FYI.

This story is over 5 years old.

Tech

Über die Hälfte aller Mathematiker entstammt im Geiste denselben „Familien“

Die Analyse der größten Mathematiker-Datenbank dampft die akademischen Stammbäume auf erstaunlich wenige einflussreiche Urahnen zusammen.
Bild: Shutterstock

Die moderne Mathematik vertritt ein großes Erbe jahrtausendealter Forschungsgeschichte. Sie basiert auf genialen Geistesblitzen, fleißigen Rechengenies und Formeln, die dem normalen Bürger Angst und Schrecken einjagen und dennoch scheint es sich bei dem gemeinen Mathematiker um ein recht bodenständiges Wesen zu handeln. Denn wie das Mathematics Genealogy Project (MGP) in seiner ausführlichen Untersuchung akademischer Familienbande, die nun in Nature veröffentlicht wurde, herausfand, folgen zwei Drittel der Mathematiker den gleichen geistigen Vätern.

Anzeige

Das an der North Dakota State University angesiedelte MGP erforscht seit den 1990er Jahren mathematische Stammbäume und führt mehr als 200.000 tote und lebendige Mathematiker in seiner Datenbank. Diese Ahnentabellen führen dabei nicht wie in Familienstammbäumen Eltern und ihre Kinder, sondern Lehrer und ihre Schüler—mit besonderem Augenmerk auf die jeweiligen Doktorväter und -Mütter—auf.

Diese gesammelten akademischen Stränge internationaler Rechengenies nahm Floriana Gargiulo, eine Netzwerkanalystin der belgischen University of Namur, nun genauer unter die Lupe. Dabei kam sie zu dem Ergebnis, dass 65 Prozent aller registrierten Forscher auf lediglich 24 mathematische „Familien" zurückverfolgt werden können und lieferte eine wesentlich aktuellere Analyse als die bisher gerne bemühte Erdös-Zahl als Gradmesser für die wissenschaftliche Verwandtschaft von Akademikern.

Zur Verarbeitung dieser Unmengen an Daten programmierte das Team um Gargiulo einen Algorithmus der auf Basis des Maschinenlernens, die das MGP noch einmal mit Informationen aus Wikipedia und der von

Elsevier

betriebenen

Scopus Datenbank

—der größten Text- und Zitatesammlung akademischer Literatur— gegenprüfte und mit weiteren Ergebnissen vervollständigte. Insgesamt ließen sich so 84 individuelle „Familien" identifizieren, von denen sich wiederum zwei Drittel der Mathematiker in nur 24 Stammbäumen wiederfanden.

Auch wenn sich die meisten Mathematiker in der Tradition großer Namen wie Leibniz, Euler oder Gauß sehen, lokalisieren sie sich damit tatsächlich in einer der kleineren mathematischen Ahnenfamilien. Der größte Stammbaum geht nämlich z.B. auf den weniger bekannten geistigen Ahnen Sigismondo Polcastro, einen Italiener des 15. Jahrhunderts, zurück. Erstaunlicherweise handelt es sich bei diesem Übervater, um dessen Lehren sich ganze 56.387 Nachkommen scharen, gar nicht um einen Mathematiker, sondern einen Physiker, der an der Universität von Padua Medizin unterrichtete.

„Man kann sehen, wie sich die Mathematik über die Zeit entwickelt hat", so Gargiulo über ihre umfassende Analyse. Bisher nutzen in erster Linie individuelle Forscher die Datenbank, um ihre persönliche „Doktorfamilie" zu rekonstruieren.

Grafik: Nature

Neben den mathematischen „Blutlinien" rekonstruierten die Wissenschaftler auch den jeweiligen mathematischen Einfluss einzelner Länder. Darin lässt sich erkennen, dass Deutschland ab dem Jahr 1700 als mathematische Supermacht galt, an deren Ruhm lediglich die Niederlande ein klein wenig kratzen konnten. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging die Krone dann an ein neues aufstrebendes Rechenkönigreich über: Die USA konnten ihre mathematische Reputation erfolgreich stärken und stellen noch heute, gemessen an der Anzahl der abgegebenen Doktorarbeiten in dem Fach, die Speerspitze der mathematischen Forschung dar.