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Der Virtualizer macht den Cyberspace zu einem Ganzkörpererlebnis

Mit der Entwicklung eines österreichischen Start-Ups kannst du auf Socken durch den Cyberspace navigieren.
Alle Bilder: Virtualizer/ Verwendet mit freundlicher Genehmigung.

William Gibson hat den Cyberspace als eine „elektronische Konsenshalluzination" beschrieben. Der Science-Fiction-Autor dürfte begeistert sein, wie konkret heute an der Perfektionierung unsere virtuellen Welten gearbeitet wird. Während wir mit der Datenbrille Oculus Rift unsere Gedanken durch imaginierte Welten reisen lassen, verspricht eine österreichische Entwicklung nun unseren Körper auf neue realistische Weise durch den Cyberspace spazieren zu lassen.

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Der Virtualizer hat gerade innerhalb weniger Tage einen breiten Kickstarter-Konsens erziehlt und inzwischen schon 150.000 Euro an Finanzierung gesammelt. Damit sollte das Ziel von 185.000 Euro bis Ende August locker erreicht werden. „Dass wir so einen Boom auslösen, damit hatte ich tatsächlich nicht gerechnet", erzählt mir der Erfinder Tuncay Cakmak.

Die Cyber-Lauflernhilfe

Der „Virtualizer" kann jedenfalls weit mehr als all die bisherigen Headsets, bei denen wir sitzend berieselt werden: Auf Socken steht der Nutzer auf der flachen Plattform, fixiert durch eine vertikal frei bewegliche Ringkonstruktion. Die Steuer funktioniert alleine durch den Körper und integrierte Sensoren erfassen zentimetergenau, wie wir uns bewegen: nicht nur wie wir gehen und laufen, sondern auch wie wir uns ducken und springen. Die Standardversion wird schon für knapp 600 Euro zu haben sein und für nur 150 Euro mehr erhälst du den Virtualizer HT, der dir durch Vibrationen realistisch vermitteln wird, wie zum Beispiel eine Granate neben dir einschlägt.

Horrorspiele mit dem Virtualizer bei dem man auf Socken um sein Leben laufen, aber niemals ganz entkommen kann.

Alle Bilder: Virtualizer/ Verwendet mit freundlicher Genehmigung.

Die Begeisterung um das kleine österreichische Start-Up passt zum aktuellen Hype um die virtuelle Realität (VR). Schon dem VR Headset Oculus Rift gelang auf Kickstarter mit 1,8 Millionen Euro ein Riesenerfolg. Die spätere Übernahme durch Facebook mit der Kaufsumme von 1,5 Milliarden Euro beförderte auch das Gerücht, dass die bei Entwicklern beliebte Datenbrille Ende diesen Jahres tatsächlich offiziell im Handel erhältlich sein könnte. Sony steckt mit Project Morpheus inzwischen tief in der Entwicklung eines Konkurrenzmodells.

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Die Normalität virtueller Realität

Auch Cakmak spricht davon, dass täglich Anfragen für die Zusammenarbeit mit größeren Klienten eintrudeln: „Wer weiß, vielleicht wird VR in ein paar Jahren genauso wenig wegzudenken sein, wie es heutzutage Smartphones sind?".

Momentan bist du in vielen Spielsituation noch unterlegen, wenn dein Gegner mit konventioneller Steuerung durch eine minimale Handbewegung eine Ganzkörperbewegung in der Gaming-Welt bewirken kann. Doch Cyberith-Gründer Cakmak glaubt daran, dass schon bald „Virtual Reality Spielserver entstehen, die eigens für Spieler mit Hardware wie dem Virtualizer gedacht sind". Dann sind die Zeiten vorbei, in denen die Handlungen des Spielcharakters über Steuerungsgeräte wie Maus oder Tastatur unnatürlich verstärkt werden.

Bild: Cyberith

Das Gerät, welches neue immersive Welterlebnisse verspricht, sieht sperrig aus. Es erinnert an eine Cyberversion jener Lauflernhilfen, mit denen Kleinkinder in Seilen hängend durch die Gegend rollen. Aber stehen unsere Wohnzimmer nicht auch voll mit Laufbändern und Personal Trainern?

Der „Virtualizer" jedenfalls will viele Funktionen vereinen. Abgesehen davon, dass er per USB-Anschluss nicht nur beliebig viele Spiele steuern kann, sieht Cyberith-Gründer Cakmak noch viele weitere allgemeine Anwendungsfelder. Er zeigt sich überzeugt von den „positiven Auswirkungen auf unsere Gesellschaft", denn diese immense Steigerung der körperlichen Immersion verändere die Wirkung und Erfahrung virtueller Reisen.

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Cakmak hat schon viele praktische Anwendungsfelder für seine Entwicklung im Kopf: „Virtuell den Aufbau einer Station auf dem Mars durchführen oder Simulationen für Polizei und Feuerwehr, die als Übungssituationen im Alltag viel teurer wären." Er betont mir gegenüber, dass die virtuell-körperliche Erfahrung das perfekte Training sein kann, um Fehlerquoten zu senken und genauso können „psychotherapeutische Anwendungen ihre Wirkung durch realistische VR steigern."

Auch das US-Militär hat längst verstanden, dass Virtual Reality entscheidend dazu beitragen kann, Trainingsmaßnahmen weniger abstrakt zu gestalten. Mit dem Project X von der DARPA sollen solche neuen Wege die Kriegsausübung und -führung forcieren. VR soll digitale Schlachtfelder plastisch machen. Das US-Militär möchte offensiver in den Cyber-Krieg einsteigen und hat sich deshalb schon Oculus RIFT zu Experimentierzwecken besorgt.

Gegenüber Wired spricht Frank Pound, der Manager von Darpas Plan X-Programm davon, dass die Erfahrung des Internet-Raums wie „schwimmen" sei. Die zweidimensionale Weltsicht wird von einer Erfahrung abgelöst, in der die Cyberkrieger nach links und rechts blicken, um Informationen zu sichten und ihre Angriffe gezielt auszuführen. Mit dem Virtualizer könnten sie noch einen Schritt weiter gehen.

Was Computerspiele können, dass kann das Militär schon lange und das gilt auch für das Erleben eines virtuellen Raums: Bewegung in einer dreidimensionalen Welt schafft ein anderes Gefühl von Präsenz. Die Entkoppelung vom Alltag des US-Soldaten, der in einer verlassenen Kommandozentrale hinter seinem Bildschirm Angriffe ausführt, von der Welt des Leidens würde sich zumindest in der Simulation verändern. „Realität erhält einen virtuellen Charakter, wenn man bloß einen Knopf drücken muss, um irgendwelche weit entfernten Aktionen auszulösen", sagt Cakmak. „Der Virtualizer würde dieser Virtualität den fehlenden Realitätsgrad zurückgeben.

Der gesteigerte Realismus würde sich sowohl auf das Training als auch die tatsächliche Kampfsituation positive auswirken. Je besser die VR Simulation, desto eher können emotionale Entscheidungen kontrolliert und trainiert werden." Der Krieg auf Distanz würde zu einem Krieg der simulierten Nähe werden. Und die Bewegung durch die Tiefen des Cyberspace wird zu einem Spaziergang auf Socken.