Will Scott hat den faszinierendsten Instagram-Account, den ich bei einem Informatiker je gesehen habe. Überlegt mit einigen dezenten Filtern erzählen seine Bilder die überraschende Geschichte eines amerikanischen Computerexperten, der mehrere Monate an der Pyongyang University of Science and Technology den technikbegeisterten Nachwuchs der Volksrepublik Nordkorea unterrichtet hat.Auf dem Chaos Communication Congress in Hamburg hat der ehemalige Google-Mitarbeiter nun auch auf einer großen Bühne über seine Erfahrungen vor Ort berichtet. Besonders begeisterte er die versammelte deutschen Hackerschaft mit seinen Hands-On-Berichten nordkoreanischer Tablets und Details der prähistorisch anmutenden Internet-Zensur der Volksrepublik.
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Will hat nicht nur seinen Studenten der Elite-Uni pflichtbewusst Datenbank- und Betriebssysteme nähergebracht, sondern sich auch das nordkoreanische Betriebssystem RedStar 3.0 und andere obskure lokale Gadgets als Souvenirs zurück in seine Heimat Seattle mitgebracht. Mit seinen Bildern und Erzählungen versucht er, stets so unaufgeregt wie möglich den akademischen Alltag und das Studentleben einzufangen, um der Realität in der nordkoreanischen Hauptstadt wertungsfrei näher zu kommen. Nicht zuletzt hat es ihm das Land so angetan, dass er selbstverständlich noch einmal dorthin zurückkehren würde.
STAATSFEIND IN DER KADERSCHMIEDE
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Also hat sich Will ganz konservativ bei der Uni beworben und wurde dank seiner Qualifikationen angenommen. Die als elitär geltende Hochschule ist absurderweise unter amerikanischer Leitung—nur eine von vielen Besonderheiten in der angespannten Beziehung beider Länder.
Zunächst fiel Will auf, wie die Studenten dank selektiver Wahrnehmung mit Leichtigkeit selbst widersprüchlichste Glaubensgrundsätze in sich vereinen konnten:„Der Hass ist gerichtet: Der Westen ist eigentlich okay, nur Japan und die USA sind die großen Feinde. (…) Die Studenten kennen Tech-Unternehmen und hegen keine besondere Aversion gegen Apple, Microsoft, Google etc. Und sie unterstützen Snowden."Da viele Nordkoreaner US-Bürger für gruselige Monster halten, hatte Will durch seinen Aufenthalt die Chance, diesem recht eindimensionalen Bild etwas mehr Persönlichkeit und Menschlichkeit einzuhauchen. Und umgekehrt rückt er durch seine Berichte auch unser hölzernes Bild eines nordkoreanischen Alltags gerade.
So schmetterten seine Studenten zwar patriotische Choräle auf dem Weg in die Kantine, beim Essen quatschten dann aber alle durcheinander, wenn es um Fussball oder Hausaufgaben ging. Obwohl sie es generell wahnsinnig aufregend fanden, neben einem Ausländer zu sitzen, waren Wills Studenten fest überzeugt davon, ihr Heimatland befände sich aktuell im Krieg mit den USA. Sie fragten ihre amerikanischen Professoren: „Warum seid ihr eigentlich noch hier, wenn euer Land doch Krieg gegen uns führt?"„Ich hatte keinen Status: ich war jung und amerikanisch."
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„Ich hatte keinen Status", so Will über die kulturellen Herausforderungen in Ostasien. „Ich war jung und amerikanisch." Und die koreanischen Vorbehalte waren trotz Neugier tief verwurzelt: „Zu sagen, man sei US-Amerikaner, war ein todsicherer Weg, um ein Gespräch—beispielsweise mit netten Kellnerinnern, die annahmen, man sei Europäer—sofort zu beenden. "
CAMPUSALLTAG IN PJÖNGJANG
Um mehr Frauen auf den Campus zu locken, hat sich die Unileitung einen anachronistischen Schlachtplan ausgedacht: Eine geplante Krankenschwesterschule, die bald als Teil der medizinischen Fakultät eröffnen soll. Ansonsten begründet sie ihre Entscheidung für eine rein männliche Studentenschaft im Informatik-Studiengang mit folgender kruden Argumentation: Die Studenten und spätere Elite sollten idealerweise nicht so viel über das reden, was sie an der Uni lernen—und gemäß dieser recht unsozialistischen Pseudo-Logik sind Jungs „einfach weniger geschwätzig".Mädchen seien „zu geschwätzig" für den Elite-Informatikkurs
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Der Unterricht mit Fokus auf linux- und androidbasierte Systemen war für Will eine Herausforderung: „Informatikunterricht bricht ohne das Internet mehr oder weniger zusammen", stellte er schnell fest. Die Studenten—die auch auf dem Campus wohnten— lernten viel mit Büchern oder brachten zum Teil auch ihre eigenen Geräte mit.Die 2x60 Rechner im Computerlabor waren zwar untereinander vernetzt, Internet gab es dort jedoch nicht. Sich selbstständig Lösungen im Netz zu erarbeiten, fiel für die Studenten so natürlich aus. Nur Will selbst hatte Internetzugang, so wie auch die Professoren.
