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Top-Entwickler erklärt Bitcoin nach Rosenkrieg für gescheitert

Todesdrohungen und DDoS-Attacken gegen Abtrünnige: Die Bitcoin-Community bietet mehr Drama als eine Seifenoper. Drängende Fragen über die Zukunft der Währung bleiben unbeantwortet.
Bild: Shutterstock

Einer der prominentesten Bitcoin-Jünger und langjährigen Entwickler ist vom Glauben an die Kryptowährung und seine Fürsprecher abgefallen. In einem langen Blogpost erklärte der Brite Mike Hearn nicht nur seinen Rückzug, sondern auch Bitcoin für endgültig gescheitert: Er habe seine paar hundert BTC verkauft und widme sich ab sofort voll und ganz einem neuen Startup, das ausgerechnet von einem Zusammenschluss aus Großbanken gegründet wurde.

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Anlass genug, um in der Community eine fette Verschwörung zu wittern: Hat ein Finanzkonsortium den Programmierer korrumpiert? Zwangen ihn die Banker gar, Bitcoin öffentlich schlecht zu reden? Ist Mike Hearn auf die dunkle Seite gewechselt?

Für viele Krypto-Fans kommt Hearns öffentliche Abrechnung zu einem schlechten Zeitpunkt; wo sich Bitcoin und die zugrundeliegende Blockchain-Technologie doch gerade einen vielversprechenden Vertrauensvorschuss bei Risikokapitalanlegern im Silicon Valley, an der Wall Street und in der Fachpresse erspielt hatten.

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Nur eine Handvoll Entwickler arbeiten im Herzen des Projekts—und genau die haben sich scheinbar unversöhnlich zerstritten. Nach einem turbulenten Jahr zwischen Todesdrohungen und DDoS-Attacken würden sich die Bitcoin-Jünger nun gegenseitig hauptsächlich sabotieren, schreibt der ehemalige Google-Entwickler Hearn—nun scheint die Währung aus seiner Sicht an einem Scheidepunkt zu stehen, und nicht wenige glauben, sie könnte am Disput zerbrechen.

Im Zentrum des Streits steht nichts anderes als die Zukunft der Kryptowährung—und wenn es nach Hearn geht, sieht die tiefschwarz aus. Seit dem Ausscheiden des mysteriösen Gründers Satoshi Nakamoto 2011 habe sich niemand mehr für die Leitung zuständig gefühlt, die vormals transparente und offenen Gemeinschaft sei mittlerweile von zügelloser Zensur und Attacken dominiert", so Hearn.

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Im Zentrum des Streits stand ursprünglich die Frage nach der maximalen Anzahl an Transaktionen, die Bitcoin bewältigen kann. Denn die Blockchain ist voll; 3 Transaktionen pro Sekunde sind momentan das Limit. Bedeutet: Wenn nicht bald ein Konsens über die Zukunft des Transaktionshandlings erzielt wird, könnte der Handel mit Bitcoin immer unattraktiver werden. Schon heute sind Bitcoin-Transaktionen teurer als Kreditkartengebühren. Das liegt daran, dass die Nachfrage in bestimmten Transkationszeiten, die das Netzwerk verlangsamten, durch automatisch angehobene Gebühren ausgeglichen werden sollte.

Ein zweiter Streitpunkt ist der Einfluss der Miner: Zwei Miner aus China haben heute die Kontrolle über die Hälfte aller Bitcoin. Diese hätten die Umstellung auf ein anderes System wissentlich herausgezögert, um Investoren nicht abzuschrecken—und das widerspricht natürlich dem Dezantraliserungsgedanken, der Bitcoin zugrunde liegt.

Sollte man also die Blockgröße anheben oder nicht? Die zähe Debatte in der Bitcoin-Community gipfelte in einer Abspaltung: Hearn und der Entwickler Andresen bastelten eine eigene Client-Software names Bitcoin XT, die im August vergangenen Jahres an den Start ging. Hearn verfolgte damit die Absicht, die Entwickler zu einer Entscheidung zu zwingen. „Die Community ist gespalten", schreib Hearn schon damals in einem Blogpost. „So eine Fork gab es noch nie."

