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So findest du heraus, ob du süchtig nach Internet, Games und Pornos bist

Neun Testfragen geben dir in Minutenschnelle eine erste Einschätzung.
Bild: imago/Jochen Tack

"Du Suchti" – jeder, der an seinem Smartphone klebt, hat sich diesen Vorwurf schon mal anhören müssen: Wenn man mal wieder mitten im Gespräch die neueste Instagram Story schaut oder beim Mittagessen obsessiv Twitter aktualisiert.

So ganz ernst gemeint ist der Vorwurf, süchtig zu sein, dabei wohl in den meisten Fällen nicht. Denken viele beim Begriff "Sucht" doch noch immer an klassische Abhängigkeiten wie Alkoholismus oder Drogenkonsum.

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Tatsächlich gibt es aber zwischen 500.000 und 1.500.000 Menschen in Deutschland – also 3-5% der Gesamtbevölkerung – die Tendenzen einer "Onlinesucht" aufweisen, so das Bundesministerium für Gesundheit in einer Studie von 2011. Das bedeutet: Es gibt durchaus Menschen, die sich so sehr in Videospielen, auf Pornoseiten oder in sozialen Netzwerken verlieren, dass sie ernsthafte Probleme in Beruf, Ausbildung oder in Beziehungen bekommen.

Die Tendenz zur Onlinesucht ist dabei, zumindest bei Jugendlichen unter 18 Jahren, steigend, so die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung im Februar 2017. Etwa 270.000 Jugendliche sollen in Deutschland betroffen sein.

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Der Online-Ambulanz-Service für Internetsüchtige (OASIS) hat deshalb einen Online-Test entwickelt: Anhand von wenigen Fragen könnt ihr herausfinden, ob ihr selbst oder jemand, den ihr kennt, Gefahr läuft, süchtig nach Videospielen, Sozialen Medien oder anderen Online-Angeboten zu werden – oder es bereits ist.

Wie gut ist der Test der Online-Ambulanz?

Insgesamt neun Fragen müsst ihr zu euch selbst oder einem Angehörigen beantworten, um eine erste Einschätzung hinsichtlich einer möglichen Onlinesucht zu bekommen. Die Fragen verlangen dabei einiges an Selbstreflexion:

"Verbringen Sie viel Zeit damit, an Aktivitäten im Internet zu denken? Fühlen Sie sich gereizt, wenn sie keine Möglichkeiten haben, ins Internet zu gehen? Verspielen Sie wegen Ihrer Internetaktivitäten wichtige Beziehungen, Bildung, Beruf?".

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Jede Frage lässt sich auf einer Skala von "nie" bis "sehr häufig" beantworten. Wer nach Beantwortung der neun Fragen genug Kriterien erfüllt, bekommt von OASIS das Angebot für eine Online-Beratung per Videokonferenz, ähnlich zu einem Skype-Gespräch.

"Dass der Erstkontakt mit dem Psychotherapeuten nicht in der Praxis ist, sondern online mit Videoverbindung – das ist genial."

Ins Leben gerufen wurde das Projekt OASIS von Dr. med. Bert te Wildt von der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des LWL-Universitätsklinikums Bochum. "Die Patienten, die sich aus Angst oder Scham in Ambulanzen wie unserer nicht vorstellen können, können erst einmal unseren Online-Ambulanz-Service nutzen", erklärt te Wildt das Angebot von OASIS gegenüber der dpa.

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Auch Dr. Jakob Florack, der sich am Berliner Klinikum Friedrichshain mit dem Thema Videospielabhängigkeit unter Minderjährigen beschäftigt, hält den Test von OASIS als erstes Hilfsangebot für sinnvoll:

"Der Selbsttest ist meines Erachtens gut", so Florack gegenüber Motherboard. "Er gibt einen kurzen Überblick, ob eine Störung vorliegen könnte."

Auch uns wird im OASIS-Selbsttest ein Verdacht auf Internetabhängigkeit attestiert. Wir haben Zweifel, ob neun Fragen wirklich ausreichen, um so einen Verdacht formulieren zu können.

Screenshot: OASIS

"Der Test muss so kurz sein, damit die Leute ihn machen", erklärt Florack. "Sonst brechen viele mittendrin ab, das zeigen auch Studien." Dass der Test zu simpel ist, findet er nicht. Das Ziel sei es nicht, eine genau Diagnose zu stellen, sondern zu sensibilisieren. Wer unsicher ist und wie wir einen Verdacht auf Internetabhängigkeit bekommt, soll das Gespräch suchen. "Das ist dann eine zweistündige Diagnostik, in der auch nach anderen psychischen Erkrankungen geschaut wird," – bei Internetsucht sind das vor allem Angststörungen und Depressionen – "und dann folgt die Zuweisung an eine Fachperson in der eigenen Region."

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Diesen Vorgang findet Florack sehr gelungen. "Dass der Erstkontakt mit dem Psychotherapeuten nicht in der Praxis ist, sondern online mit Videoverbindung – das ist genial. Für viele Leute, die ans Internet gebunden sind, ist die Hürde das Haus zu verlassen, sehr hoch." Das Heraussuchen eines Therapeuten, das Telefonieren und Mails schreiben, das Rausgehen: Das würde viele potentielle Patienten daran hindern, sich Hilfe zu suchen. Und genau das umgeht OASIS auf eine sehr clevere Weise, so Florack.

Was ist Onlinesucht überhaupt?

Im Gegensatz zu klassischen, stoffgebundenen Süchten (Alkoholismus oder harte Drogen) ist die Onlinesucht noch sehr wenig erforscht. An offiziellen Definitionen mangelt es bisher. So ist Onlinesucht im ICD-10, dem aktuellen Katalog der Krankheiten, den die Weltgesundheitsorganisation WHO herausgibt, noch gar nicht enthalten, obwohl Ärzte auf der ganzen Welt diesen Katalog für ihre Diagnosen benutzen. Im DSM-5, einem US-Katalog für psychische Krankheiten, gibt es dagegen eine solche Forschungsdiagnose, also den Befund einer möglichen Krankheit, die intensiver Forschung bedarf, um in spätere Kataloge aufgenommen zu werden. Sie lautet "Internet Gaming Disorder". Darunter fallen alle möglichen Süchte, die irgendwie mit Internet und Technik zu tun haben: Gaming-Sucht, Social Media-Sucht, News-Sucht, Porno-Sucht.

Das Fehlen einer festen Definition für die Probleme von Patienten, die ihr Leben nicht mehr im Griff haben, weil sie den Großteil ihrer Zeit mit Games oder Pornos verbringen, macht es auch für Ärzte schwerer, zu helfen. "Wir müssen unsere Patienten meist unter anderen, verwandten Diagnosen abrechnen, wie Impulskontrollstörungen oder über Komorbiditäten wie eine Depression", erklärt Florack.

Der Mediziner setzt darum große Hoffnungen in die nächste Ausgabe des ICD, die 2018 erscheinen soll. "Es kann sein, dass sich das neue ICD noch viel weitgehender als das DSM-5 mit internetbezogenen Störungen befasst und Erkrankungen wie Online-Sexsucht oder Online-Glücksspielsucht mit aufnimmt. Aber das ist noch nicht fix." Dann können Mediziner viel zielgerechter behandeln und auch forschen. Denn erst dann wird wirklich klar, was eigentlich genau erforscht wird.