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Was Europäer über das Grundeinkommen denken

Spoiler: Die meisten haben warme Gedanken beim Thema BGE.

64 Prozent der Menschen in Europa würden der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) grundsätzlich zustimmen—das ergab eine repräsentative Studie des ThinkTanks NEOPOLIS Network und des Marktforschungsinstituts Dalia Research. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist nicht zufällig: Am 5. Juni wird in der Schweiz ein Referendum über die landesweite Einführung des BGE abgehalten. Momentan liegt die Zustimmungsrate bei den Schweizer Eidgenossen immerhin bei 24 Prozent. Ob die Umfrageergebnisse sich positiv auf die öffentliche Meinung in der Alpenrepublik auswirken wird, bleibt abzuwarten.

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Die Teilnehmer der europaweiten Umfrage wurden gefragt, wie sie votieren würde, fände heute eine Volksabstimmung zum BGE statt. Die Autoren betonen, mit der Studie Pionierarbeit in Sachen BGE-Forschung geleistet zu haben, denn erstmals habe eine Umfrage zum Grundeinkommen die nationalen Ländergrenzen überschritten und Bürger aller 28 EU-Staaten zu ihrer Einstellung befragt. Dabei wurden Menschen unterschiedlichen Alters, Geschlechts und verschiedener Einkommensklassen berücksichtigt. Insgesamt wurden 10.000 Interviews in 21 Sprachen geführt, die Macher wollen ihre Studie als repräsentativ „für ganz Europa" verstanden wissen.

Ausschlaggebend für die breite Zustimmung bei den Teilnehmern war die mit der Einführung einer Grundsicherung verbundene Hoffnung, weniger Angst vor dem finanziellen Abstieg zu haben. Andere begründeten ihre Zustimmung mit der Erwartung höherer Chancengleichheit in der Gesellschaft und größerer finanzieller Unabhängigkeit.

Unter den Teilnehmern gab es auch eine überraschend kleine, aber doch nicht unwesentliche BGE-Bedenkenträger-Fraktion, die ein knappes Viertel der Befragten ausmacht. Als Hauptargumente nennen sie die Gefahr einer sinkenden Arbeitsmoral, möglichen Leistungsmissbrauch durch Zuzügler und die Unmöglichkeit, ein BGE zu finanzieren.

Eine 64-prozentige Zustimmungsquote bei einer BGE-Umfrage mit derartiger Reichweite dürfte die meisten Beobachter überraschen, auch wenn die Umfrage (wie auch das Schweizer Referendum am 5. Juni) darauf verzichtet, einen konkreten Vorschlag über die Höhe eines künftigen BGE zu machen. Auch stand kein konkretes Finanzierungsmodell zur (hypothetischen) Abstimmung. Die Teilnehmer wurden lediglich danach gefragt, ob sie einer Grundsicherung generell zustimmen würden, die „andere Sozialversicherungsleistungen ersetzt und hoch genug ist, um alle Grundbedürfnisse (Nahrung, Haushalt etc.) zu decken."

Die statistische Kluft zwischen den Studienergebnissen und den aktuellen Umfragen zum Schweizer Plebiszit ließe sich dann auch genau mit diesem Umstand erklären, dass die Studie eben nicht nach einem konkreten (Finanzierungs-)Modell fragte, sondern generell wissen wollte, wie hoch die Zustimmung für ein staatliches Sozialmodell ist, das nicht an Bedingungen geknüpft ist. Tatsächlich gibt es viele verschiedene Modelle, die unter dem Begriff Grundeinkommen oft in einen Topf geworfen werden, die sich in ihrer Umsetzung jedoch unterscheiden. Beispielsweise ist auch unter BGE-Vertretern umstritten, ob die Leistungen durch Einkommens- oder Konsumsteuern finanziert werden sollen, wie hoch die ausgezahlten Beträge sein sollen und wer dazu berechtigt ist.

2015 hatte Finnland beschlossen, sich als erstes europäisches Land am BGE zu versuchen. Die neue zusammengewürfelte Regierung aus Liberalen, Konservativen und Rechtspopulisten kündigte nach der Wahl die Einführung eines Grundeinkommens als „Experiment" an und nahm einen entsprechenden Passus in ihren Koalitionsvertrag mit auf. Das Programm soll dort voraussichtlich 2017 beginnen und zunächst zwei Jahre laufen. Auch die Niederlande und Kanada könnten bald folgen.