Der Zugang zum Netz wird in Nordkorea physisch kontrolliert, nicht technisch. Wer Zugang erhält, kann das Internet ungefiltert genießen (hinter einem HTTP-Proxy, der die Zugansdaten mitloggt, damit klar ist, von welchem User welche Anfrage gestellt wird).Damit bietet Nordkorea Ausländern besseren—nämlich ungefilterten—Internetzugang als zum Beispiel China. Die Masterstudenten durften das Internet überhaupt nicht nutzen, während die Postgrad-Studenten einen beschränkten Zugriff auf das Internet hatten—allerdings nur in einem speziellen Raum und unter Beobachtung.Übrigens gibt es an den Bildungseinrichtungen entweder Internet oder Intranet—Orte mit beiden Zugriffsmöglichkeiten waren nicht gern gesehen. Das Internet für die Studenten ohne Zugang zum Internet funktioniert wie ein veralteter Archivdienst in den Filmhäusern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: Du gibst deine Anfrage ab und ein Angestellter sucht dir etwas raus, das du dir ein paar Tage später abholen kannst. Wills Uni hatte somit keinen Zugriff auf das nordkoreaweite Intranet, das in speziellen E-Libraries der anderen Universitäten angeboten wird, ca. 3000 bis 5000 Seiten umfasst und eigene Top Level Domains hat:Internetzugang wird in Nordkorea physisch kontrolliert, nicht technisch. Es gibt also keinen inhaltsfilter wie in China.
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Doch nicht nur die digitale, auch die verbale Kommunikation unterlag einer gewissen sozialen Kontrolle:„Unsere Kommunikation wurde zwar nicht general überwacht, aber die Studenten wurden angehalten, von sich selbst oder anderen zu berichten, wenn irgendjemand Grenzen überschritt", so Will. Also vermied man im Gespräch kontroverse Themen einfach, um sich selbst und anderen im Alltag keinen Ärger zu bescheren.Auf dem Chaos Computer Congress stellte Will zwei Geräte vor, die er sich aus Nordkorea mitgebracht hatte: Ein Arirang-Mobiltelefon (erstanden im Land für umgerechnet 600 Dollar), auf dem Android läuft, und ein Tablet, das zwar keine W-Lan- oder Bluetooth-Funktion hat, dafür aber einen martialischen Hintergrund mit Raketensprengköpfen, vorinstalliertem Angry Birds und eine praktische, ausklappbare Anagloantenne zum Empfang von Fernsehprogrammen.
TABLETS MIT ANTENNE UND REDEN-APP DES LIEBEN FÜHRERS
Um für die beiden Mobilgeräte neue Apps zu erhalten, muss der geneigte Kunde ganz analog in ein Geschäft gehen, wo der Angestellte neue Programme auf das Gerät aufspielen kann.Die Speerspitze der mehr oder weniger aufwändig gestalteten lokalisierten Apps ist eine praktisch unverwüstliche Anwendung, die die gesammelten Schriften der diversen Führer versammelt. Band um Band, Rede für Rede, auf Wunsch auch per Audioausgabe zum Einschlafen. Grenzenloser Spaß für einsame Stunden.Die Nutzung des Mobilfunks ist leider sehr teuer, wenn nicht sogar unerschwinglich für die Einwohner Pjöngjangs: Der Anbieter Koryolink berechnet 80 Euro für den Sprachdienst und weitere 120 Euro für eine 3G-Datennutzung von satten 50 MB pro Monat.
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So können wir dank Will auch eine vorsichtige Vermutung über die tatsächliche Nutzung der Technologie anstellen: Koryolink, so erfuhr unser IT-Informant, habe eine Million Kunden. Da er in Pjöngjang (vier Millionen Einwohner) häufiger mal Telefone in der Stadt sah, sei diese Zahl durchaus realistisch, vermutet Will.
Wie weit sich allerdings dieses abgeschlossene technologische Ökosystem aus lokalen Tablets und Telefonen über die Stadtgrenzen Pjöngjangs abseits von Elitestudenten erstreckt, darüber ist schwer zu urteilen. Denn auch Will durfte nur selten die Stadt verlassen, schon gar nicht ohne seine beflissenen „Fremdenführer", die nicht von seiner Seite wichen, sobald er sich außerhalb des Campus bewegte: „Die Leute wissen Bescheid über den Rest der Welt, sind aber ganz sicher nicht der Meinung, dass das Leben in Pjöngjang schlimmer ist als anderswo. Und es gibt hier Nationalismus wie überall."Aber sind die Menschen in Nordkorea nun glücklich? Will plädiert generell für maximale Differenzierung und lässt sich schwer auf eine Antwort festnageln. Auch auf Instagram beantwortete er diese Frage diplomatisch ausweichend: Es gäbe eben glückliche und unglückliche Menschen, wie überall.Wir hätten Will sehr gern für diesen Artikel über seine Arbeit und seiner Erfahrungen interviewt. Doch leider lehnt er Mediengespräche momentan ab, weil er sich unter allen Umständen die Option offenhalten möchte, nach Nordkorea zurückzukehren.„Hier gibt es Nationalismus wie überall."