedoch bis heute unklar.

Auch ob die konspirative Überwachung, die potentiell zahlreiche Unschuldige unwissentlich erfasste, sachlich notwendig und damit legal war, lässt sich so nicht aufklären. Die Staatsanwaltschaft deklariert das Verfahren als sogenanntes „gesperrtes Verfahren", wodurch überhaupt nur sehr wenige Beamte Informationen über die Vorgänge haben.

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Im Falle geheimer polizeilicher Kameraüberwachung des öffentlichen Raums muss ein Verdacht auf eine besonders schwere Straftat vorliegen und auch eine Begründung, warum andere Maßnahmen (wie beispielsweise klassisch persönliche Schlapphut-Observation) nicht in Frage kommen.

Von außen war die Anlage in der Simildenstraße in Connewitz nicht zu erkennen, die leuchtenden Dioden waren überklebt und der Winkel war nicht einsehbar. Nach Angabe der Finder ließ das technische Equipment den Schluß zu, dass sowohl Bilder auf einen angeschlossenen Festplatten-Recorder aufgezeichnet werden sollten, als auch, dass das Gerät über eine LTE-Mobilfunk Verbindung aus der Ferne gesteuert und gestreamt werden konnte.

Die Kamera selbst war bei dem Aufbau noch das billigste. Insgesamt kostete die Anlage wohl über 8000 Euro—die Finder haben die Investition der Behörden damals laut eigenen Angaben unbrauchbar und wohl zur weiteren Analyse gegeben.

Die Ende letzter Woche in einer „konspirativen Wohnung" gefundene Anlage befand sich in einem leerstehenden Hauses im Stadtteil Plagwitz. Hier konnte Kamera konnte problemlos eine Vielzahl an Personen filmen, da sich gegenüber der Wohnung eine Bushaltestelle befindet. Wegen des angeschlossenen Übertragungsgerätes mit SIM-Modul bestand möglicherweise eine Live-Verbindung. Der Urheber dieser Anlage lies sich laut Invenataraufkleber am Gerät relativ einfach als Polizei Sachsen bestimmen.

„Diese Videoobservation reiht sich in eine ganze Reihe von Überwachungsmaßnahmen, die in der jüngsten Vergangenheit insbesondere in Connewitz bekannt geworden sind.", schreiben die anonymen Aktivisten und Enttarner auf Indymedia. Dazu zählen neben Polizeiposten, Kameras im öffentlichen Raum sowie Peilsendern, natürlich auch zahlreiche Zivilstreifen. Viele dieser Aktivitäten konzentrieren sich auf den Stadtteil Connewitz, wobei die Orte eher nicht als Kriminalitätsschwerpunkt bekannt sind. Im Falle des aktuellen Kamerafundes handelt es sich um eine ruhige, kaum auffällige Seitenstraße eines Wohngebiets.

In einer Presseerklärung forderte die Initiative Für das Politische! „umfassende Information und Beweggründe und die Offenlegung der geplanten Ausmaße der Überwachungsmaßnahme". Dennoch sind diese Informationen wegen der Einstufung als Verschlusssache weiterhin geheim. Die überwachungskritische Initiative „Privacy Leipzig" und andere Gruppen rufen nun auch zu einer Demonstration am 21.6. auf—sowie zum dokumentierenden Gegenschlag, bei dem die zahlreichen Leipziger Überwachgunskamers fotografiert werden. Den besten Bildern winkt der tolle Preis der „Goldenen Überwachungskamera" auf der Demo. Die Hoffnung der Aktivisten ist wohl außerdem dort den Sonderpreis für das Finden der dritten konspirativen Kamera zu verleihen.

Beunruhigend ist die Angelegenheit in jedem Falle. Eine Überwachung per Live-Stream und gleichzeitiger Videodatenspeicherung mittels einer konspirativ angebrachten Kamera, die durch die frei geputzte Stelle eines Fensters starrt, klingt für uns jedenfalls eher nach einer Blade Runner-Analogie als nach dem Leben im Leipziger Alltag.