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„Auf IS-Todesliste“—US-Agenten schüchtern Familie des Drohnen-Whistleblowers ein

15 Stunden, nachdem der ehemalige US-Drohnenpilot Brandon Bryant im Berliner NSA-Untersuchungsausschuss ausgesagt hatte, stehen Spezialagenten vor der Tür seiner Mutter, um ihr eine unangenehme Ansage zu machen.

Brandon Bryant neben einer Drohne des Typs Predator während seiner aktiven Zeit bei der US Air Force. Bild: Privat (verwendet mit freundlicher Genehmigung)

Nur fünfzehn Stunden nach der Zeugenaussage ihres Sohns in Berlin klopfen die Spezialagenten an: Zwei Mitarbeiter des Militärgeheimdienstes OSI erklärten LanAnn Bryant, dass sie auf einer Todesliste des IS gelandet sei. Man sei per Gesetz verpflichtet ihr das mitzuteilen, erläuterten die Agenten der Highschool-Lehrerin aus Missoula, Montana. Schönen Tag noch!

LanAnns Sohn, Brandon Bryant, hat fünf Jahre lang als US-Drohnenpilot gedient und war dabei auch an 1626 internationalen „Kills" beteiligt—inzwischen ist er jedoch zu einem prominenten Kritiker des Drohnenprogramms geworden. Sowohl Brandon als auch seine Anwältin bestätigten den Vorfall auf Twitter.

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Ob LanAnn Bryant tatsächlich auf einer Todesliste des IS steht oder nicht, wird sich nur schwer nachweisen lassen. Klar ist allerdings, dass Brandon Bryant unmittelbar vor dem überraschenden Agentenbesuch im NSA-Untersuchungsausschuss in Berlin öffentlich Details des Drohnenkriegs der USA preisgegeben hatte.

Jesselyn Radack, die neben Brandon Bryant auch schon Edward Snowden und Thomas Drake vertreten hat, bezeichnete den Hausbesuch bei der Mutter ihres Mandanten als „Vergeltung" und „Einschüchterung". Beide von ihr anwaltlich vertretenen Whistleblower hätten ähnliche Erfahrungen mit den Agenten der OSI gemacht, nachdem sie an die Öffentlichkeit gingen—ihnen wurde zum Beispiel empfohlen, ihre Aktivitäten in sozialen Medien einzuschränken. „Wer von uns hatte nicht schon OSI-Mitglieder, die Familie und Freunde belästigen?", kommentierte Anti-Überwachungsaktivist und Wikileaks-Mitarbeiter Jacob Applebaum.

Bryant war vergangene Woche zu einer öffentlichen Sitzung des Ausschusses geladen worden, um als ehemaliger Sensor Operator speziell über die Rolle Deutschlands im Drohnenkrieg der USA zu berichten. Dabei hatte er unter anderem zu Protokoll gegeben: „Uns wurde gesagt, dass die deutsche Regierung genau wusste, was in Ramstein passiert."; „Zwölfjährige gelten als militärische Ziele" und „Alle Informationen und Daten laufen über Ramstein. Alles. Für die ganze Welt. Auch für CIA-Operationen."

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Lest hier unseren ausführlichen Bericht von Brandon Bryants Aussage im Berliner Untersuchungsausschuss

Am selben Tag veröffentlichte The Intercept geheime Militärdokumente über Details des Drohnenprogramms, die ebenfalls in Bryants Befragung eine Rolle spielten. Die Dokumente übergab ein bislang unbekannter Whistleblower der Plattform. In den als geheim eingestuften Unterlagen wird auch beschreiben, wie die Vereinigten Staaten versuchen, zu vertuschen, wenn ein Opfer eines Drohnenangriffs unbeabsichtlich oder unschuldig getötet wurde—und dass für jedes „Primärziel" bis zu neun weitere Menschen sterben müssen.

Für viele Beobachter dienen die Besuche von OSI-Spezialagenten vor allem dazu, Whistleblower und kritische Veteranen unter Druck zu setzen—gerade auch, weil Bryant bislang keine rechtlichen Konsequenzen fürchtete, da er ehrenhaft entlassen wurde und nicht von der Air Force desertierte.

Wenn er sich nicht so in die Nachrichten gebracht hätte, wäre seine Mutter wahrscheinlich nie auf einer IS-Todesliste gelandet, behaupten die Agenten.

Bryant verließ seinen Dienst nach Erfüllung seines Vertrages in einem „Moment moralischer Klarheit" und ist seitdem ein scharfer Kritiker des völkerrechtlich umstrittenen Drohnenprogramms des US-Militärs. „Drohnenpiloten sind Menschenjäger", urteilte er in Berlin vor dem Untersuchungsausschuss.

Motherboard-Doku: Das Schicksal des Drohnenpiloten, der am Ende fast selbst an seinem Dienst zugrunde ging

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„Das hat absolut gar nichts mit Whistleblower-Einschüchterung zu tun!!!", verteidigte die OSI-Sprecherin Linda Cart die Maßnahme dagegen in einer Email an Radack. In der Mail heißt es weiter, dass das FBI Namen von ISIS-Todeslisten sammele und die OSI-Agenten zur Information herumschicke, sollten sich Menschen auf der Liste befinden, die mit der Air Force in Verbindung stehen.

Die Agenten überreichten LanAnn Bryant bei ihrem Hausbesuch vor ihrem Abschied auch eine Broschüre über den Schutz der eigenen Person in sozialen Medien, wie die Website Shadowpress berichtet. Zudem behaupteten die Agenten, sie sei schwer auffindbar gewesen. Mit einem ungewöhnlichen Vornamen wie LanAnn ist das allerdings nicht haltbar. Eine Google-Suche nach ihrem Namen fördert die Selbstbeschreibung der Lehrerin bei ihrer Schule inklusive E-Mail-Adresse und Durchwahl als ersten Treffer zutage.

Eine von Radack gestellte Anfrage an die US-Regierung, was eigentlich von staatlicher Seite zum Schutz Bryants als Whistleblower unternommen werde, wurde mit der Empfehlung beantwortet, er solle in sozialen Netzwerken nicht so mit seiner Vergangenheit „angeben".

„Wenn man über geleakte Dokumente und Drohnen im gleichen Atemzug redet, dann erweckt man natürlich das Interesse des IS", erklärte OSI-Sprecherin Card gegenüber US News. „Er [Brandon] ist in den Nachrichten. Wenn er das nicht getan hätte und sich so nicht in die Nachrichten gebracht hätte, wäre seine Mutter wahrscheinlich nie auf einer IS-Todesliste gelandet", erklärte sie weiter.

Mit anderen Worten: Hätte Bryant schön still gehalten, wäre seine Familie nun nicht in Gefahr.