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Unter falschem Namen auf Facebook? Das bleibt verboten, obwohl überall was anderes steht

Facebook mit Pseudonym nutzen: Das hätten deutsche Richter kürzlich erlaubt, schreiben zahlreiche Medien. Doch die Storys sind falsch – und ein Musterbeispiel dafür, wie leicht sich Fehler in die Tech-Berichterstattung schleichen.
Falsche Schlagzeilen zum Urteil des Berliner Landgerichts | Collage: Motherboard

Ein Urteil aus Berlin sorgte vor wenigen Wochen weltweit für Aufsehen: "Landgericht untersagt Klarnamen-Zwang bei Facebook", "Facebook muss falsche Nutzernamen akzeptieren", "German court says Facebook’s real name policy is illegal", so die Schlagzeilen in großen Medien wie Welt, T-Online oder The Verge. Haben deutsche Richter tatsächlich entschieden, dass jeder auf Facebook unter einem Pseudonym surfen darf, obwohl die AGB das verbieten? Sind solche beliebten Nutzernamen wie Phil Ip, An Na oder Max Mustermann ab jetzt erlaubt? Das Klarnamenprinzip ist seit Facebooks Launch eine der zentralen Regeln des Netzwerks, wenn es gekippt würde, wäre das tatsächlich eine ziemliche Überraschung.

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Ein Blick in das Urteil zeigt: Die Berichte sind falsch. Die Grundsatzfrage, ob Facebook seine Nutzer zwingen darf, sich mit ihrem echten Namen anzumelden, wurde vom Berliner Landgericht nämlich nicht untersucht. Das schreiben die Richter sogar explizit im Urteil: "Es kann offen bleiben, ob das zugrundeliegende Klarnamenprinzip unzulässig oder möglicherweise erlaubt sein könnte."

Was in Berlin wirklich zum Klarnamenprinzip entschieden wurde

Was haben die Richter also geurteilt, dass es zu den falschen Schlagzeilen kommen konnte? Sie erklärten lediglich für illegal, wie Facebook-Nutzer bei der Anmeldung bestätigen müssen, dass sie nur ihren echten Namen in dem sozialen Netzwerk verwenden. Mit anderen Worten: Nicht das Klarnamenprinzip selbst ist verboten, sondern nur das Prozedere, mit dem Facebook sich von seinen Nutzern die Zustimmung dafür besorgt. Facebook muss nun also jenen Teil der AGB umschreiben, mit dem die User dem Klarnamenprinzip zustimmen – dann gilt die Regel weiter.

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Nichts anderes behaupten auch die Datenschützer vom Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv), die vor dem Berliner Landgericht gegen Facebook geklagt hatten: "Es könnte tatsächlich sein, dass das Klarnamenprinzip legal ist", sagt der vzbv-Jurist Heiko Dünkel gegenüber Motherboard. "Wenn Facebook seine AGB und Einwilligungsregeln entsprechend umformuliert, ist denkbar, dass das rechtlich in Ordnung ist."

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Die Richter drücken sich um eine Bewertung des entscheidenden Gesetzes

Die Datenschützer hatten gegen das Klarnamenprinzip vor Gericht eine Passage des Telemediengesetzes in Stellung gebracht. Dort heißt es unter Paragraf 13 Absatz 6, dass Diensteanbieter wie Facebook "die Nutzung von Telemedien anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen haben, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist."

Es ist die einzige Passage in deutschen Gesetzestexten, die sich explizit mit Online-Pseudonymen beschäftigt – doch in Bezug auf Facebook ist sie ambivalent formuliert. Ist es Facebook zumutbar, dass Nutzer mit falschem Namen unterwegs sind? Was würden Pseudonyme beispielsweise für den Kampf gegen strafbare Inhalte auf dem sozialen Netzwerk bedeuten?

Die Berliner Richter jedenfalls vermieden es, diesen Satz des Telemediengesetzes zu bewerten – sie urteilten nur, ob die AGB nach den Vorgaben des BGBs transparent genug formuliert wurden. "Es ging nicht ums Telemediengesetz", bestätigt eine Sprecherin des Berliner Landgerichts gegenüber Motherboard. Dünkel hält das für ein Problem: "So wissen wir eben immer noch nicht, ob das Klarnamenprinzip legal ist." Deshalb habe der vzbv auch noch einmal gegen alle Punkte des Urteils Berufung eingelegt. "Wir hätten dazu gerne was vom Richter gehört", sagt Dünkel am Telefon.

