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Diese jungen Kubaner bauen ein unabhängiges Intranet für ihr Heimatland auf

Ein paar DIY-Habaneros haben in Havanna ein freies Netzwerk aus 9000 Computern errichtet, das als nicht-staatliche gesteuerte Mini-Replik des Internets fungiert.
In Havanna gibt es ein von jungen Menschen aufgebautes Intranet mit 9.000 Teilnehmern. Alle Bilder: Antonio Broche Moreno

Antonio Broche Moreno ist 22, aber trotzdem schon so etwas wie der Godfather des kubanischen Intranets.

W-Lan-Nutzung ist in Kuba illegal und zusammen mit Myanmar gehört der Inselstaat zu den digital am schlechtesten vernetzten Ländern der Welt. Morena wollte das ändern und hat mit einem Team aus jungen Leuten ein alternatives DIY-Web namens Snet (kurz für Streetnet) aufgebaut. Ihr Netzwerk ist zwar nur in Havanna erreichbar, verhilft  dort aber mittlerweile über 9.000 Teilnehmern zu digitaler Kommunikation und Informationszugang.

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Der 22-jährige Systemingenieur hat Snet zusammen mit ein paar Freunden wie Alien Garcia aufgebaut. Garcia bringt ein Magazin über Informationstechnologie heraus, das über Mail und Flashlaufwerke verteilt wird. „Snet ist der Beweis, dass so etwas machbar ist", sagt Alien Garcia. Insgesamt schätzt er den Kostenaufwand des gesamten Netzwerks auf weniger als 180.000 Euro. „Wenn ich als Bürger mit viel weniger Einkommen als die Regierung ein Netzwerk aufbauen kann, dann müsste das doch wohl auch dem Staat gelingen?"

Wir tun das Richtige und sie lassen uns spielen.

„Wir brauchen das Internet hier wirklich, es gibt so viele Informationen online. Das hier ist nur eine vorläufige Lösung, denn du fühlst dich immerhin verbunden mit vielen Leuten, redest mit ihnen, und teilst Dateien", sagt Antonio Broche Moreno.

Snet ist nicht nur sicherer, sondern auch um ein Vielfaches schneller als das von der kubanischen Regierung kontrollierte Internet, das stets mehrere zentrale Knotenpunkte passieren muss.

In Havanna gibt es außerdem nur noch ein Internet-Café—und dort kostet eine Stunde Surfen ungefähr ein Viertel eines durchschnittlichen Monatsgehalts, das bei umgerechnet 20 Euro liegt. Ein heimischer Internet-Zugang wird nur in Ausnahmefällen handverlesenen Kubanern gestattet.

Seit 2001 arbeiteten Antonio und sein Team daran, ein manuelles Netzwerk aus mittlerweile über 9.000 Computern einzurichten, das sich über die Dächer von Havanna spannt. In den letzten fünf Jahren ist das Netzwerk rasant gewachsen. An einem durchschnittlichen Tag sind ungefähr 2.000 Nutzer online. Die meisten downloaden Filme, teilen Dateien im Peer-2-Peer-Netzwerk oder stürzen sich als Orks und US-Soldaten in Game-Schlachten. Auch in seiner Funktion als Offline-Mobilisator scheint das Netzwerk gut zu funktionieren: Über Snet werden Strandtrips und Hausparties organisiert.

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Es gibt Regeln im Streetnet: keine Politik, keine Pornos.

Snet oder Streetnet ist zwar nicht mit dem eigentlichen Internet verbunden, doch die Nutzer können World of Warcraft spielen, chatten, Bilder austauschen und sogar eine komplette Kopie der Wikipedia durchsuchen. Diejenigen Teilnehmer mit „echtem" Internetzugang aktualisieren das Intranet in regelmäßigen Abständen.

Obwohl der W-Lan-Zugang eigentlich verboten ist, ist Streetnet nicht nur durch Ethernet-Kabel über den Dächern Havannas, sondern auch durch viele versteckte Wifi-Antennen verbunden—die Regierung toleriere dies, so Moreno, solange die Nutzer keine anderen Gesetze brechen. Das erklärt auch, wieso Moreno sich für seine Arbeit nicht verstecken muss, sondern seine Erfolge ziemlich stolz auf Facebook posten kann:

Damit auch in Zukunft alles rund läuft, gibt es strikte Regeln im Streetnet: Keine Pornos, keine Politik. Die Netzwerk-Aktivisten wollen tatsächlich im wahrsten Sinne des Wortes nur spielen. Antonio Broche Moreno erklärte einem Reporter der ​AP: „Wir legen uns mit niemandem an. Wir wollen nur spielen und Ideen austauschen. Wir versuchen nicht, die Regierung zu beeinflussen, oder das, was in Kuba passiert. Wir tun das Richtige und sie lassen uns machen."

Das benutzte Equipment stammt aus der ganzen Welt. Und wer die Leitungen durch exzessive Downloads blockiert, muss einen Tag aussetzen. Es scheint, als sei Snet eine Mini-Replik des Internets in der Variante „freundlich und gesittet".

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Kubaner wie Broche Moreno, die auf vielen Ebenen kreative Lösungen gegen staatlich verordneten Verzicht entwickelt haben, machen vor, wie durch Einsatz und langjährige Arbeit ein unabhängiges Netzwerk entstehen kann. Damit schaffen die jungen Habaneros mehr als spendenfinanzierte NGOs: Im vergangenen Jahr ging ein von einem USAID-Mitarbeiter in Kuba eingerichtetes Nachrichten-Social Network namens Zunzuneo durch die Presse, das sich nicht nur als extrem kurzlebig herausstellte, sondern außerdem als geheimdienstliche US-Operation zur Destabilisierung Kubas diente.

Auch im echten Internet zu bloggen ist für digitale Dissidenten in Kuba immer noch ein schwieriges Unterfangen, wie uns die bekannte Bloggerin Yoaní Sanchez berichtete:

Kuba schiebt die mangelhafte Web-Infrastruktur bislang auf das US-Handelsembargo, verdient aber an den hohen Gebühren für den Web-Zugang dennoch kräftig mit.

Aufgrund der horrenden Kosten teilen sich viele Kubaner deshalb einen Snet-Knotenpunkt mit bis zu zehn Freunden. Schon das Wohlwollen eines einzigen Nachbars in Kuba, der sich an den Kabeln auf dem Dach stört, kann die Konnektivität von Dutzenden von Nutzern von einem auf den anderen Tag torpedieren.

Die kubanische Regierung engagiert sich noch immer mehr oder weniger halbherzig gegen die Konnektivität seiner Bevölkerung. Anständiges Equipment darf nicht eingeführt werden; das, was da ist, darf die Bevölkerung nicht benutzen. Die neue Entspannungspolitik zwischen den USA und Kuba gibt daher vielen jungen Menschen im Land Grund zur Hoffnung.​ Und während die Mühlen der Diplomatie langsam mahlen, erweitern die Habaneros von Snet ihr kleines, freies Netzwerk, das von jedem genutzt werden kann—solange er oder sie sich benimmt.