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Diese sogenannten Forks, also alternative Entwicklungszweige, sind eigentlich nichts Ungewöhnliches; auch Google erlaubt beispielsweise Samsung, eigene Versionen ihres Betriebssystems Android zu kreieren. Doch in der Bitcoin-Community kam der radikale Schritt Hearns für viele einem Hochverrat an Satoshis Idee gleich, der die Kryptowährung in eine Identitätskrise stürzte.

Bitcoin XT wurde in Foren, insbesondere auf Reddit, Bitcoin.org und BitcoinTalk, pauschal als Kardinalsünde verurteilt—hauptsächlich, weil es sich um einen abweichenden Client handelte. Einflussreiche User entfernten jegliche Diskussion aus dem Unterforum /r/Bitcoin, als würde auf der bloßen Erwähnung einer Alternative ein gemeiner, hartnäckiger Fluch lasten. Konstruktive Kritik und eine echte Diskussion fanden in der schnell eskalierenden, hochgradig aggressive Debatte um den vermeintlichen Verräter in den diversen Expertenforen keinen Platz.

Die drücke sich letztlich auch in DDoS-Attacken gegen Nutzer von Bitcoin XT aus, behauptet Hearn (auch wenn diese Anschuldigungen schwer zu überprüfen sind). Ein Drittel aller XT-Clients seien dadurch unbenutzbar geworden, schreibt der Entwickler. So sah Hearn die Früchte seiner Arbeit von der eigenen Community der Sabotage ausgesetzt. Kein Wunder, dass sich Bitcoin XT nie richtig durchsetzen konnte.

Hearn glaubt, dass das Schisma die Währung bald zum völligen Zusammenbruch bringen könnte, wenn selbst einfach Transaktionen an der Sturheit der beiden verfeindeten Lager scheitern und längerfristig zu einem Preisverfall führen: „Es gibt keinen Grund mehr, zu glauben, dass Bitcoin wirklich besser als das existierende Finanzsystem sein kann.", schließt er.

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Für viele geht nicht um Software, sondern um eine Revolution.

Nicht jeder in der Bitcoin-Community glaubt allerdings an das plötzlichen Ende der Währung, viele wünschen Hearn gelassen alles Gute für seinen weiteren Weg und danken ihm für seine langjährige Arbeit. Zu häufig wurde Bitcoin schon totgesagt, so der Tenor ihrer Kommentare unter Hearns Erklärung.

Die Fragen zur Zukunft der Währung und der Blockgröße, die Hearn aufgeworfen hat, bleiben jedoch und sind drängender denn je. Und die Mining-Zentralisierung wird wohl erst gelöst werden, wenn ein weiterer Standort für Rigs mit so günstigen Energiepreisen wie China aufgetan wird.

Hearns Abgang ist letztlich auch der Spiegel einer verkümmerten Diskussionskultur, die auf vielen Boards herrscht—insbesondere, wenn es sich bei der Technologie für viele um mehr dreht als nur eine Softwarelösung: Es geht um politische Grundüberzeugungen, für viele auch um eine Art Revolution des Finanzwesens zu mehr Fairness, Unabhängigkeit und Transparenz.

Das Versprechen, sich im Management der Währung auf die Unfehlbarkeit von Maschinen verlassen zu können, hat Bitcoin bislang nicht eingelöst. Auch wenn die Zukunftsvision einer Blockchain-Roboterregierung, die durch Algorithmen fair und unparteiisch ihr Programm abarbeitet, verlockend erscheint, zeigt die aktuelle Krise, dass an der Entwicklung noch immer Menschen beteiligt sind—streitbare, sture, leidenschaftliche Menschen, die für ihre Ideen einstehen und die zur Not auch ein gescheitertes Lieblingsprojekt schweren Herzens verlassen.