Wie es zu der Falschmeldung kam

Wie konnte sich die Nachricht vom Ende des Klarnamenprinzips dann trotzdem so weit verbreiten? Die meisten der falschen und irreführenden Schlagzeilen zum Thema gehen auf eine überwiegend korrekte Meldung der Deutschen Presse-Agentur (dpa) vom 12.02. unter dem Titel "Schlappe für Facebook vor dem Landgericht Berlin" zurück, die auch andere Aspekte des Urteils beleuchtet. Dort heißt es einleitend, dass Facebook "seine Anwender nicht länger zwingen darf, sich mit ihrem echten Namen anzumelden."

Das Urteil vom Berliner Landgericht ist 37 Seiten lang und beschäftigt sich mit zahlreichen Facebook-Regeln. Jede einzelne ist für Nutzer relevant und wird in der dpa-Meldung auch korrekt zusammenfasst. Nur in Sachen Klarnamenprinzip passierte den Redakteuren ein kleiner Fehler. Und der zog weite Kreise: Im Laufe des Tages machten mehrere deutsche Medien ihre Artikel zum Urteil des Berliner Landgerichts dezidiert über den Aspekt der Klarnamenpflicht auf. Während manche, wie zum Beispiel Spiegel Online, akkurat berichten und den wichtigen Kontext mitliefern, spitzen viele ihre Texte so weit zu, dass es sich so liest, als sei die Klarnamenpflicht abgeschafft. Am späten Abend erscheinen die ersten englischsprachigen Artikel, die das ebenfalls behaupten.

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Der Fall zeigt also nicht nur, wie leicht selbst erfahrenen Redakteuren eine Fehlinterpretation komplizierter Datenschutz-Fälle passieren kann, sondern auch, dass die Rechtssprechung in Sachen Datenschutz oft nicht so klar ist, wie man es sich als Nutzer wünschen würde.

Denn obwohl das Telemediengesetz in Sachen Klarnamenprinzip eigentlich entscheidend ist, haben sich die Richter geschickt darum gedrückt, es zu bewerten und sind auf das AGB-Recht ausgewichen. Genau deshalb können Klagen wie von den Datenschützern des vzbv hilfreich sein. Im Idealfall sorgen sie dafür, dass es zu neuen technischen Entwicklungen wie sozialen Netzwerken auch eine aktuelle Rechtssprechung gibt.

Was das Urteil für Phil Ip und An Na bedeutet: Klarnamen sind weiterhin Pflicht

Für die Nutzer ändert sich konkret erstmal einmal nichts. Facebook darf von Usern auch weiterhin verlangen, den echten Namen zu verwenden. Lediglich die AGB und Einwilligungserklärung muss Facebook dazu abändern – allerdings auch erst, wenn das Urteil rechtskräftig ist und von einer höheren Instanz bestätigt wird. Das dürfte noch dauern, denn beide Seiten haben Berufung eingelegt. Beobachter rechnen damit, dass das Verfahren vor dem Berliner Kammergericht wohl erst in einem Jahr verhandelt wird. Ob die Richter dann auch das für ein grundsätzliches Urteil zur Klarnamenpflicht so wichtige Telemediengesetz bewerten werden, ist offen.

Facebook erklärte zu dem Urteil, man sei ohnehin gerade dabei, die AGB und Datenschutzrichtlinien umzuschreiben – auch im Hinblick auf die neue EU-Datenschutzverordnung, die ab dem 25. Mai 2018 gelten wird. An der Forderung, echte Namen auf Facebook zu verwenden, werde man aber festhalten: "Das Klarnamenprinzip ist seit dem Start ein zentrales Element von Facebook", sagte ein Facebook-Sprecher gegenüber Motherboard nach der Urteilsverkündung. "Es ist wichtig, um Nutzer vor illegalen Inhalten wie Hate Speech und Belästigung schützen zu können."

In der Praxis allerdings dürften User mit Namen wie Phil Ip, Ma Riam und Max Mustermann weiterhin noch eine Weile auf der Plattform unterwegs sein. Denn auch wenn solche Namen eigentlich nicht erlaubt sind: Wirklich konsequent geht Facebook in Deutschland nicht dagegen vor.